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Anita Berber wurde am 10. Juni 1899 in Leipzig geboren; ihr Vater war der berühmte Geiger
des Leipziger Gewandhausorchesters, Professor Felix Berber1)
(1871 1930); ihre Mutter die Kabarettistin
und Chansonniere Lucie Berber, die
unter anderem im Berliner "Chat noir"und im "Linden-Cabaret" Erfolge feierte.
Als Anita drei Jahre alt war, reichten die Eltern die Scheidung ein,
als diese rechtsgültig wurde wuchs sie ab 1906 bei ihrer Großmutter
mütterlicherseits in Dresden auf und besuchte dort eine "Höhere
Töchterschule". Mit Beginn des 1. Weltkrieges zog sie 1914 gemeinsam mit
ihrer Großmutter wieder zu ihrer Mutter und wohnte in
Berlin-Wilmersdorf. Schon ein Jahr später nahm sie Unterricht bei der
Schauspielerin Maria Moissi (= Marie Urfus1), erste Ehefrau des legendären
Alexander Moissi2)) an deren renommierten Berliner
Schauspielschule und nahm Tanzunterricht in der Ballettschule der bekannten Tänzerin des Impressionismus,
Rita Sacchetto2)
(1880 1959),
die unter anderem auch Valeska Gert2)
(1892 1978) unterrichtete.
Ihr Bühnendebüt gab die junge Anita dann am 24. Februar 1916 mit der Tanzschule im damals
beliebten "Blüthnersaal", zwei Jahre später trennte sie
sich von Rita Sacchetto, da es zu Differenzen wegen Anita Berbers
Tanzstil gekommen war.
Foto: Anita Berber, Standfoto aus "Die vom Zirkus" (1922)
© Kulturpressedienst Berlin 2001*)
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Nun begann eine überaus erfolgreiche Karriere als Solotänzerin, die
Berber erhielt ein erstes Engagement am Berliner
"Apollo-Theater", trat im "Wintergarten" sowie bei
den legendären "Rudolf Nelson-Revuen" auf; Tourneen durch
die Schweiz, Ungarn und Österreich schlossen sich an. Nicht nur mit ihren Bühnenauftritten
als exaltierte Nackttänzerin sorgte sie bei der gut-bürgerlichen Gesellschaft der Weimarer Republik
für Skandale, auch durch ihr zügelloses Privatleben, ihre Alkohol-
und Drogensucht geriet sie in die Schlagzeilen der Presse, wurde
ebenso bewundert wie verachtet.
1919 hatte die Künstlerin den wohlhabenden Offizier und Antiquar
Eberhard von Nathusius (1895 1942), Enkel
des preußischen Politikers Philipp
von Nathusius1)
(1842 1900), geheiratet, eine
Verbindung, die nur wenige Jahre Bestand hatte; bereits 1922 trennte
sich das Paar. Anita Berber machte aus ihrer lesbischen Veranlagung
keinen Hehl, zog zu ihrer Freundin, der Barbesitzerin Susi Wanowsky.
Mit ihrem kokainsüchtigen und homosexuellen Tanzpartner Sebastian Droste
(geboren als Willy Knobloch) ging sie für kurze Zeit eine weitere Verbindung ein, 1923 heirate sie
diesen in Budapest. Kurz zuvor hatten beide in Wien mit dem ersten
gemeinsamen Programm "Tänze des Lasters, des Grauens und der
Ekstase", welches Nummern wie "Die Leiche am Seziertisch",
"Morphium", "Haus der Irren" oder "Die Nacht der Borgia" enthielt,
das Publikum schockiert, aber auch angezogen, wie ein Magnet. Die
Wiener Gesetzeshüter schoben der öffentlichen
"Lasterhaftigkeit" ein Riegel vor, die Berber und
Droste wurden nach Ungarn ausgewiesen. 1923 veröffentlichte das Paar auch ein
bibliophiles Buch mit Gedichten und Abhandlungen zu ihren Tänzen.
