Leopold Kramer wurde am 29. September 1869 als Sohn eines Kaufmanns in
Prag1) (Tschechien) geboren. Auf Wunsch des Vaters absolvierte er in
Hamburg eine kaufmännische Ausbildung, nahm jedoch heimlich
Schauspielunterricht bei Ferdinand Kracher1) (1846 1916),
um sich dann anschließend endgültig für "die Bretter, die Welt
bedeuten" zu entscheiden. Am 9. Januar 1894 gab er im
Vorstadttheater von Wien-Rudolfsheim1) sein Bühnendebüt als
Regimentsfeldscher Friedrich Schiller in dem Drama "Die Karlsschüler"
von Heinrich Laube1)
→ zeno.org.
Noch im selben Jahr trat Kramer ein erstes festes Engagement am
"Königlich Städtischen Theater" im mährischen Olmütz1)
(heute Olomouc, Tschechien) an.
Die Verpflichtung (1895/96) in Halle/Saale1) blieb nur ein Intermezzo, im Sommer 1896 ging er für
kurze Zeit ins oberösterreichische Gmunden1).
Bereits im darauffolgenden
Jahr wechselte Kramer an das Wiener "Volkstheater"1),
wo er sich "durch stilvolle Sicherheit in Gebärde, Haltung,
Sprache, vor allem in modernen Stücken auszeichnete."*) Am
6. Mai 1897 gab er mit der Figur des Bauernsohns Arnold von Melchtal in
dem Schiller-Drama "Wilhelm Tell"1) seinen Einstand am "Volkstheater",
um sich wenig später in dem Lustspiel "Der Herr
Senator" von Paul von Schönthan1) und
Gustav Kadelburg1) sowie
dem Volksstück mit Gesang "Der Pfarrer von Kirchfeld"
von Ludwig Anzengruber1)
zu präsentieren.
Leopold Kramer 1916 in Abendkleidung
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1),
18811963); Datierung: 20.06.1916
Quelle/© ÖNB/Wien, Bildarchiv; Inventarnummer 203871-D
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Ludwig Eisenberg1)
(1858 1910) schreibt in seinem 1903 publizierten
Lexikon**):
"Wenngleich man unbedingte Begabung konstatierte, mußte er sich doch
einige Zeit mit kleinen, undankbaren Aufgaben zufrieden geben. Wohl
erbrachte er bereits im November des genannten Jahres in "Erziehung
zur Ehe"2) untrügliche Beweise seiner beachtenswerten
Charakterisierungsgabe, allein erst als Boris Mensky in "Hans Huckebein"3) brach sich, auch für das große Publikum erkenntlich,
mit elementarer Kraft sein sieghaftes Talent Bahn und ein Jahr später
zählte man den jungen Schauspieler bereits zu den besten Darstellern
der Kaiserstadt. Kramer befleißigt sich einer erquickenden Deutlichkeit
der Wortbildung, seine Bewegungen sind natürlich, anspruchslos, stets
der Rede angemessen, und wenn auch gewisse Lieblingsgebärden oft
wiederkehren, so passen sie sich stets der Situation an, und verbinden
sich aufs Innigste mit seiner ganzen Art und Weise, wie sich überhaupt
eine stilvolle Sicherheit im Ton mit natürlicher Anmut und Feinheit
gepaart, an ihm vorteilhaft bemerkbar macht. Im griechischen oder
römischen Kostüm fühlt er sich einigermaßen beeinträchtigt. Dagegen
bewegt er sich im modernen Gewand mit bestechender Eleganz und bietet
Leistungen, die an Wärme und siegreicher Verve mit allzurasch
überboten werden dürften. Kramer erweist sich als ein denkender,
seinen Aufgaben mit scharfem Schauspielerverstand beikommender,
seiner Kunst in hohem Grade mächtiger Künstler, von dessen klar
entwickelten und technisch vollendeten Leistungen stets der warme Hauch
persönlicher Liebenswürdigkeit ausströmt und so kann er, dem es an
einschmeichelnden, warmen, hinreißenden Herzenstönen niemals fehlt,
wohl als Konversationsschauspieler ohne Fehl und Tadel verzeichnet
werden. Groß ist die Zahl seiner Bonvivants und modernen
Charakterrollen."
