Wirken am Theater (Auszug) / Filmografie / Hörspiel |
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Ulrich Wildgruber wurde am 18. November 1937 als Sohn eines Buchbindemeisters in Bielefeld1) geboren und wuchs auch dort auf. Schon als Schüler begeisterte er sich für das Theater, nach dem Gymnasium, welches er kurz vor dem Abitur beendete, nahm er zunächst ohne rechten Erfolg privaten Schauspielunterricht bei verschiedenen Lehrern (u.a. bei Eduard Marks in Hamburg), hielt sich mit verschiedenen Jobs wie Bauarbeiter und Briefträger über Wasser. | ||||||||||||||
Der CineGraph Lexikon zum deutschsprachigen Film notiert unter anderem: "Für Zadeks schrille Bühnen-Spektakel ist Wildgruber der ideale Protagonist, der Kritiker und Publikum zu Begeisterungsstürmen wie zu Protestrufen veranlasst. Mit eigenwilliger Satzmelodie und einer Betonung, die sich nicht an die Regeln des traditionellen Sprechtheaters hält, mit schwerfälligen und doch blitzartig schnellen Bewegungen verwandelt der "traurige Clown des Schmuddeltheaters" (Hellmuth Karasek1), 1983) selbst tragische Rollen so, dass ihnen noch ein komischer Kern bleibt. Sein "Othello" avanciert zum Theaterskandal der 1970er Jahre. Als Grenzgänger zwischen Komik und Tragik stellt er die "dunklen Triebgründe und jähen Seelenklüfte seiner Shakespeare-Helden in Peter Zadeks Inszenierungen so grell und tobend und plötzlich auch so gebrechlich und zart dar, wie es kein anderer bis heute in unseren ordentlichen Schauspielhäusern vermochte" (Becker, 1985)." Und Hellmuth Karasek schrieb in seinem Artikel "Ein zärtliches Ungeheuer" (DER SPIEGEL 10/1990): "Mit Wildgruber erlebte das "Hamburger Schauspielhaus" 1976 einen der größten (und fruchtbarsten) Skandale der deutschen Nachkriegstheatergeschichte: "Othello". In Zadeks Shakespeare-Inszenierung rackerte, schwitzte, stöhnte und schrie Wildgruber als Othello, halb King Kong, halb tragischer Clown; das Publikum schrie und tobte mit. ( ) die Szene, in der ein abfärbender Mohrenkoloß in wilder Rage eine in Todesangst Zappelnde über die Bühne jagte, wurde zu einer der anrührendsten des modernen Theaters; Schluß war es mit dem schönen Klassiker-Tod auf der Bühne."
Sein triumphaler Erfolg als Staatsschauspieler Bruscon in "Der Theatermacher"1) von Thomas Bernhard1) (1990/91, "Deutsches Schauspielhaus", Hamburg) ließ Benjamin Henrichs1) in DIE ZEIT schwärmen: "Der Theatermacher tritt auf. Wildgruber ist da. Der Satyr ist los. ( ) Wildgruber rast doch irgendwie ruht er sich dabei auch aus. So triumphiert in seinen Auftritten ein Thomas Bernhardsches Paradox: die geniale Routine. Selbst die Schreckens- und Schmerzenssätze holt Herr Bruscon mit hexerhafter Behendigkeit aus den Hosentaschen nicht aus der geschundenen Seele. Die Tobsucht bleibt Aktion, Spektakel sie haust nicht in der Figur. Und so sehen und bejubeln wir eher eine Gesamtausgabe aller Wildgruberischen Herrlichkeiten als einen neuen, fremden Menschen auf der Bühne. Vor mehr als einem Jahrzehnt betrat Ulrich Wildgruber das Hamburger Theater: ein Fremdling, ein Kannibale, ein Schrecken fürs Abonnement. Jetzt ist er der König des Schauspielhauses." → www.zeit.de Ambivalent dagegen war die Kritik über seine Interpretation des Professor Immanuel Raat, genannt "Unrat" in Zadeks Inszenierung von "Der blaue Engel" (1992) nach dem Roman "Professor Unrat"1) von Heinrich Mann1) am Berliner "Theater des Westens"1): "Wildgruber lässt sich irgendwie fallen und treiben, trudelt ziellos durchs ewige Getolle und Gestampfe der Revue- und Massenszenen. Er schleudert ein paar Wildgruber-Blicke, er sägt ein paar Wildgruber-Gesten, er rennt ein paar Wildgruber-Läufe, er vergießt einigen Wildgruber-Schweiß. Und wirkt dabei immer nur fleischesanwesend. Geistesabwesend. Sein Herz, sein Verstand, sein Schauspielergenie sind entflohen, an einen fernen, hoffentlich besseren Ort, während sein Leib drollig über die Berliner Bühne kugelt", so Benjamin Henrichs 1992 in DIE ZEIT. Weitere glanzvolle Auftritte hatte Wildgruber unter anderem mit Titelrollen in dem Drama "Baal"1) von Bertolt Brecht1) (1967, Regie: Hans Neuenfels1); Hamburger "Theater im Zimmer"1)), in der Uraufführung (11.05.1968) des Stücks "Kaspar" von Peter Handke1) über Kaspar Hauser1) (1968, Regie: Günter Büch1), "Städtische Bühnen Oberhausen"1)) sowie in Hamburg am "Deutschen Schauspielhaus in dem Schiller-Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" (1981, Regie: Niels-Peter Rudolph1)) oder als Puntila in dem Brecht-Stück "Herr Puntila und sein Knecht Matti"1) mit Christian Redl als Matti (1983/84, Regie: Frank-Patrick Steckel1)). Eine Auswahl bzw. Übersicht der Rollen und Stücke, mit denen Ulrich Wildgruber Publikum und Kritiker im Verlaufe der Jahrzehnte an den verschiedenen Bühnen zu überzeugen wusste findet, man hier.
