Aud Egede Nissen wurde am 30. Mai 1893 als Tochter des
Staatsrats und Politikers Adam Egede-Nissen (1868 1953) im norwegischen Bergen
geboren. Zunächst hatte sie den Wunsch Krankenschwester zu werden, doch
durch ihre Schwestern, die Schauspielerinnen Gerd Egede Nissen (1895 1988)
und Ada Egede Nissen1) (1899 1981, Künstlername: Ada van Ehlers/Ada Kramm)
kam sie mit dem Theater in Berührung und entschied sich ebenfalls für die
"Bretter, die die Welt bedeuten"; auch ihre anderen Geschwister,
Oscar Egede-Nissen (1903 1976), Stig Egede-Nissen (1907 1988),
Lill Egede-Nissen (1909 1962) und Gøril Havrevold (1914 1992)
waren Schauspieler.
Aud Egede Nissen nahm Unterricht bei der
Schauspielerin Thure Hansson, anschließend erhielt sie ein erstes
Engagement am Theater in Drontheim. Während einer Reise ins
dänische Kopenhagen lernte sie dort 1913 den Regisseur Bjørn Bjørnson1) (1859 1842) kennen, der mit ihr erste kurze Stummfilme wie "Det Store derbyløb" (1913),
"Lyset der svandt" (1913) und "Scenens børn" (1913, Wenn die Liebe
spricht) drehte. Als Bjørnson nach Berlin wechselte, ging Aud Egede Nissen mit ihm,
"Beabsichtigt war mit der Verpflanzung auf deutschen Boden vorab
zwar lediglich ein Sprachstudium und die Erweiterung ihres Könnens nach
deutscher Methode. Dem Kino hat sie sich auf Anraten Björnsons und
der Frau Admiral Gad, der Mutter Urban Gads*), lediglich zugewandt, um ihre Studiengelder
aufzufrischen."2)
Foto: Aud Egede Nissen vor 1929
Urheber: Alexander
Binder1) (1888 1929)
Quelle: Wikipedia;
NPG-Karte Nr. 430 (Ausschnitt); Angaben zur Lizenz siehe hier
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Rasch avancierte das neue Talent in Deutschland zum Star, reihte sich oft
an der Seite des Schweden Nils Chrisander3) (1884 1947) und des Dänen
Olaf Fönss3) (1882 1949) mit Streifen wie "Die Filmprinzessin" (1914),
"Die Flucht vor dem Tode" (1915), "Der Trick" (1915), "Das Abenteuer
des van Dola" (1915), "Das Phantom der Oper" (1916) oder den sechs "Homunculus
"-Episoden1) (1916)
in die Riege der populären Stummfilmstars jener Zeit ein.
Als sie 1917 den Schauspieler
und Regisseur Georg Alexander3)
(1888 1945, geborener Lüddekens) kennenlernte, wurde dieser ihr
bevorzugter Partner und Ehemann. Im gleichen Jahr gründete das Paar eine
eigene Produktions-Gesellschaft, die "(Lüddekens-) Egede-Nissen-Film Comp. mbH",
es entstanden "stumme" Streifen wie
beispielsweise "Ich heirate meine Puppe" (1917)", "Der Geigende
Tod" (1917) oder "Die Geburt der Venus" (1917) mit Georg Alexander hinter der Kamera
und Aud Egede Nissen in der Hauptrolle. Zu ihren
Partnern gehörte, neben ihrem Mann, unter anderem auch Hans Albers in
"Leuchtende Punkte" (1918). Bis 1919 brachte die Firma fast 30 Filme heraus,
unter anderem auch jeweils eine Serie mit den Schwestern Gerd
und Ada Egede Nissen.
1919 verließ Georg Alexander die Gesellschaft (und seine Frau), gründete
die neue Firma "Alexander-Film GmbH", in der sich der
passionierte Rennfahrer und Herrenreiter der Herstellung von Filmen aus der
Welt des Sports widmete.