Foto:
Anita Berber mit "Koreanischer Tanz"
© Kulturpressedienst Berlin 2001*)
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Zurück in Berlin kam es zu einem weiteren Eklat: Droste hatte den
Schmuck seiner Frau entwendet, da er Geld für seine Drogensucht
brauchte, verschwand bei Nacht und Nebel und setzte sich nach Amerika
ab; wenig später erfolgte die offizielle Scheidung. Sebastian Droste,
der in New York als Amerika-Korrespondent für die "B.Z. am
Mittag" arbeitete, starb
nach seiner Rückkehr aus den USA am 27. Juni 1927 in Hamburg.
Berbers neuer Tanzpartner wurde der ebenfalls homosexuelle Amerikaner Henri Chátin-Hoffman1)
(1900 1961),
den sie am 10. September 1924 heiratete. Mit ihm
zusammen trat sie unter anderem erfolgreich in Berliner Kabaretts wie
"Rakete", "Die Rampe", "Weiße Maus" und
"Schall und Rauch" auf, gab aufsehenerregende Gastspiele
beispielsweise in Köln, Düsseldorf, Leipzig und Breslau. Mit dem Nachfolgeprogramm der
"Tänze des Lasters
", den "Tänzen der Erotik und
Ekstase", wurde das Publikum erstmals im Hamburger "Alkazar"
konfrontiert, eine Tournee durch den Nahen Osten schloss sich an.
Während eines Auftritts in Damaskus brach Anita Berber am 13. Juni 1928 auf der Bühne zusammen;
eine Untersuchung ergab, dass sie an Tuberkulose ohne Chance auf
Heilung erkrankt war. Sie wurde von Freunden nach Berlin
transportiert, wo sie am 10. November 1928 im Bethanien-Krankenhaus in
Berlin-Kreuzberg, von ihrer Krankheit und Drogensucht gezeichnet, mit
nur 29 Jahren starb. Ihre letzte Ruhe fand Anita Berber
auf dem Neuköllner "St. Thomas-Friedhof", das Grab existiert heute
nach der Stilllegung des Friedhofs nicht mehr.
Foto:
© Kulturpressedienst Berlin 2001*)
bzw.
© Österreichische Nationalbibliothek
(ÖNB), Bildarchiv
(Inventarnummer 204418-D)
Urheber: Atelier Madame d'Ora1)
(18811963)
Datierung: 28.10.1922
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Nicht nur als Bühnenkünstlerin machte die "Tänzerin des
Lasters" Furore, auch auf der noch stummen Leinwand konnte das
breite Publikum die skandalträchtige Diva bewundern. Erstmals wirkte
sie 1918 in Richard Oswalds Schubert-Film "Das Dreimäderlhaus"
mit, der sie im gleichen Jahr mit der Titelrolle in "Dida Ibsens Geschichte"1)
besetzte. Oswald gab ihr weitere Rollen in seinen Sittenfilmen wie
"Die
Prostitution, 1. Teil Das gelbe Haus"1) (1919) oder
"Anders als die Andern"1) (1919), dem ersten Film mit homosexueller Thematik weltweit,
der nach Wiedereinführung der Zensur verboten wurde.
Oswald ließ sie
unter anderem in "Die Reise um die Erde in 80 Tagen"1) (1919),
dem Zweiteiler "Peer Gynt" (1919), "Unheimliche Geschichten"1) (1919), "Nachtgestalten"1) (1920)
und "Lucrezia Borgia"1) (1922)
auftreten. Reinhold Schünzel
gab ihr eine Hauptrolle in "Der Graf von Cagliostro" (1921),
in Fritz Langs "Dr. Mabuse, der Spieler"1) (1922) agierte sie
als "Tänzerin im Frack", letztmalig sah man sie in Max Neufelds
"Ein Walzer von Strauß" (1925) auf der Leinwand. Bis dahin
hatte sie für insgesamt 27 Filme, meist als Tänzerin, Prostituierte
oder "gefallenes Mädchen" vor der Kamera gestanden, unter anderem an der Seite von
Ufa-Stars wie Conrad Veidt, Hans Albers, Emil Jannings und Heinrich George.
