Ortrud Beginnen 01; Copyright Virginia Shue Die Schauspielerin, Kabarettistin, Diseuse, Autorin und Regisseurin Ortrud Beginnen erblickte am 5. Februar 1938 als Ortrud Elsa Elisabeth Beginnen in der Hansestadt Hamburg das Licht der Welt. Die Tochter einer ledigen Opernchoristin und glühenden Wagner-Verehrerin – daher die Taufnamen Ortrud Elsa Elisabeth – wuchs nach Ende des 1. Weltkrieges als Flüchtlingskind in Schleswig-Holstein auf dem Land bei den Großeltern auf. Schon bald reifte in ihr der Wunsch, Schauspielerin zu werden, weil dies die einzige Möglichkeit sei, "diese traurige Kindheit verlassen zu können" wie sie in einem Interview1) bemerkte. Nach dem Abitur machte sie jedoch zunächst eine Ausbildung zur Bibliothekarin und war kurze Zeit in diesem Beruf tätig. Doch dann verfolgte sie ihren Plan, Schauspielerin zu werden, bewarb sich beim Schauspielseminar der "Hamburger Kammerspiele", musste jedoch bei der staatlichen Eignungsprüfung eine Ablehnung hinnehmen. "Ihr Vorsprech-Programm war außergewöhnlich und kennzeichnete bereits die spätere künstlerische Arbeit: Sie rezitierte das "Vater unser" und sang "Nur nicht aus Liebe weinen"." notiert das "Henschel Theaterlexikon"*).
Mit der Übersiedlung nach Berlin im Jahre 1964 bzw. als sie von dem französischen Regisseur Paul Vasil für das Theater entdeckt wurde, stellten sich die ersten Erfolge ein. Ihr Bühnendebüt gab Ortrud Beginnen 1965 in dem Stück "Die Messerköpfe" von Marcel Aymé2), 1970 übernahm sie mit Paul Vasil die Leitung des Westberliner Off-Theaters "Theater im Reichskabarett", wo sie auch als Autorin und Regisseurin bis Mitte der 1970er Jahre mit Programmen wie "Vita dolorosa", "Dracula" oder "Auf, auf zum Forum!" große Erfolge feierte.
 
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Sie avancierte zur Muse der "68er Off-Szene", wegen ihres so genannten "Trivialtheater-Stils" heftete man ihr bald den ironischen Spitznamen "Die Duse vom Ludwigkirchplatz" an. Zudem wurden ihre ironisch-hintergründigen Interpretation des klassisch-deutschen Liedguts, die sie 1972 mit ihrem ersten Soloprogramm "Letzte Rose" präsentierte, zu ihrem Markenzeichen. "Besonders im Visier hatte sie bei ihren Attacken auf das brave und anständige Gemüt stets den tüchtigen und karrierebewußten deutschen Mann und den Soldaten."***) Bundesweite, aber auch internationale Aufmerksamkeit erlangte sie 1974 mit ihrer Kriegsrevue "Fronttheater", die zusammen mit dem Musiker Jürgen Knieper2) und der Schauspielerin Waltraut Habicht2) entstanden war und mit denen sie durch die Bundesrepublik tourte.
1976 verlieh ihr die Stadt Mainz den "Deutschen Kleinkunstpreis"2), im selben Jahr wurde Ortrud Beginnen von Intendant Claus Peymann2) als Ensemblemitglied nach Stuttgart an das "Württembergische Staatstheater"2) geholt. Hier erregte sie beispielsweise Aufsehen als der (kahlköpfig gespielte!) alte Herr Escalus in der Shakespeare-Komödie "Maß für Maß"2). Als Peymann dann 1979 als Nachfolger von Peter Zadek2) die Intendanz des "Schauspielhaus Bochum"2) übernahm, ging die Künstlerin mit ihm und profilierte sich dort bis 1986 sowohl in Stücken von Gotthold Ephraim Lessing2) als auch von Bertolt Brecht2) oder Herbert Achternbusch2) als Ernst zu nehmende, dennoch unkonventionelle Charakterdarstellerin. Daneben entwickelte sie weiter eigene Bühneprogramme, unter dem Titel "Ich will Deine Kameradin sein" stellte sie deutsche Soldatenlieder aus zwei Jahrhunderten vor, gastierte unter anderem in New York, London, Rom und Florenz.