Foto: Aud Egede Nissen vor 1929
Urheber: Alexander
Binder1) (1888 1929)
Quelle: filmstarpostcards.blogspot.de;
Karte K. 216; Angaben zur Lizenz siehe hier
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Aud Egede Nissen trat ab den 1920er Jahren in rascher Folge in unzählige
Streifen auf, nicht ungewöhnlich unter dem Aspekt, dass viele dieser Stücke
oft nur 20 bis 30 Minuten lang und in wenigen Tagen abgedreht waren. Sie wirkte in den
populären Geschichten um den Detektiv Joe Deebs (Carl Auen/später
Ferdinand von Alten) mit, so etwa in "Kaliber
fünf Komma zwei "1) (1920)
und "Das Geheimnis der Mumie" (1921), namhafte Regisseure wie
Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und Richard Oswald holten die kühl
wirkende Norwegerin für
ihre inzwischen zu Klassikern gewordenen Filme vor die Kamera. Mit Ernst Lubitsch als Regisseur
und Darsteller sowie den Stars Pola Negri als Tänzerin
und Paul Wegener als Sultan von Bagdad entstand die meisterhafte
"1001-Nacht"-Phantasie "Sumurun"1) (1920), in der sie die
Dienerin Haidé mimte. Ein weiterer "Kassenschlager" wurde Lubitschs
Historienspektakel "Anna Boleyn"1) (1920) mit Henny Porten in der
Titelrolle und Emil Jannings als Heinrich VIII., Aud Egede Nissen
verkörperte die Hofdame Jane Seymour, die sich vor der Titelheldin demütigen muss.
Fritz Lang gab ihr in seinem legendären "Dr. Mabuse, der Spieler Ein Bild der Zeit"1) (1922)
die Rolle der Tänzerin und Geliebten Cara Carozza, deren sirenenhafte Verruchtheit ihrem weiteren Rollen-Typus entspricht:
"Die Nissen hat eine Sterbeszene, in der sie, ein weiblicher Kurwenal,
mit seligem Lächeln an ihrem Herrn und Schänder Dr. Mabuse vergeht. Und eine Melodie ewiger Treue erschüttert
uns." (Der Roland, 1.6.1922).4)
Foto: Aud Egede Nissen vor 1929
Urheber: Alexander
Binder1) (1888 1929)
Quelle: filmstarpostcards.blogspot.de;
NPG-Karte Nr. 436; Angaben zur Lizenz siehe hier
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F. W. Murnau besetzte
sie neben Alfred Abel, Lil Dagover und Lya De Putti als Melanie Lubota
in dem Psychodrama "Phantom"1) (1922) nach dem Roman von Gerhart Hauptmann, Richard Oswald
als Prinzessin Eboli in "Carlos
und Elisabeth"1) (1924)
neben Conrad Veidt (Don Carlos) und Eugen Klöpfer (König Phillip von
Spanien).
Dazwischen lagen filmische Geschichten wie "Die geschlossene Kette"1) (1920), "Die Lieblingsfrau des Maharadscha 3. Teil"5) (1921)
und "Das Floss der Toten" (1921), mit "Die Nacht der
Einbrecher" (1921) entstand eine erste Zusammenarbeit mit dem
Stummfilmstar Paul Richter3)
(1895 1961), den Aud Egede Nissen 1920 nach
ihrer Scheidung von Georg Alexander geheiratet hatte. Mit
ihm als Partner erlebte man sie als Vamp Juana (eigentlich Tochter eines
Arztes) in dem melodramatischen "Mantel und
Degen"-Abenteuer "Pietro der Korsar"1) (1925, nach Wilhelm Hegelers Roman
"Pietro der Korsar und die Jüdin Cheirinca"), die (ziemlich lasziv) Zwietracht zwischen
dem Korsarenhauptmann Salvatore (Rudolf Klein-Rogge) und dem Titelhelden sät. Und so nimmt das dramatische Schicksal
seinen Lauf
Foto: Aud Egede Nissen vor 1929
Urheber: Alexander
Binder1) (1888 1929)
Quelle: filmstarpostcards.blogspot.de;
Karte K 173; Angaben zur Lizenz siehe hier
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Danach agierte Aud Egede Nissen beispielsweise als Straßenmädchen Emma, die sich in Gerhard Lamprechts
im Zille-Milieu spielenden Rührstück "Die Verrufenen"1) (1925)
für den Geliebten (Bernhard Goetzke) opfert, eine Prostituierte
mimte sie auch in "Die
Straße"5) (1923) an der Seite von Eugen Klöpfer.