Anita Berber am Kamin ihres Hauses in Berlin,
veröffentlicht in "Die Dame" (5/1918)
Urheber: Waldemar Titzenthaler1) (1869 1937)
Quelle: Enno Kaufhold: "Berliner Interieurs, Photographien von
Waldemar Titzenthaler" (Berlin: Nicolai, 1999, S. 21)
bzw. Wikimedia
Commons; Angaben zur Lizenz siehe hier
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Anita Berber, die "schillernde Nachtgestalt" der wilden
1920er Jahre, faszinierte mit ihren unkonventionellen,
expressionistischen Ausdruckstänzen nicht nur das "normale"
Publikum, auch in der Künstlerszene jener Zeit hatte sie viele
Anhänger: So etwa den Maler Otto Dix1) (1891 – 1969),
der sie 1925 mit seinem Gemälde "Portrait einer Dame in
Rot", welches heute nach vielen Umwegen im Stuttgarter
Kunstmuseum zu sehen ist, unsterblich werden ließ. Auch der
Schriftsteller Klaus Mann1) (1906 – 1949), der Sohn des
Nobelpreisträgers Thomas Mann1), war von ihr beeindruckt; die
Porzellan-Firma Rosenthal stellte drei Miniaturen nach ihrem Abbild
her, geschaffen nach Modellen des Wiener Bildhauers Constantin Holzer-Defanti
.
Karl Lagerfeld bezeichnete sie als "die gewagteste Frau ihrer
Zeit", für Leni Riefenstahl war ihr Körper so vollkommen,
"dass ihre Nacktheit nie obszön wirkte". Rosa von Praunheim
drehte 1987 den Film "Anita Tänze des
Lasters"1) (siehe auch www.filmzentrale.com)
unter anderem mit Lotti Huber, welche eine alte Frau darstellt,
die sich als Insassin eines Pflegeheims für Anita Berber hält
und Geschichten aus deren Leben erzählt. Im "Lexikon des
internationalen Films" kann man hierzu nachlesen: Der Film
zeichnet liebevoll-ironisch, bisweilen aber auch mit bizarren Mitteln
die Triviale Formen- und Gefühlswelt der Stummfilmzeit als utopisches
Gegenbild zu einer trist normierten Gegenwart. Eine größtenteils
eigenwillige und fantasievolle Handlung an die exaltierte Ästhetik
der zwanziger Jahre und an die Unzerstörbarkeit menschlicher
Lebensart und Einbildungskraft.
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Lucinda Jarrett brachte 1999 "Striptease. Die Geschichte der
erotischen Entkleidung" (Rütten & Loening-Verlag,
Berlin) auf den Markt. Von dem Berliner Kunsthistoriker
Lothar Fischer erschien Mitte der 1980er Jahre das Buch
"Tanz zwischen Rausch und Tod. Anita Berber
1918 bis 1928 in Berlin" (Haude & Spener-Verlag,
Berlin 1984), welches nur noch antiquarisch zu erhalten
ist. Im Oktober 2006 veröffentlichte
Lothar Fischer im Verlag "edition ebersbach" seine
zweite komplexere Biografie, den Text-Bildband "Anita Berber Göttin der Nacht"
und zeichnet hierin nach jahrelanger Recherche das kurze Leben der Exzentrikerin anhand
von zeitgenössischen Dokumenten, unveröffentlichten Fotos und Aussagen von Zeitzeugen
nach; sie auch den SPIEGEL-Artikel bei www.spiegel.de.
Abbildung des Buchcovers mit freundlicher Genehmigung des Verlages
edition
ebersbach |
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