Inhalt:
Beim Dorffest macht man sich einen Spaß daraus, François,
der auf jeden Trick hereinfällt, unter Alkohol zu setzen. Die
anschließende nächtliche Zustellfahrt und der Kampf mit dem störrischen
Drahtesel enden in einem Eisenbahnwagen, wo die Amtsperson
ihren Rausch ausschläft. Doch das Fest zeigt ungeahnte Folgen.
In angeheiterter Stimmung hatte
François nämlich einen Kurzfilm über die rasante
Postverteilung in den Vereinigten Staaten gesehen und die
artistische Arbeitsweise seiner vorbildlichen amerikanischen Kollegen.
Angestachelt von den Schaustellern Marcel und Roger, die mit dem Tollpatsch
auf
ihrem Karussell üben, durch den milden Spott der Dorfbewohner bei seiner Ehre gepackt,
führt er nun das hypermoderne System in die Beschaulichkeit der französischen Provinz ein.
"Rapidité" ist sein Schlachtruf. Das alte
Fahrrad wird ihm Motorrad, Helikopter und Flugzeug.
Schwungvoll springt er auf und ab, die Posttasche mit kühnem Wurf
um die Schulter kreisen lassend. Kreischend stieben Hühner und Gänse
auseinander, wenn er naht. Selbst Schweine verschont er nicht, wenn
sie sich ihm in den Weg stellen. Briefe zu überreichen, bleibt keine
Zeit, von einem Schwätzchen ganz zu schweigen. Er spießt sie auf
Mistgabeln, steckt sie in Mähdrescher, klemmt sie unter gestutzte Pferdeschwänze.
Ein Päckchen
schiebt er dem Metzger geradewegs unter das erhobene Beil,
der den darin zugesandten Schuhen die Spitzen abschlägt. Briefe
geruhsam in der Poststube zu stempeln, wie es die verschlafenen
Kollegen tun, das lehnt er nun ab.
Er klemmt sich mit dem Drahtesel hinter einen fahrenden
Lastwagen, dessen heruntergeklappte Ladeluke den Schreibtisch
ersetzt. Auf einer Zustellrunde überholt er gar mit dem Ruf
"Rapidité" ein Team der "Tour de France".
Hat er mit seinem Fahrrad doch von jeher auf Kriegsfuß gestanden, so geschieht bei aller
Geschwindigkeit schließlich das Unvermeidliche. Als er es mit einem Motorrad aufnehmen will, verliert
François die Kontrolle und landet im Bach. Pudelnass
und abgekühlt zieht er es vor, einem Bauern bei der Ernte
zu helfen. Dessen kleiner Sohn verteilt unterdessen durchgeweichte Post. Die
Schausteller ziehen ab, der Frieden kehrt wieder ein. Der Fortschritt ist an
Sainte-Sévère noch einmal glimpflich vorübergegangen.
Quelle: Video-Edition "Atlas und Zweitausendeins"
Kritiken:
"Lexikon des internationalen Films" → filmdienst.de:
Eine unendlich liebevoll gezeichnete
Dorfchronik voller witziger Beobachtungen, mit der Tati ein ebenso
zärtliches wie poetisches Meisterwerk geschaffen hat.
"Tati ruft beim Zuschauer ganz andere
Reaktionen hervor als etwa Chaplin. Wenn man den am Boden zerstörten
Charlie gerade bedauern will, überrascht er immer noch durch seinen
beglückenden Einfallsreichtum. Tati gewährt niemals derlei tiefe
Einblicke in das Innenleben von Hulot oder François, der sich in
Tatis Schützenfest auch viel zu oft ändert, um eindeutig beschrieben und analysiert zu
werden."
"
beeindruckend sind die beiläufigen Hinweise,
die eine keatonsche Angst vor den unbelebten Objekten
belegen. Das entfernte Läuten einer Kuhglocke, die
an den Weidenzaun stößt; die Äpfel, die auf
François herabregnen, als er gegen den Baum fährt,
der Postsack, der um seine Schultern rotiert, und
das Glockenseil, das jeden in die Luft hebt, der läuten will.
Diese Kleinigkeiten produzieren zusammen das unnachahmliche Flair des
Films."
Brent Maddock: " Die Filme von Jacques Tati", München 1984
"Tatis Schützenfest, diese erste wunderbare
Filmkomödie, ist kein Thesenfilm. Tati hat keine Theorie
der Gesellschaft mit Gags illustriert, er gehört zu den ganz
großen in der Filmgeschichte der
Kinematographie, weil er einfach ein glänzender Beobachter war.
So wird denn auch, in
Tatis Schützenfest, so gut wie in Die Ferien des Monsieur Hulot
oder Mon oncle, keine jeweils modische Meinung
illustriert, es werden liebevoll Beobachtungen addiert.
Tati hat einen unbestechlichen Blick für das Komische
des Alltags, sein melancholisches Temperament hat dies in
tragisch-komischen Bildwitzen gebündelt."
Michael Schwarze, FAZ
Anmerkung:
Der Film wurde 1947 in Farbe gedreht und sollte der erste
französische Farbfilm nach dem Zweiten Weltkrieg
werden. Nach der Entwicklung stellte sich heraus, dass
vom Farb-Original keine Farbkopien gezogen werden
konnten und lediglich dem Misstrauen von Tatis Kameramann Jacques Mercanton
war es zu verdanken, dass der ganze Film mit einer zweiten Schwarzweißkamera
zur Sicherheit mitgedreht worden
war; deshalb kam der Film in Schwarz-Weiß in die Kinos.
1964 kam der Film noch einmal in die Kinos, diesmal
in einer teilweise nachkolorierten Fassung. Erst 1995 gelang
es Jacques Tatis Tochter Sophie-Catherine Tatischeff1)
(1946 – 2001), die damals auch als Cutterin arbeitete, und dem
Dokumentarfilmer François Ede, vom Originalmaterial Farbkopien
herzustellen und damit den Film so in die Kinos zu bringen, wie er von Tati gedacht war.
Die SW-Kopie war 85 Minuten lang, da zwei Szenen aus Tatis
Kurzfilm "Die Schule der Briefträger"2)
(1947, "L'école des facteurs") eingebaut wurden,
in der Farbkopie verzichtete man darauf.
Siehe auch dieterwunderlich.de,
prisma.de,
Wikipedia
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