Agnes Sybil Thorndike wurde am 24. Oktober 1882 im britischen Gainsborough (Lincolnshire) als Tochter des Kanonikers der Rochester Kirche Arthur Thorndike und dessen Frau Agnes Macdonald geboren. Sie war das älteste von vier Kindern, Bruder Russell Thorndike1) (1885 – 1972) wurde ebenfalls ein erfolgreicher Schauspieler.
Nach dem Besuch der "Rochester High School" ließ sich die junge Sybil auf Anraten ihres Bruders zur Schauspielerin ausbilden, 1904 erhielt sie einen Vertrag für eine Amerika-Tournee, den sie trotz des Widerstands ihrer Eltern annahm. In den USA feierte Sybil Thorndike als Shakespeare-Interpretin erste Bühnenerfolge, avancierte in den folgenden Jahren zu einer der bedeutendsten Charakterdarstellerinnen auf der Bühne. Im Verlaufe ihrer Karriere sollten Gastspielreisen rund um den Globus folgen, sie begeisterte in ihrer Heimat ebenso wie in Australien, Neu Seeland, Südafrika, Indien, West- und Osteuropa.
  
1908 lernte sie den berühmten irischen Dramatiker George Bernard Shaw2) (1856 – 1950) kennen, dieser glückliche Umstand brachte ihr nicht nur die Hauptrolle in dessen erfolgreichem Theaterstück "Candida" sowie eine von Shaw selbst geleitete Theatertournee ein, sondern auch ein erstes Zusammentreffen mit dem Schauspieler Lewis Casson2) (1875 – 1969). Noch im Dezember 1908 heiratete das Paar in Aylesford (Kent), zugleich begann auch eine lebenslange Partnerschaft auf der Bühne.
Shaw war von der Schauspielerin so begeistert gewesen, dass er später für sie das Drama "Die Heilige Johanna"2) ("Saint Joan") schrieb. Das Stück wurde im Dezember 1923 von der "Theatre Guild" in New York mit Winifred Lenihan1) (1898 – 1964) in der Titelrolle uraufgeführt, im März 1924 folgte London mit Sybil Thorndike als "Johanna" – eine Figur, mit der sie Dauertriumphe feierte. 

Portrait von Dame Sybil Thorndike in ihrem Haus in Chelsea (London), 
aufgenommen im Jahre 1973 von Allan Warren*) (www.allanwarren.com)
Lizenz: CC BY-SA 3.0, weitere Angaben siehe hier; Quelle: Wikimedia Commons
*) Link: Wikipedia, englisch

Portrait von Dame Sybil Thorndike in ihrem Haus in Chelsea (London) im Jahre 1973; Quelle: Wikimedia Commons; Urheber: Allan Warren) (www.allanwarren.com); Lizenz: CC-BY-SA 3.0.
Mit der Rolle der "Heiligen Johanna" schrieb sie Theatergeschichte, die "Neue Züricher Zeitung" kommentierte einmal: "In die Theatergeschichte wird sie als "Saint Joan" und "Candida" eingehen. Shaw sandte ihr ein Exemplar der ersten Buchausgabe von "Saint Joan" mit der Widmung "Saint Sybil Thorndike from Saint Bernard Shaw". Es gab eine geistige Verwandtschaft zwischen Autor, Darstellerin und Heiliger Johanna: Alle drei waren Rebellen und tief religiös."
Dazwischen lag eine weitere Tournee durch die USA bzw. Auftritte am Broadway (1910 – 1911), anschließend spielte Sybil Thorndike in Manchester Hauptrollen bei der Theaterkompanie von Annie Horniman2) (1860 – 1937), 1914 kam sie dann nach London und wurde Mitglied des traditionsreichen "Old Vic Theatre", das damals von Lilian Baylis1) (1874 – 1937) geleitet wurde. Hier brillierte sie in etlichen Shakespeare-Stücken, so als "Lady Macbeth" oder als "Rosalind" in "Wie es euch gefällt", als "Imogen" in "Cymbeline", als "Portia" in "Julius Cäsar" sowie als "Beatrice" in "Viel Lärm um nichts"; 1918 verließ sie das "Old Vic" wieder und war in der Folgezeit an mehreren Londoner Bühnen tätig.
Sybil Thorndike die bis zu ihrem Tode als Doyenne der englischen Bühne galt, brillierte neben ihren Shakespeare-Interpretationen unter anderem mit Hauptrollen in klassischen Dramen wie "Medea" von Euripides oder "Elektra" von Aischylos, aber auch in modernen Stücken wie Joseph Kesselrings Krimi-Komödie bzw. Klassiker des schwarzen Humors "Arsenic and Old Lace" (Arsen und Spitzenhäubchen).

