Lotte Lenya wurde am 18. Oktober 1898 als Karoline Wilhelmine
Charlotte Blamauer in Wien1),
damals Österreich-Ungarn1)
geboren. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen im heutigen 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing1)
(Ameisgasse 38 → Gedenktafel), verbrachte die Tochter eines
Fiakerkutschers und einer Waschfrau eine leidvolle Kindheit bzw. Jugend, da ihr
trunksüchtiger Vater sie oftmals schlug und misshandelte. Schon früh
interessierte sie sich für das Theater, sie floh aus ihrem tristen
Elternhaus, kam als 15-Jährige nach Zürich1),
um bei einer Tante zu leben, die sie aber nicht auf Dauer aufnahm, Denoch
blieb sie Zürich, begann dort, noch unter ihrem
Geburtsnamen, eine Schauspiel- und Tanzkarriere, stand unter
anderem gemeinsam mit Elisabeth Bergner auf der Bühne.
1921 kam sie nach
Berlin, nannte sich auf Anraten des Schauspielers und Theaterregisseurs Richard Révy1),
der die Nachwuchs-Mimin förderte, fortan "Lotte Lenya". Zunächst hielt
sie sich in Berlin mit Gelegenheitsjobs und kleinen Bühnenrollen über
Wasser, als sie 1924 durch die Freundschaft mit dem Dramatiker Georg Kaiser1) den jungen Komponisten Kurt Weill1)
(1900 1950) kennen und lieben lernte, begann eine
Weltkarriere; 1926 heiratete das gegensätzliche Paar.
Lotte Lenya, Urheber Carl Van Vechten1) (1880 1964)
Quelle: Wikimedia
Commons (Published: 13.02.1962)
aus der
"Carl
Van Vechten Photographs"-Sammlung der
"Library
of Congress1) (Reproduktions-Nr. III TT 14); laut
der
Bibliothek gibt es keine
bekannten Copyright-Einschränkungen
in der Verwendung dieses Werkes. |
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Ein Jahr später trat sie in dem von Bertolt Brecht1) getexteten und
Kurt Weill vertonten "Berliner
Requiem & Mahagonny Songspiel"1),
das später zur Oper "Aufstieg und Fall der Stadt
Mahagonny"1) (kurz
"Mahagonny") wurde, beim Musikfest in
Baden-Baden1) in der Uraufführung (17.07.1927)
zum ersten Mal als Weill-Sängerin auf und avancierte rasch zum
Star. Am 31. August 1928 übernahm sie seit der Uraufführung des
berühmten Stücks "Die
Dreigroschenoper"1) von
Brecht/Weill im Berliner
"Theater am Schiffbauerdamm"1) die Rolle der
"Spelunken-Jenny" an der Seite von Harald Paulsen
(1895 1954) als Mackie Messer, Erich Ponto
(1884 1957) als Bettler Peachum und Roma Bahn
(1896 1975) als Polly Peachum, In ihren Erinnerungen
schrieb Lotte Lenya, dass die Produktion unter keinem guten Stern stand und
in der Stadt Gerüchte über ein "völlig unzugängliches" Stück,
das Brecht geschrieben habe, verbreitet wurden. Eine weitere Panne passierte
mit dem Besetzungszettel1),
der Name von Lotte Lenya wurde versehentlich weggelassen. Noch heute gehören
die Ballade der "Seeräuber-Jenny"1) und
die "Die
Moritat von Mackie Messer"1) zu den bekanntesten
bzw. am häufigsten interpretierten Lieder Brechts. Die Figur der Jenny gab Lotte Lenya
zudem in "Die 3-Groschen-Oper"1) (1931), der freien
Verfilmung
des Brecht/Weill-Werkes durch Georg Wilhelm Pabst1),
diesmal verkörperte Rudolf Forster den Mackie Messer.
