Sandmännchen
Es gibt Niemand in der ganzen Welt, der so viele Geschichten weiß als der Sandmann! Er kann ordentlich erzählen. Gegen Abend, wenn die Kinder noch am Tische oder auf ihrem Schemel sitzen, kommt der Sandmann; er kommt die Treppe sachte herauf, denn er geht auf Socken; er macht ganz leise die Türen auf und husch! da spritzt er den Kindern süße Milch in die Augen hinein, und das so fein, aber immer genug, dass die Augen nicht offen halten und ihn deshalb auch nicht sehen können. Er schleicht sich gerade hinter sie, bläst ihnen sachte in den Nacken, und dann werden sie schwer im Kopf. … So beginnt das Märchen "Der Sandmann" des dänischen Dichters Hans Christian Andersen1) (1805 – 1875).
 
Der kleine Kobold heißt in der Original-Geschichte "Ole Lukųje", was so viel heißt wie "Ole Augenschließer", am 22. November 1959 wurde die Märchenfigur im DDR-Fernsehen visualisiert, mit Bart und spitzer Zipfelmütze (Ähnlichkeiten mit Staatsoberhaupt Walter Ulbricht sollen allerdings reiner Zufall gewesen sein) erzählte "Unser Sandmännchen" den Kindern um kurz vor sieben eine Gute-Nacht-Geschichte und verstreute am Ende feinen Zaubersand. Damit war der ostdeutsche "Deutsche Fernsehfunk" (DFF) seinen westlichen Konkurrenten um eine Nasenlänge voraus, der "Sender Freies Berlin" (SFB) schickte eine Trickfilm-Handpuppe erst ab 1. Dezember 1959 unter dem Titel "Sandmännchens Gruß für Kinder" ins Rennen. Die Idee zu einem "Fernseh-Sandmann" stammte Anfang 1959 von Dr. Ilse Obrig1) vom "Sender Freies Berlin" (SFB), die bereits den Radio-Vorläufer "Abendlied" beim Ost-Berliner Rundfunk erfand, aus dem 1958 der "DFF-Abendgruß" entstand.
 
Die Journalistin und Kinderfunkredakteurin Dr. Ilse Obrig (1908 – 1978) hatte mit Kinderfernsehen viel Erfahrung, ihre Tätigkeit für den Kinderfunk begann bereits 1928 beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig, ab 1936 war sie auch für die Berliner Sender tätig. Ihre Sendereihe "Familie Fröhlich" erlangte große Bekanntheit. Zwischen 1945 und 1949 beteiligte sich Ilse Obrig am Aufbau des Kinderfunks im (Ost-)Berliner Rundfunk, bevor sie 1950/51 zum RIAS und NWDR wechselte und beim NWDR dann am Aufbau des Kinderfernsehens mitwirkte. Unter anderem moderierte sie zwischen 1953 und 1972 die nachmittägliche 30-minütige "Kinderstunde mit Dr. Ilse Obrig", wo sie vor kindlichen Publikum mit Bastelanleitungen, Sing- und Melodienspielen, Vorlesereihen, Turnübungen oder Zauberkunststücken die kleinen Zuschauer erfreute. Von 1954 bis zu ihrer Pensionierung 1973 war Ilse Obrig als Leiterin der Kinderredaktion beim SFB tätig; 1951 gründete sie in Berlin das "Klingende Haus", ein Institut für Musische Erziehung. (Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv)
 