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Ortrud Beginnen 02; Copyright Virginia Shue
Als sie 1979 das Programm beim "Theaterfestival in Nancy" präsentierte, kam es zu einem Eklat: Mit dem Vorwurf, sie habe sich mit "Nazi-Liedern eingeschlichen", wurde das Gastspiel nach nur drei Vorstellungen vorzeitig abgebrochen. In einem Interview mit der Wochenzeitung DIE ZElT nahm sie am 5. September 1980 dazu Stellung und äußerte: "… ich war bisher der Meinung, dass die Art meines Vortrags hinlänglich klarmacht, dass ich diese Lieder nicht etwa gutheiße, sondern entlarven möchte" → www.ortrudbeginnen.de.
1983 feierte die zusammen mit ihrem damaligen ständigen Begleiter, dem US-amerikanischen Regisseur James Edward Lyons3) entwickelte Dienstmädchensage "Minna oder wie man dazu gemacht wird"3) in Bochum mit Beginnen in der Titelrolle Premiere, zwei Jahre später folgte die Fortsetzung "Minna II oder die Magd des Schicksals" und schließlich 1985 "Minna auf Mallorca"3) – drei Produktionen, die als "Minna-Trilogie" bekannt wurden; während der Zeit in Bochum entstand zusammen mit Lyons auch das Programm "Wie werde ich reich und glücklich?" (1986). Wichtige Rollen am "Schauspielhaus Bochum" waren unter anderem die (zigarrenrauchende) Sittah in Lessings Drama "Nathan der Weise"2) (1981, Regie: Claus Peymann), die Maria Concepta in Brendan Behans2) unvollendet gebliebenen Theaterstück "Richard Korkbein" (1983, Regie: Walter Bockmayer2)) und die entnervende Noahin in der Uraufführung (14.09.1984) von Herbert Achternbuschs Stück "Sintflut" (Regie: Axel Manthey2)) →www.zeit,de.
Nach ihrem Weggang aus Bochum arbeitete Ortrud Beginnen an verschiedenen Häusern, so beispielsweise bei Pina Bausch in Wuppertal, am Wiener "Burgtheater" und 1987 erneut am "Bochumer Schauspielhaus", wo sie unter der Regie von James Edward Lyons sowie mit Hilfe des Pianisten bzw. Komponisten Alfons Nowacki2) eine musikalische Bearbeitung von Wilhelm Buschs " Die fromme Helene" präsentierte.
Ortrud Beginnen 03; Copyright Virginia Shue Zur Spielzeit 1989/90 folgte Ortrud Beginnen für zwei Jahre einem Ruf an das von Michael Bogdanov2) geleitete "Deutsche Schauspielhaus" in Hamburg und brillierte auch dort in verschiedenen Charakterrollen. Zu nennen sind unter anderem die Figur des General Cartwright in Frank Loessers Musical "Guys and Dolls"2) (1990, Regie: Michael Bogdanov), das vom Autor Klaus Pohl2) selbst in Szene gesetzte Stück "Karate-Billi kehrt zurück" (UA: 16.05.1991) und Werner Schwabs2) Drama "Volksvernichtung" (1992) mit der Rolle der Frau Grollfeuer. Sie beeindruckte in Kleists Tragikomödie "Amphitryon"2), Thomas Bernhards Stück "Der Theatermacher"2), Peter Turrinis2) Schauspiel "Tod und Teufel" mit dem Untertitel "Eine Kolportage" – hier als Diva Susi Nicoletti4) – oder war in Tschechows gesellschaftskritischen Komödie "Der Kirschgarten"2) zu sehen. Ebenfalls am "Deutschen Schauspielhaus" zeigte sie unter der Regie von James Edward Lyons ihr Soloprogramm "1000 Jahre Deutscher Humor"3) (1991) → www.zeit.de.