Zur Kino-Filmografie Wildgrubers zählt Peter Fleischmanns1) Science-Fiction-Geschichte "Die Hamburger Krankheit"1) (1979). Es folgten eindringliche Randfiguren, so in Peter Zadeks Adaption "Die wilden Fünfziger"1) (1983) nach dem Roman "Hurra, wir leben noch"1) von Johannes Mario Simmel1), in Adolf Winkelmanns1) preisgekröntem Streifen "Super"2) (1982), Christian Ziewers1) historischem Spielfilm "Der Tod des weißen Pferdes"1) (1985), Winkelmanns Krimikomödie "Peng! Du bist tot!"1) (1987), Jan Schüttes1) Kino-Regiedebüt "Drachenfutter"1) (1987) und Andi Engels1) Polithriller "Melancholia"1) (1989). In den 1990ern stand Wildgruber beispielsweise für Ottokar Runzes1) Geschichte "Die Hallo-Sisters"1) (1990) mit den Protagonistinnen Ilse Werner und Gisela May vor der Kamera, an der Seite von Bernhard Wicki drehte er den Episodenfilm "Prinzenbad"2) (1993), in dem semi-dokumentarischer Spielfilm "Les jeux a deux Die Spiele zu zweit" (1995) verkörperte er den Bildhauer Hans Bellmer1). Thematisiert wurde das Leben und Werk der Dichterin und Zeichnerin Unica Zürn1) (Kathi Liehrs), die sich 19. Oktober 1970 in Paris das Leben nahm, und ihre tragische Liebesbeziehung zu dem Surrealisten Hans Bellmer. In der hochkarätig besetzten Produktion "Pakten The Sunset Boys" (1995) mimte er neben den Hollywood-Veteranen Robert Mitchum und Cliff Robertson den Reverend Berger. Erinnerungswürdig bleibt auch sein skrupelloser Giftmischer René in Patrice Chéreaus1) aufwendigem Historiendrama "Die Bartholomäusnacht"1) (1994, "La reine Margot") nach dem Roman "La reine Margot" von Alexandre Dumas d. Ä. an der Seite von Isabelle Adjani1) als die unter dem Namen "La Reine Margot" bekannt gewordene französische Königin Margarete von Valois1). Wildgrubers letzte Arbeiten für das Kino zählten Stefan Ruzowitzkys1) dramatischer Heimatfilm "Die Siebtelbauern"1) (1998) mit der Figur des machthungrigen Großbauern Danninger und Adolf Winkelmanns eher misslungene Komödie "Waschen, schneiden, legen"2) (1999), wo er als wortkarger Vater des Provinz-Friseurs Hans Anton Schatz (Gildo Horn1)) in der Küche sitzt und mit den Augen rollt → Übersicht Kinofilme.