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"Die 3-Groschen-Oper" (1931); Szenenfotos mit Lotte Lenya als Jenny
sowie (Foto 4) mit Rudolf Forster als Mackie Messer
Quelle: cyranos.ch
bzw. Archiv "Praesens-Film AG" Zürich; mit freundlicher Genehmigung
von Peter Gassmann (Praesens-Film AG,
Zürich) © Praesens-Film AG |
Brecht und Weill schrieben bzw. komponierten für Lotte Lenya in der
Folgezeit zahlreiche Lieder, mit denen sie auch international bekannt und
erfolgreich wurde. Sie selbst bezeichnete ihre Stimme als "eine Oktave
unter der Kehlkopfentzündung", charakterisierte ihre Darbietung mit
den Worten "Man weiß immer, worüber ich singe. Es ist klar, glasklar.
Der Grundgedanke ist zu fühlen. Ohne Dreh. So ehrlich zu sein, wie man
kann."
Ein weiterer Erfolg für Lenya wurde die Berliner Aufführung der Oper
"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny"1) 1931. 1932 spielte sie in diesem Stück
auch in Wien und lernte dort den österreichischen Tenor
Otto Pasetti1)
(1902 ?) kennen, der bis 1934 ihr Liebhaber war. Dies führte zur
vorübergehenden Trennung von Weill. Anfang 1933 reichte Lotte Lenya die
Scheidung von Kurt Weill ein. Im Juni 1933 trat sie gemeinsam mit dem Tenor
Otto Pasetti in der Pariser Uraufführung des gesungenen Balletts "Die
sieben Todsünden"1) von Weill und Brecht auf. In dieser Zeit hatte sie
ein Verhältnis mit der Tänzerin Tilly Losch1). Weill emigrierte in diesem Jahr nach Paris; Lotte Lenya konnte
Weills Besitztümer
teilweise vor der Konfiskation durch das NS-Regime retten. Mit Otto Pasetti
lebte sie bis zum Sommer 1934, als die Affäre zu Ende ging, an der französischen Riviera
(Côte d’Azur1)).2)
Nach der so genannten "Machtergreifung"1)
der Nationalsozialisten1)
am 30. Januar 1933 reichte Lenya in Berlin-Charlottenburg1)
die Scheidung ein. Die Gründe dafür dürften einerseits in der Affäre
zwischen Lenya und dem Tenor Otto Pasetti gelegen haben, andererseits zeichnete
sich bereits für Kurt Weill die Flucht aus Deutschland ab. Die Scheidung
ermöglichte Lenya, Weills Besitztümer wenigstens teilweise vor der
Konfiszierung durch die Nazis zu retten. "Lotte Lenya hatte dann eine
kurze Liaison mit dem Maler Max Ernst1), kehrte jedoch
im April 1935 zu
Kurt Weill zurück, erklärtermaßen, um bei ihm zu bleiben. Sie lebten zunächst
in London. Im Sommer 1935 folgte Weill einem Engagement nach Salzburg, von
wo aus er Lotte Lenya seinen Entschluss mitteilte, in die Vereinigten Staaten zu reisen. Er lud sie ein,
mit ihm zu kommen. 1935 verließen Weill
und Lotte Lenya Europa gemeinsam von Cherbourg1)
aus. Sie erreichten auf der "RSS Majestic"1)
am 10. September 1935
New York City1). Im Januar 1937 heirateten sie vor dem Standesamt von Westchester County1) zum zweiten Mal."2)
Lotte Lenya sang in Nachtclubs in New York, spielte unter der Regie von Max Reinhardt1) in "The
Eternal Road"1) ("Der Weg der
Verheißung"), einem Monumental-Drama bzw. jüdischem Oratorium von Franz Werfel1),
zu dem Weill die Musik komponiert hatte, seit der New :Yorker Uraufführung am 7. Januar 1937
die Miriam. Während ihr Ehemann mit Maxwell Anderson1) und
Ira Gershwin1) Musicals erarbeitete, ging auf Theatertourneen quer
durch die Vereinigten Staaten. