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Fünf Jahre wirkte Kutschera im Ensemble der "Meininger"1), nach
anfänglichen kleineren Parts glänzte er dort bald sowohl im klassischen als
auch heiteren Fach und gab meist jugendliche Helden und Liebhaber. So
erlebte man ihn unter anderem als Ritter Hippolyt in dem Schiller-Trauerspiel "Die Braut von
Messina"1), als Fürst der
Sciambrier Thuiskomar in dem Kleist-Drama "Die Hermannsschlacht"1),
als Rosenkranz in der Shakespeare-Tragödie "Hamlet"1) oder als Jaromir in
dem Drama "Die Ahnfrau"1) von Franz Grillparzer1).
Aber auch in verschiedenen Lustspielen
beispielsweise als Baron von Zinnow
in "Hasemanns Töchter" von Adolph L’Arronge1)
(→ zeno.org) oder als Baron
Wedding in "Die Schulreiterin" von Emil Pohl1). Rasch
entwickelte sich
Kutschera zu einem vielbeachteten Charaktermimen, der vor allem
in Schiller-Dramen zu überzeugen wusste, so als zwiegespaltener Max Piccolomini1)
in "Wallenstein"1), als
idealistischer Karl Moor in "Die Räuber"1)
oder als Arnold von Melchtal1) in "Wilhelm Tell"1). Seine
Schauspielkunst zeigte er auch außerhalb von Meiningen, mit dem Ensemble
bereiste er halb Europa: Ende des 19. Jahrhunderts folgte ein Siegeszug
der "Meininger" durch Europa. Die "Meininger Gastspiele"
wurden zur Legende. Das Ensemble reiste von 1874 bis 1890 ein logistisches Meisterstück mit
samt Bühnenbildern, Requisiten
und Kostümen per Bahn durch 39 Städte, von London bis Kiew mit 2591 Vorstellungen überwiegend
Werke von Shakespeare, Schiller und Goethe wurden aus der gefühlsentleerten
Inszenierungskonvention herausgeführt. konnte man unter anderem bei
der ehemaligen Website theater-meiningen.de lesen.
Foto: Viktor Kutschera
auf einer Fotografie von Viktor Angerer1) (1839 1894)
Quelle: Wikipedia
bzw. Wikimedia Commons;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei)
siehe hier |
1889 ging Kutschera nach Wien zurück, trat ein Engagement am gerade erst eröffneten
"Deutschen Volkstheater"1), dem heutigen
"Volkstheater", an und debütierte dort am 12. September als Prinz in
dem Drama "Maria Magdalena" von Paul Lindau1). Das
"Deutsche Volkstheater" sollte für die nächsten Jahrzehnte
Kutscheras künstlerische Heimat bleiben, lediglich zwischen 1895 und 1898
gehörte er zum Ensemble des "Burgtheaters"1).
Nach seiner erfolgreichen Meininger Zeit avancierte der Schauspieler in Wien
als "temperamentvoller, strahlender Heldendarsteller"*) zum Publikumsmagneten,
deckte in insgesamt 541 Stücken fast die gesamte
Palette des klassischen wie modernen Rollenrepertoires ab. Wegen seiner lebensnahen, gefühlsechten und volksverbundenen
Interpretationskunst wurde er von Kritikern und Zuschauern gleichermaßen
hochgeschätzt, zu seinen Paraderollen zählten vor allem die
Schiller-Helden wie, bereits in Meiningen der Karl Moor in "Die Räuber"1),
der Mortimer in "Maria Stuart"1) und die Titelrolle
des Demetrius1),
falscher Sohn des Zaren Iwan,
in dem Dramen-Fragment "Demetrius"1).
Aber auch als Feldherr Marc Anton1) in
der Shakespeare-Tragödie "Julius Cäsar"1) oder als
Heinrich von Navarra1) in
dem Schauspiel "Die Bluthochzeit"
von Albert Lindner1)
über die Bartholomäusnacht1)
wusste Kutschera zu
begeistern.
Viktor Kutschera 1923
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek1)
(ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1)
(18811963); Datierung: 13.04.1923
© ÖNB/Wien, Bildarchiv (Inventarnummer
204430-D)
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Ludwig Eisenberg1)
(1858 – 1910) schreibt in seinem 1903 publizierten Lexikon**):
"Es war dies ein bedeutungsvoller Abschnitt in seiner künstlerischen
Wirksamkeit, denn bisher gewöhnt, vornehmlich in der Klassik aufzutreten,
musste er sich jetzt in dem vielgestaltigen Repertoire des "Deutschen
Volkstheaters" zurecht finden. Doch dies gelang ihm erstaunlich
schnell. Er debütierte als Prinz in "Maria und Magdalena" von
Lindau, hierauf als Heinrich von Navarra in "Bluthochzeit" und nun
kamen in rascher Folge modernes Stück wie Klassik, Lustspiel wie
Bauernkomödie. In allem erschien er als Mann auf seinem Posten und rasch
wurde Kutschera der Liebling des Wiener Publikums. Er hat keine
Spezialität, Heute ein feuriger Jaromir (Anm.: in "Die
Ahnfrau"1) von Franz Grillparzer1)),
bietet er morgen wieder eine liebenswürdige Salonfigur, unterstützt durch
die geschickte Behandlung des Österreichischen in den Komödien, die auf
heimischem Boden spielen, und überrascht ein anderes Mal als
charakteristische, fernhafte Gestalt im Volksstück, in dem es ihm unter
anderem glückte als "Pfarrer von Kirchfeld"
(Anm.: von von Ludwig Anzengruber1))
eine ausgeglichene ganz im Sinne des Dichters geschaffene Darbietung
vorzuführen. So wirkte der Künstler bis 1895, in welchem Jahre er
eine Berufung an das "Hofburgtheater" erhielt. Es konnte niemand
Wunder nehmen, daß er trotz der bevorzugten Stellung, die er am
"Volkstheater" seit sechs Jahren genoß, den Lockungen dieser
vornehmen Kunststätte Folge leistete."
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1895 holte Max Buckhard1)
(1854 – 1912), damaliger Direktor des
"k.k. Hofburgtheaters" (heute "Burgtheater"1)),
den Vollblutmimen für drei Spielzeiten an die berühmte Bühne, wo
Kutschera beispielsweise als Schiller'scher "Don Karlos"1)
und als Shakespeare-Held Romeo in "Romeo und Julia"1)
brillierte. Er gestaltete auch am 9. Oktober 1895 den jungen
Fritz Lobheimer in der Uraufführung des Frühwerks "Liebelei"1)
von Arthur Schnitzler1)
sowie ein Jahr später bei der Premiere am 3. Oktober 1896 das
Fritzchen in "Morituri" von Hermann Sudermann1),
einem aus den drei Einaktern "Teja", "Fritzchen" und
"Das ewig Männliche" bestehendem Schauspiel.
Da Kutschera am "Hofburgtheater" jedoch nicht die erhoffte
Resonanz fand, ging er 1898 an das "Deutsche Volkstheater"
zurück und stellte dort immer wieder seine schauspielerische Bandbreite
unter Beweis. Er spielte im klassischen und modernen Drama, im Volks- und Salonstück und im Lustspiel Naturburschen, Liebhaber,
Helden und später "Väterrollen", ernste und komische
Chargen. Immer Realist, schuf Kutschera ohne jede Übertreibung, scharf charakterisierend,
geradlinige und liebenswürdige Gestalten. Komplizierte Naturen gelangen ihm
weniger.*)
Darüber hinaus trat Kutschera am "Deutschen Volkstheater" auch
als Regisseur in Erscheinung und inszenierte einige Stücke.
Viktor Kutschera 1889
Fotograf: Rudolf Krziwanek1) (18431905)
→ theatermuseum.at;
veröffentlicht in der Zeitschrift
"Sport & Salon"1) (06.12.1900, S. 12)
Quelle: Wikimedia Commons
von anno.onb.ac.at;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei)
siehe hier
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Ludwig Eisenberg1)
(1858 1910) führt in seinem 1903 publizierten Lexikon**)
weiter aus: Er betrat die "Hofbühne" als "Don Karlos" und hatte einen entschiedenen Erfolg zu verzeichnen. Wenngleich seine
Leistungen daselbst stets reichliche Anerkennung fanden und er sich namentlich bei Aufführung Anzengruberscher
Volksstücke besonders bewährte, fand er doch nicht den erhofften Wirkungskreis und kehrte 1889 als "Pfarrer" von
seinen treuen Verehrern freudig begrüßt, an die Stätte seiner unbedingten und unbestrittenen Erfolge wieder zurück.
Kutschera hat seit dieser Zeit so manche schwierige künstlerische Aufgabe, wenn sie auch nicht immer seiner
schauspielerischen Eigenart entsprach, in geradezuu tadelloser Art und Weise gelöst und längst den Beweis erbracht, daß er infolge seines starken Talentes den beliebtesten Wiener Künstlern zuzuzählen ist.
Aus der Reihe seiner Leistungen, die seine vielfache Verwendbarkeit, die seine Charakterisierungskunst zur Genüge
erhärten, seien nebst seinen Anzengruberschen Gestalten erwähnt "Kaplan" in "Jugend"
(Anm.: Kaplan Gregor von Schigorski in "Jugend"1)
von Max Halbe1)),
"Theaterarzt" in "Star" (Anm.: "Der Star.
Ein Wiener Stück in vier Akten" von Hermann Bahr1)), "Osvald" in
"Gespenster"1), Hermann in "Haubenlerche"
(Anm.:"Die Haubenlerche" von Ernst von Wildenbruch"1)), "Rustan"
(Anm.: Jäger Rustan in "Der Traum ein Leben"1) von Franz Grillparzer1)), "Demetrius"1)
".
Viktor Kutschera gehörte auch zu den Pionieren des österreichischen Films.
Bereits 1912 wirkte er in der ersten Großproduktion der "Wiener Kunstfilm"1)
bzw. dem Stummfilm "Der Unbekannte"1) mit, basierend auf einem Kriminal-Drama von
Oskar Bendiener1).
Regie führte nach Bendieners Drehbuch Luise Kolm1), (später Ehefrau
des Regisseurs und
Produzenten Jakob Fleck1)),
neben anderen Wiener Theaterstars wie
Eugénie Bernay1),
Karl Ehmann1) oder
Karl Blasel1)
mimte er den Bankkassierer Herrn Reimann an der Seite von Hans Lackner1) in der Rolle des unbekannten Banknotenfälschers.
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Nach einer längeren Pause zeigte er sich
erst wieder 1918 in dem von Conrad Wiene1)
in Szene gesetzten Melodram "Der letzte Erbe von Lassa"1)
auf der noch stummen Leinwand und schlüpfte diesmal in die Rolle des
Grafen von Lassa, Vater der von Tilly Kutschera1) dargestellten Komtesse von Lassa auch im realen Leben seine Tochter. Zwischen 1920 und 1922 folgten regelmäßig eine
Reihe weiterer melodramatischer Produktionen, mit denen er
jedoch nicht den Ruhm seiner Bühnenerfolge erringen konnte. Meist stellte
er Herren der Gesellschaft in Streifen dar, die allein schon vom Titel
her die Zuschauer anlocken sollten. Beispielsweise entstand nach dem Roman "Glanz
und Elend der Kurtisanen"1) von Honoré de Balzac1) die
Geschichte "Morel,
der Meister der Kette"1) (1920)
mit Louis Ralph als Ex-Sträfling Morel (im Roman Jakob Collin), der zudem mit Conrad Wiene
Regie führte. Für Cornelius Hintner1)
spielte er in dem abenteuerlichen Drama
"Die Würghand"1) (1920)
den Vater des Bauern Hannes, genannt "die Würghand" (Hugo Werner-Kahle1)), und zeigte sich an der
Seite der als Schönheit geltenden und heute
vergessenen österreichischen Stummfilm-Diva Carmen Cartellieri.
Mit dieser stand er auch für das Sci-Fiction-Abenteuer "Parema Das Wesen aus der Sternenwelt" (1922)
und das heute nur noch fragmentarisch erhaltene Werk "Die Puppe des
Maharadscha" (1924) vor der Kamera.
Viktor Kutschera 1923
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek1)
(ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1)
(18811963); Datierung: 13.04.1923
© ÖNB/Wien, Bildarchiv (Inventarnummer
204432-D)
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Eine kleine Aufgabe als Bettler übernahm er unter anderem in der von Hans Steinhoff1) nach Motiven der gleichnamigen
Novelle1) von Gottfried Keller1) mit
Hermann Thimig (Schneider Jaro Strapinsky)
und Dora Kaiser (Nettchen)
realisierten Adaption "Kleider
machen Leute"1) (1921). Im
Folgejahr präsentierte er sich als Antonio Quirini in dem Historienfilm "Meriota,
die Tänzerin1) (1922), der von Julius Herzka1) gedrehten Geschichte einer
Liebesbeziehung zwischen Cesare Borgia1) (Oskar Beregi)
und der von Maria Minzenti1) dargestellten Tänzerin Meriota (Merista) vor dem Hintergrund
der Sitten und Kulturgeschichte
des 15. Jahrhunderts unter anderem gab Theater-Kollege Max Devrient als
Papst Alexander VI.1) den Vater von Cesare Borgia und Lucrezia Borgia1) (Nora Gregor). Es
folgten Auftritte in Produktionen wie "Das
Bildnis"1) (1923). Regie: Jacques Feyder1)) mit Arlette Marchal1) in der Hauptrolle
oder "Das
verbotene Land"1) (1924, Regie: Friedrich Fehér)
nach dem Roman "Jeanne qui rit et Jeanne qui pleurt" von Philippe Dumanoir1) und Ange de Keranion
mit Stummfilm-Star Vilma Bánky1).