Nach "Die Rote Maus"5) (1926)
und "Die da unten" (1926) schlüpfte sie dann in Lamprechts "Menschen untereinander 8 Akte
aus einem interessanten Hause"1) (1926) in die Rolle einer
Tochter aus "gutem Hause", die mit dem Auto einen tödlichen Unfall verursacht, ins Gefängnis kommt und dort Mutter
wird. Mit Otto Gebühr sah man sie in "In Treue stark" (1926), mit
Joe Stöckel in "Die Villa im Tiergarten" (1927), mit Ehemann
Richter in "Kampf der Geschlechter" (1926, mal ein Lustspiel!),
"Schwester Veronica" (1927), "Der
König der Mittelstürmer"1) (1927),
"Schneeschuhbanditen" (1928), "Die Frau im Talar" (1929)
und (als Luder) in dem dänisch-norwegischen Grönland-Abenteuer
"Eskimo" (1930), welches sie mitproduziert hatte.
Aud Egede Nissen als Dirne und Eugen Klöpfer3) als Kleinbürger
in dem Stummfilm
"Die Straße"1) von Karl Grune1)
(1923; Produktion: Max Schach für die Berliner "Stern-Film")
Quelle: Deutsche
Fotothek, (file: df_pos-2006-a_0000863) aus
"Vom Werden deutscher Filmkunst/1. Teil: Der stumme Film" von Dr. Oskar Kalbus
(Berlin 1935, S. 74) bzw. Bilder aus dem Sammelwerk Nr. 10
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Unbekannter Fotograf
Quelle: www.deutschefotothek.de;
Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017
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Im darauffolgenden Jahr konnten die Zuschauer sie erstmals sprechen hören:
In Gerhard Lamprechts "Zwischen Nacht und Morgen"1) (1931), einem Remake des Asta Nielsen-Films
"Dirnentragödie"1) aus dem Jahre 1927, übernahm sie die Rolle der
alternden Prostituierten Emma, der "Film-Kurier" schrieb wenige
Wochen nach Erscheinen des Films am 12.8.1931: "Egede Nissen kämpft mutig mit
dem Schatten ihrer großen Vorgängerin; gelegentlich hat sie einen dunklen Timbre in der Stimme, der zur Rolle
passt, doch dann wieder wird sie larmoyant, melodramatisch."
Die große Zeit des Stummfilmstars war vorüber, beim Tonfilm konnte sie wie
viele ihrer Kollegen nicht Fuß fassen; sie ließ sich wieder in ihrer
Heimat Norwegen nieder und zog sich ins Privatleben zurück.
Lediglich
Anfang der 1940er Jahre erschien sie noch einmal in den norwegischen
Produktionen "Hansen og Hansen" (1941) und "Trysil-Knut" (1942)
auf der Leinwand, auch am Theater soll sie aufgetreten sein; über die Jahre
danach ist nichts bekannt.
Aud Egede Nissen starb am 15. November 1974 im Alter von 81 Jahren in Oslo;
ihre Ehe mit Paul Richter war nach einigen Jahren gescheitert. Der von
Paul Richter adoptierte Sohn Georg Richter1)
(1915 1972) aus ihrer früheren Ehe mit Georg Alexander
avancierte vor allem in Norwegen zu einem populären Schauspieler und
war auch als
Filmproduzent tätig war.
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