Eisenberg hebt besonders den Gerichtsadjunkt in dem
zeitkritischen Volksstück "Die Bürgermeisterwahl" von Max Burckhard1) hervor,
den Hans in dem naturalistisches Liebesdrama "Jugend"1)
von Max Halbe1) und die Titelrolle "König Harlekin", einem
"Maskenspiel in vier Aufzügen" von Rudolph Lothar1), das am 14. September 1901
am "Volkstheater" aufgeführt wurde → Artikel von Rudolf Steiner bei anthroposophie.byu.edu (PDF).
Weiterhin wird unter anderem der Bergwerksbesitzer Fritz Liebmann in dem am 27. Oktober 1900 aufgeführten
Bergarbeiterdrama "Schlagende Wetter"
von Marie Eugenie delle Grazie1)
und der Hermann in dem Schauspiel "Die Haubenlerche" von
Ernst von Wildenbruch1)
genannt.
Erfolge feierte Kramer auch in dem Lustspiel "Im bunten Rock"
von Franz von Schönthan1) und
Freiherr von Schlicht1),
zwischen 1902 und Mitte der 1910er Jahre gab er den Leutnant Victor von Hohenegg und
erntete immer wieder positive Kritiken. Für die Wiener "Neue Freie
Presse"4) (19.10.1902) war er der "schneidige Officier, wie ihn Altberlin sich denkt",
das "Wiener Salonblatt"1) (25.10.1902) schrieb "Herr Kramer als Leutnant von Hohenegg war
ihr ein sehr schmucker Partner, und vortrefflich im Spiele, wenn er sich nur das unheimlich rasche Sprechen, im Volksmunde
"Ratschen" genannt, abgewöhnen möchte, das erinnert ja förmlich an einen aufgezogenen Leierkasten."
Jahre später notierte die "Wiener Zeitung"1) (07.09.1914)
"Den Leutnant spielte selbstverständlich Herr Kramer in seinem elegantesten Stil, maßvoll und natürlich."
und für das "Deutsches Volksblatt" (19.09.1915) war er "noch immer den Leutnant-Herzensbezwinger".
→ "Im bunten Rock bei www.karlheinz-everts.de.
Im Laufe seiner Karriere glänzte Kramer darüber hinaus als Graziano in
dem Shakespeare-Stück "Der
Kaufmann von Venedig"1),
als John Tanner in der Komödie "Mensch und Übermensch" von George Bernard Shaw1)
oder als Henri in der Groteske "Der
grüne Kakadu"1) von Arthur Schnitzler1).
Er gestaltete die Titelfiguren in Schnitzlers "Anatol"
sowie in Ferenc Molnárs1) "Der Teufel" ("Az ördög"), einem Drama,
worin eine Schauspielerin aufgefordert wird, ihren langweiligen Ehemann
zu verlassen; 1918 zeigte er sich unter der Regie Mihály Kertész (= Michael Curtiz1))
mit dieser Figur auch auf der stummen
Leinwand. In der Molnár.Komödie "Der Gardeoffizier"
konnte Kramer als Titelheld ebenfalls Publikum und Kritik überzeugen.
Leopold Kramer in
(Datierung: 27.09.1918) |
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Kramer blieb dem Wiener "Volkstheater" bis Mitte der 1910er Jahre verbunden, wirkte dort zuletzt auch als Oberregisseur. 1918 ging
er nach Prag und übernahm für knapp zehn Jahre bis 1927 die Direktion des "Deutschen
Landestheaters", "das er unter politisch schwierigsten
Umständen unter Einbüßung seines Privatvermögens künstlerisch in
die Höhe brachte."*) Zugleich
war er hier als Oberregisseur tätig. Danach nahm er zur Spielzeit 1927/28 in Berlin ein Engagement an der "Tribüne"1) an,
gastierte anschließend an verschiedenen deutschen Bühnen.
Bereits früh interessierte sich Kramer für das neue Medium Kinematographie und war erstmals am 20. November 1913 in der Uraufführung
des Streifens "Johann Strauß an der schönen blauen Donau"1)
auf der Leinwand zu sehen; in der Künstlerbiografie von (Regie) und mit Carl von Zeska1)
(Johann Strauss
(Sohn)1))) traten neben den
Schauspielern zudem zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten aus Wiens
Adel und Gesellschaft in Erscheinung. Doch erst ab 1917 arbeitete Kramer
regelmäßiger für den Film, spielte auch in einigen Streifen von Mihály Kertész,
der später in den USA als "Michael Curtiz"1)
Furore machen sollte. In dem Kriminaldrama "Das
Auge des Buddha"1) (1919) zeigte er sich neben
Fritz Kortner, nach
dem Streifen "Alte Zeit, neue Zeit" (1919) machte Kramer zunächst eine längere Pause vom Filmgeschäft.