Gemeinsam mit ihrer engen Mitarbeiterin, der Puppengestalterin bzw. Autorin Johanna Schüppel, schuf Ilse Obrig also Anfang 1959 das "Sandmännchen", doch die Macher des DDR-Fernsehens unter dem damaligen Programmdirektor Walter Heynowski1) hatten davon Wind bekommen und produzierten die erste Folge des "Ost-Sandmännchens" – täglich um 18.55 Uhr wurde der niedliche, 24 cm große animierte Wichtel fortan zum festen Ritual für Millionen von kleinen Zuschauern. Der Bühnen- und Kostümbildner Gerhard Behrendt1) (1929 – 2006) schuf die gewünschte "Sandmann"-Figur in nur zwei Wochen mit aufwendiger Trickfilmtechnik, die Kulissen und die zahlreichen, zum Teil utopischen Fahrzeuge – beispielsweise U-Boote, Raketen, Trabbis, Rikschas, Hubschrauber, Flugfahrräder, Fischkutter, Surfbretter, Kürbiskutschen, Mondmobile, Heißluftballons – baute der Szenenbildner Harald Serowski1) (1929 – 2005). Das von einem Kinderchor gesungene "Abendgruß-Lied "Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht so weit! Wir senden erst den Abendgruß, eh' jedes Kind ins Bettchen muss …" stammte von dem Komponisten Wolfgang Richter1) (1928 – 2004), der Text von dem Autor Walter Krumbach1) (1917 – 1985).
In den "Abendgruß"-Filmen, die von der Rahmenhandlung eingeschlossen waren, erschienen zum Beispiel Pittiplatsch und Schnatterinchen (ein Kobold und eine Ente) sowie Moppi (ein Hund), Herr Fuchs und Frau Elster, Borstel (ein Igel), oder später Plumps (ein Wasserkobold) und das Küken erlangten Kultstatus. Andere waren zum Beispiel Meister Briefmarke, Tadeus Punkt und Struppi oder Frau Puppendoktor Pille (die zu Elternbeschwerden wegen des Reimes "Frau Puppendoktor Pille mit der großen klugen Brille" führte, weshalb dieser zu "mit der großen runden Brille" abgeändert wurde). Viele dieser Gestalten kamen auch in anderen Kindersendungen des DDR-Fernsehens wie "Zu Besuch im Märchenland" vor.2).
 
Das West-"Sandmännchen" war nicht minder beliebt, auch hier wurden die Kinder mit einem Lied auf die Nacht eingestimmt. Nach "Nun liebe Kinder gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht." folgte ein kurzer Einspielfilm, mit "Auf Wiederseh'n und schlaft recht schön" wurden sie in süße Träume entlassen; die Melodie stammte von dem Komponisten und Orchesterleiter Kurt Drabek1), der Text von der Redakteurin Helga Mauersberger3), welche auch die Produktion betreute. Namhafte Autoren wie Janosch1) und James Krüss1) oder prominente Schauspieler wie Uwe Friedrichsen4) oder Cornelia Froboess4) arbeiteten für das "Sandmännchen". Die "Augsburger Puppenkiste"1) brachte bis zu 800 Folgen verschiedenster Serien ein, Kult in der damaligen Bundesrepublik waren Mitte der 1960 Jahre die "Sandmännchen"-Geschichten "Hilde, Teddy und Puppi" mit Hilde Nocker4) (1965), in den 1970er und 1980er Jahren die Legetrickfilme um die beiden Schweinchen "Piggeldy und Frederick"1) sowie den "Tierbabysitter" mit der markanten Stimme von Volker Lechtenbrink4). Ab Anfang 1980er Jahre wurden unter der Leitung von Arno Alexander vom NDR von verschiedenen Künstlern neue Vorspänne für das "Sandmännchen" entwickelt. Am 31. März 1989 wurde die Sendung im Zuge einer veränderten Struktur des NDR-Vorabendprogramms eingestellt, doch nach Protesten von Eltern und Kindern schon nach kurzer Zeit wieder ins Programm genommen. (Quelle u.a. www.welt-des-wissens.com)
 