Auf der Leinwand erschien Sybil Thorndike eher selten, ihr Filmdebüt hatte sie 1921 mit einer kleinen Rolle in dem stummen Drama "Moth and Rust" gegeben, bis Ende der 1920er Jahre folgten Hauptrollen in Umsetzungen von klassischen Stücken oder Romanverfilmungen wie "The Merchant of Venice" (1922, Der Kaufmann von Venedig), "Macbeth" (1922), "The Lady of the Camellias" (1922, Die Kameliendame), "The Hunchback of Notre Dame" (1922, Der Glöckner von Notre Dame) oder "Saint Joan" (1927, Die Heilige Johanna). In den 1930er und 1940er Jahren stand sie lediglich für "Hindle Wakes" (1931), "A Gentleman of Paris" (1931), "Tudor Rose" (1936), "Major Barbara"2) (1941), "Nicholas Nickleby" (1947) und "Britannia Mews" (1949) vor der Kamera.
Als Mrs. Gill zeigte sie sich in Alfred Hitchcocks Streifen "Stage Fright"2) (1950, Die rote Lola) neben Jane Wyman und Marlene Dietrich, in Lewis Milestones Biografie "Melba" (Wiedersehen in Monte Carlo) über die berühmte australische Opernsängerin Nelly Melba3) (1861 – 1931) mimte sie 1953 die Queen Victoria an der Seite der Protagonistin Patrice Munsel. Als Königinwitwe tauchte sie 1957 in Laurence Oliviers Komödie bzw. Bühnenadaption "The Prince and the Showgirl"2) (Der Prinz und die Tänzerin) auf, zeigte sich als Lady Fitzhugh in Michael Andersons Drama "Shake Hands with the Devil" (1959, Ein Händedruck des Teufels). Unter anderem sah man sie 1960 als Lady Caroline in Philip Leacocks  Literaturverfilmung "Hand in Hand"1), in Richard Fleischers Action-Komödie "The Big Gamble" (1961, Das Große Wagnis) spielte sie die Tante Cathleen und in Stuart Burges Tschechow-Verfilmung "Uncle Vanya" (1963, Onkel Wanja) die Krankenschwester Marina. Im britischen Fernsehen trat sie beispielsweise neben Michael Bates und Cyril Cusack als Mrs. Moore in "Passage to India" (1965, Reise nach Indien) nach dem Roman von E. M. Forster auf sowie fünf Jahre später in "The Great Inimitable Mr. Dickens" (1970), einem Biopic über den berühmten britischen Schriftsteller Charles Dickens2) (1812 – 1870) mit Anthony Hopkins in der Titelrolle.
  
In ihrem letzten Lebensjahrzehnt stand die Schauspielerin nur noch selten auf der Theaterbühne, sie war jedoch nach wie vor in der Öffentlichkeit präsent, hielt Rezitationsabende ab und engagierte sich bis zuletzt für das britische Theater.
Sybil Thorndike, die bereits 1931 in den Adelsstand erhoben wurde und sich seitdem "Dame of the British Empire" nennen durfte, starb am 9. Juni 1976 im hohen Alter von 93 Jahren in London an den Folgen eines Herzanfalls. Die TIMES betitelte damals den Nachruf "A star not only on the stage but life".
Ihre Urne wurde in der Westminster Abbey beigesetzt.
Aus ihrer Ehe mit Lewis Casson hinterließ Dame Sybil Thorndike vier Kinder, die Söhne John (1909 – 1999) und Christopher1) (1912 – 1996) sowie die Töchter Mary (1914 – 2009)) und Ann (1915 – 1990), welche ebenfalls wie Bruder Christopher den Schauspielerberuf ergriffen.
  
Die Charaktermimin hatte sich auch als Schriftstellerin einen Namen gemacht, 1928 veröffentlichte sie das Buch "Religion and the Stage" (dt. "Religion und die Bühne"), gemeinsam mit Bruder Russell eine Biografie über Lilian Baylis. Zuletzt publizierte sie 1973 den Gedichtband "Favourites; a personal selection".
Von ihrem Sohn John Casson erschien 1972 die Biografie "Lewis & Sybil", Sheridan Morley brachte 1977 "Sybil Thorndike: A life in the theatre" auf den Markt.
Siehe auch Wikipedia, www.cyranos.ch
Filmografie bei der Internet Movie Database
Link: 1) Wikipedia (englisch), 2) Wikipedia (deutsch), 3) Kurzportrait innerhalb dieser HP
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