Erst während seines Berlin-Aufenthaltes 1927/28
übernahm er wieder Aufgaben vor der Kamera, mimte unter anderem in
dem von Erich Waschneck
inszenierten Streifen "Die geheime Macht"6) (1928), "einer explosiven Mischung aus Politthriller,
Melodram und Actionfilm"7),
den russischen Emigranten Fürst Balyzin, gehörte zur
Besetzung von Robert Wienes1) Melodram "Die Frau auf der Folter"6) (1928).
Einen seiner letzten Stummfilme drehte er mit Regisseur Hanns Schwarz1)
und spielte in dem Melodram um einen verarmten
ungarischen Aristokraten mit dem Titel "Ungarische Rhapsodie"1) (1928) an
der Seite von Lil Dagover,
Willy Fritsch und
Dita Parlo
den Graf Koppany.
Den Übergang zum Tonfilm schaffte Kramer aufgrund seiner
Bühnenerfahrung problemlos, gab auch in seinen
nachfolgenden Filmen zumeist Honoratioren und Adelige aller Art. So
mimte er für Georg Jacoby1) in der musikalischen
Komödie "Geld auf der Straße"1) (1930)
den Bankier Emil Reimbacher, Gemahl von Lona (Rosa Albach-Retty) und
Vater von Dodo (Lydia Pollmann8)),
gedreht nach dem Lustspiel von Rudolf Bernauer1)
und Rudolf Österreicher1). In dem deutsch-österreichischen Krimi bzw. der von
Karel Lamač1) in Szene gesetzten
Verfilmung "Der Hexer" (1932)
nach dem Roman "The Ringer" von Edgar Wallace1) zeigte er sich als
Polizeiarzt Dr. Lomond, in dem wegen der freizügigen
Szenen Aufsehen erregenden Melodram "Ekstase"1) (1932) tauchte er an der Seite
der Protagonistin Hedy Kiesler (= Hedy Lamarr5)) als deren Vater auf. Nach den Produktionen "Zwei gute Kameraden" (1933)
und "Rakoczy-Marsch" (1933) stand Kramer
nur noch ein Mal vor der Kamera und spielte in Kurt Gerrons amüsanten
Geschichte "Bretter, die die Welt bedeuten"1) (1935) einen Bürgermeister
→ Übersicht Filmografie.
Leopold Kramer 1916 in einem Mantel mit Cape mit Pelzkragen, Filzhut tragend
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1),
18811963); Datierung: 20.06.1916
Quelle/© ÖNB/Wien, Bildarchiv; Inventarnummer 203866-D |
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1935 wurde dem inzwischen über 65-jährigen Künstler erneut
eine Direktion angeboten, diesmal von den "Vereinigten Deutschen Theatern" im tschechischen
Brünn1)
(heute Brno), eine Funktion, die er bis 1938 ausübte. Wegen seiner jüdischen Abstammung
wurde er dann von den Nazis mit einem Arbeitsverbot belegt; notgedungen
zog sich Kramer in den Ruhestand nach Wien1) zurück. Dort starb er am 29. Oktober 1942 im Alter von 73 Jahren
an den Folgen eines Magendurchbruchs.
Die letzte Ruhe fand er auf dem "Ober
Sankt Veiter Friedhof"1) (Gruppe C, Reihe 22, Nr. 6) im 13. Wiener Gemeindebezirk
Hietzing1) → Foto der
Grabstelle bei knerger.de.
Hier wurde auch später seine nicht minder bekannte Ehefrau Pepi Kramer-Glöckner
(1874 1954) beigesetzt, mit der er seit Mai 1900 (nach anderen Quellen 1897)
verheiratet war und die sich in diversen Inszenierungen ihres Mannes
zeigte; auch bei dem Kinofilm "Bretter, die die Welt bedeuten"
(1935) wirkte sie neben ihrem Mann mit.
Leopold Kramer galt als Förderer zahlreicher Wiener Schauspielgrößen, darunter die Brüder
Paul Hörbiger
und Attila Hörbiger sowie die
Ehefrau des Letztgenannten, Paula Wessely.
Porträt des Leopold Kramer 1918
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1),
18811963); Datierung: 27.09.1918
Quelle/© ÖNB/Wien, Bildarchiv; Inventarnummer
204135-D |
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