Auf die Frage, ob es für einen Schauspieler besonders schwierig sei, älter zu werden, antwortete Ulrich Wildgruber 1994 in einem Interview: "Eine Stradivari1) wird im Laufe der Jahre vielleicht besser. Aber wenn Du einen Körper hast, der immer fetter wird, der keinen Salto schlagen kann, viele Dinge kann ich gar nicht mehr ausdrücken, selbst wenn ich möchte. Hätte ich das gewusst, ich wäre ja nie Schauspieler geworden. Ich war eigentlich zu faul, Artistik zu lernen, habe somit meinen Beruf nie richtig ausgeführt. Nur wie sich meine Phantasie bewegt, das mag ich."5) Im September 2002 erschienen unter dem Titel "Der Lachszug der Wörter" sowohl bislang unveröffentlichte Gedichte, Assoziationen und Gedanken über Schauspielerei und Rollen, über Schreiben und Form als auch zum Teil schon veröffentlichte Aufsätze, Kolumnen, Notizen und Betrachtungen über Theater und Schriftsteller. In dem Vorwort von Tankred Dorst steht unter anderem: "Er war für mich die Verkörperung der Poesie, anarchisch, nicht einzuordnen in eine bürgerliche Gesellschaft, nicht hineinzudenken in die geordnete Ritterwelt, in der wir leben. Ein Mensch der Rückkehr in die Natur. So ließ er sich von der Natur am Ende auch verschlingen " Neben dem bereits erwähnten "Norddeutschen Theaterpreis" wurde Ulrich Wildgruber 1986 für seine Leistungen mit dem "Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland"1) ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt er in Mülheim als erster Preisträger den "Gordana-Kosanović-Schauspielerpreis"1). 1988 wurde er von der Zeitschrift "Theater heute"1) für seine Darstellung des Dr. Franz Schöning in Frank Wedekinds "Lulu" zum "Schauspieler des Jahres ernannt, 1997 überreichte man ihm in Hamburg die "Plakette der Freien Akademie der Künste"1). Als "zarten Anarchisten", "heimatlosen Taugenichts", "zärtliches Ungeheuer", "tragischen Clown des Schmuddeltheaters" oder "zarten Riesen" haben die Kritiker diesen ruhelosen, phantasievollen Koloss beschrieben, der auf der Bühne durch sein unpathetisches direktes Spiel zwischen Komik und Tragik zu fesseln verstand, und den es nach Beifallsstürmen wie Buhrufen immer wieder in die Einsamkeit trieb. "Ulrich Wildgruber ist ein Spieltriebtäter, den weniger Disziplin und Kalkül beherrschen als Leidenschaft, Risikolust und eine aus störrischer Naivität unermüdlich geschöpfte Neugier. Schwer zu sagen, ob in seiner Laufbahn er das Theater oder das Theater ihn nötiger hatte. Sein rückhaltloses, oft anstößiges Spiel hat Regisseuren wie Peymann, Neuenfels und vor allem Zadek dazu verholfen, Theatergeschichte zu schreiben, mit Konventionen konstruktiv zu brechen. Der eigenwillige Akteur ist ein Gipfelstürmer und Grenzgänger ohne Sicherheitsgurt, er bewegt sich stets auf Messers Schneide, auf dem schmalen Grat des Widerspruchs. Dass Komik die Kehrseite aller Tragik, dass Schwermut der Urgrund allen Leichtsinns ist, hat der anmutige Dickschädel mit fast allen großen Rollen der Dramenliteratur behauptet und bewiesen."6) Seit 2000 wird im Gedenken an den Charaktermimen der "Ulrich-Wildgruber-Preis"1) als Theaterpreis zur Förderung junger Schauspieler verliehen. Sein schriftlicher Nachlass befindet sich im Archiv der Berliner "Akademie der Künste"1) → Ulrich-Wildgruber-Archiv. Der Künstler wohnte von 1975 bis Ende der 1980er Jahre mit seiner Ehefrau, der Lektorin und Dramaturgin Vera Wildgruber, sowie der 1968 geborenen Tochter Olga in Hamburg. Von 1991 bis zu seinem Tod lebte er mit Schauspielerkollegin Martina Gedeck1) in Berlin-Zehlendorf1) zusammen. |
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Textbausteine aus CineGraph Lexikon zum deutschsprachigen Film
sowie prisma.de Weitere Quelle: "Henschel Theaterlexikon"*) Siehe auch Wikipedia und den Artikel von Hellmuth Karasek bei spiegel.de (12.12.1983) |
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*) Henschel Theaterlexikon (Hrsg.
C. Bernd Sucher; Henschel Verlag, 2010, S. 940942)
Fremde Links: 1) Wikipedia, 2) filmportal.de, 3) fernsehserien.de, 4) prisma.de Quellen: 5) Peer Moritz: CineGraph Lexikon zum deutschsprachigen Film 6) aus: Scheffel/Bernhard "Fallen kann ich und fliegen vielleicht!" (Musik & Theater, 2/1991) |
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