 
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Nachdem Michael Bogdanov das "Deutsche Schauspielhaus" in Hamburg 1993 endgültig verlassen hatte, wechselte Ortrud Beginnen erneut nach Stuttgart an das "Staatstheater" und präsentierte anlässlich des Einstands von Schauspieldirektor Friedrich Schirmer2) zusammen mit Gustav-Peter Wöhler2) und Elke Czischek die Aufführung der in Hamburg entstandenen bissigen Heimatrevue "Wir Mädel singen. Eine deutsche Angelegenheit"3) (1993) – einmal mehr unter der Regie von James Edward Lyons. Die abgründige und theatralische Satire über das Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern erhielt durch die Angriffe auf ein Asylbewerberheim im sächsischen Hoyerswerda2) im September 1991 sowie den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen2) im September 1992 eine besondere Brisanz. In Stuttgart brachte sie zudem den Chansonabend "Eine verführerische Frau"3) (1995/96) auf die Bühne, sang zur Musik von Uli Bühl Texte des Dramatikers Michael Zochow2). Positive Kritiken erhielt sie auch für ihre Verkörperung der Maria Callas4) in Terrence McNallys2) Broadway-Erfolgsstück bzw. Hommage an die legendäre Sopranistin mit dem Titel "Meisterklasse" (1996/97; Regie: James Edward Lyons). Das "Schwäbische Tagblatt" (03.12.1996) schrieb damals unter anderem: "Ortrud Beginnen, ein zerbrechlicher, antibürgerlicher Kultstar der großstädtischen Außenseiterszene, mit gezirpten Diseusen-Tönen, großen Flattergesten und deren kleinen Abstürzen zwischen Kabarett und beiläufiger Tschechow-Menschentiefe. Sie spielt die witzig despotische, vom Wahrheitsfanatismus in einsame Kunsthöhen getriebene Ex-Operndiva der falschen und der echten Töne (…). Sie holt sie mit surrealen Koketterien zu sich heran und hält sie gleichzeitig mit allen Arten von Verfremdungstechnik meilenweit von sich fern."*)  
Ebenfalls 1997 fand das im Wiener Schloss Schönbrunn uraufgeführte satirische Programm "Ein Zacken aus der Krone" mit dem Untertitel "ein monarchistischer Abend" Beachtung, eine Co-Produktion der "Wiener Festwochen" und des "Burgtheaters". Hier "erfand sie sich eine Traumrolle, die geheimnisumwitterte Wiedergeburt einer legendären Schauspielerin und Diva als wahre Königin von jenem Österreich, das doch nur auf dem Theater existiert." notierte die "Berliner Zeitung" (21.01.1999) in einem Nachruf. Zusammen mit James Lyons inszenierte sie 1998 in Graz beim "Steirischen Herbst"2) die Uraufführung von Luigi Fortes Komödie "Störung", zeigte sich in Stuttgart unter der Regie von Wilfried Minks als neureiche Nachbarin Mrs. Nugent in der Uraufführung (1997) der Bühnenversion von Patrick McCabes2) Roman "Der Schlächterbursche"5) – es sollten ihre letzte Arbeiten für das Theater sein.