Anschließend trat Kutschera nur noch sporadisch vor die Kamera, so als Chef
des russischen Spionagedienstes in dem als "Oberst Redls Erben"
untertitelten Historienfilm "Die Brandstifter
Europas"1) (1926), in dem
Regisseur Max Neufeld1)
mit sich selbst als der legendäre "Wunderheiler" Rasputin1),
Robert Valberg1)
als k.u.k. Spion Oberst Alfred Redl1)
sowie unter anderem Bruder Eugen Neufeld
als Großfürst Nikolai Romanow1)
die Ereignisse darstellte, die auf russischer Seite zum Ausbruch des
1. Weltkriegs1)
führten. Nach einem Drehbuch von Walter Reisch1)
realisierte Karl Leiter1)
mit Friedl Haerlin
und Bruno Kastner
in den Hauptrollen das Drama "Seine Hoheit, der Eintänzer"1) (1927),
in dem sich Kutschera als "ein Fremder" zeigte, mit dem Part
des fürstlichen Erzbischofs Roncourt trat er an der Seite des Protagonisten Igo Sym
in Max Neufelds mit Zwischentiteln aufwartenden Stummfilm-Operette
"Erzherzog Johann"2) (1928;
Verleihtitel Deutschland: "Herzog Hansl") in Erscheinung, mit der
der Regisseur dem "volksverbundenen" Erzherzog Johann
von Österreich1) (1782 – 1859)
ein Denkmal setzte; danach beendete Kutschera vorerst seine Ausflüge auf
die Leinwand → Übersicht Stummfilme.
Lediglich in dem futuristischen Tonfilm "Die vom 17er Haus"2) (1932),
von Artur Berger1)
gedreht als Wahl-Werbefilm im Auftrag der "Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei" 1) (SDAP)
für die
Landtags-
und Gemeinderatswahl1) in Wien am
24. April 1932, übernahm er noch einmal eine kleinere Rolle.
Nur ein knappes Jahr später starb Viktor Kutschera am 20. Januar 1933 im
Alter von 69 Jahren in seiner Geburtsstadt Wien. Die letzte Ruhe fand der gefeierte
Theaterschauspieler auf dem dortigen "Zentralfriedhof"1) (Gruppe 30 D, Reihe 1, Nummer 25) in einem
ihm ehrenhalber gewidmeten
Grab1); bereits am 13. April 1923 hatte man ihn
mit der "Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien"1)
geehrt. Seit 1960 erinnert der "Viktor-Kutschera-Platz" im
14. Wiener Gemeindebezirk Penzing1) an
ihn, versehen mit der
Kurzbeschreibung "gefeierter Schauspieler am Volkstheater".
Kutschera gehörte zu den Gründern des "Österreichischen Bühnenvereins",
der später im "Filmbund"1)
aufging.
Er war seit 1890 (oder 1900) mit seiner Kollegin Elsa Sedlmayr1)
(1867 1946) verheiratet, die ihrem Ehemann zuliebe ihre eigene Karriere aufgab. Aus der Verbindung
gingen zwei Kinder hervor. die am 29. November 1890 geborene Tochter Mathilde Kutschera1)
, genannt "Tilly", wurde ebenfalls Schauspielerin, wirkte am "Hofburgtheater" und
spielte zudem in zwei Stummfilmen. Sie schied am 22. Juni 1920 aus heute
unbekannten Gründen erst 29-jährig durch Freitod aus dem Leben.
Viktor Kutschera, fotografiert im "Atelier Willinger"
von Wilhelm Willinger1) (1879 1943)
Quelle: theatermuseum.at;
Inv. Nr.: FS_PE115212alt
© KHM-Museumsverband; Lizenz:
CC BY-NC-SA 4.0
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