Ein Jahr lang war sein Schicksal ungewiss. Am 14. Oktober 1990 dann geschah etwas Ungeheuerliches: Der Sandmann fiel aus. Man hatte ihn wegen der Landtagswahlen einfach vergessen! Die Reaktion kam prompt. Die "Junge Welt" schleuderte dem bayerischen Fernseh-Oberabwickler Rudolf Mühlfenzl ins Gesicht: "Wenn Sie in diesem Land an einem Mann scheitern können, dann ist es der Sandmann!" Das Sandmännchen sollte nicht dran glauben! "Es ist einfach ungeheuer gemein, den Sandmann abzuschießen" und "Wir wollen unser Sandmännchen behalten", stand in Hunderten von Kinderbriefen. Der ostdeutsche Wicht und seine Macher, die eigentlich still und leise mit Filmen zum Einschlafen auf Sendung bleiben wollten, gerieten ins Fegefeuer der Politik. Die Protestwelle schwoll an. Während nach dem West-Sandmann kein Hahn krähte, trafen in Adlershof die Proteste gleich kiloweise ein. Eine Warnung an jeden ignoranten Programmgestalter. Unser Sandmännchen abwickeln? Niemals! schrieb unter anderem Liane von Billerbeck in dem Artikel "Zeitgenosse Sandmann" in DIE ZEIT (Nr. 35/1993)
Die damals neugegründete "Sandmann Studio Trickfilm GmbH" entschied sich, den Ostsandmann weiter zu produzieren. Heute werden die beliebten Rahmenhandlungen im "gläsernen Sandmannstudio" in Potsdam Babelsberg gedreht. Bei den aufwendigen Produktionen befinden sich die teilnehmenden Figuren und Requisiten in einem Szenenbild und werden dort von einer Animatorin bewegt. Diese muss jede Bewegung der Puppen in Einzelbilder auflösen. Damit der Zuschauer den Eindruck einer fortwährenden Bewegung hat, müssen bei einem Fernsehbild 25 einzelne Bilder pro Sekunde hintereinander zu sehen sein. Was in einer Minute über den Bildschirm flimmert, dafür ist die Animatorin eine ganze Woche am Werk.
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Bis zur Wiedervereinigung gab es somit zwei "Sandmännchen" – eines für den Osten und eines für den Westen, die jedoch eins gemeinsam hatten, sowohl in Ost als auch West wurde das Sandmännchen jeweils als kleiner Mann mit weißem Bart und Zipfelmütze dargestellt. Es erscheint in einer Rahmenhandlung vor bzw. nach einem Kurzfilm und streut am Ende jeder Sendung seinen Schlafsand, um den Kindern angenehme Träume zu schenken. (…) Heute läuft das Sandmännchen im MDR, im RBB und vor allem im Kinderkanal KI.KA. Zu den altbekannten Figuren des Ost-Sandmännchens wie Pittiplatsch und Schnatterinchen oder Herrn Fuchs und Frau Elster gesellten sich neue Figuren wie "Kalli", "Die drei kleinen Spürnasen", "Die obercoole Südpolgang", "Ebb und Flo", "Rabe Socke"1), "Miffy"1) und "Der kleine König"1). Auch Figuren des westdeutschen Sandmännchens wie "Piggeldy und Frederick" wurden ins Programm des vereinigten Sandmännchens integriert. Die Rahmenhandlungen mit dem Sandmännchen werden zunehmend nicht mehr als reine Puppentrickfilme, sondern mit Hilfe von Computeranimationen produziert, und verlagern sich zunehmend ins Reich der Kinderzimmer-Fantasien.2)
Anlässlich des 50. Geburtstages des "Sandmännchens" kommt Ende September 2010 der animierte Film "Das Sandmännchen – Abenteuer im Traumland" in die Kinos und somit avanciert der Knirps mit den Knopfaugen und Zipfelmütze zum Leinwandstar. Erzählt wird die Geschichte, wie der Traumsand von einem bösen Alptraum gestohlen wird. Der Sandmann versucht, den Traumsand wieder zu bekommen und erhält dabei Unterstützung von zwei Kindern aus der realen Welt → kinderfilm-online.de.
  
Umfangreiche Informationen bei www.sandmaennchen.de (u.a. auch mit Kurzportraits zu den "Machern")
Siehe auch Wikipedia, www.tv-nostalgie.de,
www.fernsehserien.de
Weitere Links bei www.wunschliste.de
Link: 1) Wikipedia, 3) whoswho.de, 4) Kurzportrait innerhalb dieser HP
Quelle: 2) Wikipedia, 5) www.3sat.de (Seite nicht mehr abrufbar)
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