 
Ortrud Beginnen machte immer mal wieder Ausflüge zu Film und Fernsehen, ihr Leinwanddebüt hatte sie mit der Rolle des Mädchens in Roland Klicks auf dem Hamburger Kiez gedrehten Erstlingsfilm "Jimmy Orpheus"2) (1966) gegeben. Weitere Kinoproduktionen waren unter anderem Lothar Lamberts Krimi-Drama "1 Berlin-Harlem" (1974), Wolfgang Petersens Thriller "Einer von uns beiden"2) (1974), Helmer von Lützelburgs Satire "Im Himmel ist die Hölle los"2) (1984), Walter Bockmayers Parodie auf traditionelle Heimatfilme "Die Geierwally"2) (1988) sowie Loriots Meisterwerk "Pappa ante Portas"2) (1991), wo sie als liebestolle Nachbarin Gertrud Mielke auftauchte. Auf dem Bildschirm zeigte sie sich neben diversen Serien-Episodenrollen als Erna in Rainer Werner Fassbinders schwarzen Komödie bzw. beklemmenden Studie über Macht und Unterdrückung "Martha"2) (1974) neben den Protagonisten Margit Carstensen und Karlheinz Böhm. Letzte TV-Auftritte hatte sie als ehemalige Gemeindeschwester Hermine in der ersten "Bella Block"2)-Folge "Die Kommissarin"6) (1994), als Brückenwirtin in Michael Hanekes Kafka-Adaption "Das Schloß"2) (1997) und als Renate Dohse in der Episode "Gewonnen, gewonnen"6) (1997) aus der Serie "Lukas"6).
 
Ortrud Beginnen war eine vielseitige, facettenreiche Schauspielerin, deren Repertoire Charakterrollen wie humoristische Darbietungen umfasste. 1995 kürte die Zeitschrift "Theater heute" sie zusammen mit ihren beiden Partnerinnen Hilke Ruthner (Grete) und Ursula Höpfner2) (Mariedl) für ihre Gestaltung der mütterlich-bornierten Erna in der preisgekrönten Wiener "Burgtheater"-Produktion bzw. dem bösen "Putzfrauenstück" "Die Präsidentinnen" des österreichischen Dichters Werner Schwab zur "Schauspielerin des Jahres"2) → www.berliner-schauspielschule.de.
Als Folge eines schweren Krebsleidens starb Ortrud Beginnen am 19. Januar 1999 in Stuttgart im Alter von nur 60 Jahren; die letzte Ruhe fand sie in ihrer Geburtsstadt Hamburg auf dem dortigen Friedhof Ohlsdorf → Foto der Grabstelle bei knerger.de.
Bereits im Herbst 1975 hatte sie ihre Erinnerungen "Guck mal, schielt ja!" mit dem Untertitel "Manuskripte aus dem Katastrophenkoffer" auf den Markt gebracht.
Seit 16. Juli 2004 erinnert ein "Stern" auf dem Mainzer "Walk of Fame des Kabaretts"2) an eine viel zu früh verstorbene, bemerkenswerte Künstlerin, welche die Zeitschrift "Theater heute" 1999 als "Improvisationsgenie mit dem Chaos als Methode" bezeichnete. Und DER SPIEGEL" (4/1999) schrieb in einem kurzen Nachruf: "Auf deutschen Bühnen war sie ein Unikum, kein glatter Typ, eher eine skurrile Type. Schon jung zur komischen Alten tendierend, spielte Ortrud Beginnen (…) die schrägen und verhuschten Weibsbilder, unter deren scheinbarer Alltäglichkeit immer Wahn und Weh hausen. (…) …bereicherte die Spielpläne mit eigenen Musik-Programmen, die unnachahmlich zwischen erfrischendem Aberwitz und milder Agitation oszillierten."
Quelle (unter anderem*)**)): Wikipedia, "Deutsches Bühnen-Jahrbuch 2000"***)
sowie www.ortrudbeginnen.de
*) Henschel Theaterlexikon (Henschel Verlag, 2010, S. 58)
**) Langen Müller's Schauspielerlexikon der Gegenwart (München 1986, S. 51)
***) Deutsches Bühnen-Jahrbuch 2000. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressenbuch (S. 846)
1) Interview vom 05.09.1980 mit André Müller in "DIE ZEIT", nachzulesen bei www.ortrudbeginnen.de
Link: 2) Wikipedia, 3) jameslyons.de, 4) Kurzportrait innerhalb dieser HP, 5) www.dieterwunderlich.de, 6) fernsehserien.de
Filme (Auszug)
Filmografie bei der Internet Movie Database, filmportal.de

(Link: Wikipedia, filmportal.de, fernsehserien.de, Die Krimihomepage, Beschreibung innerhalb dieser HP, prisma.de)
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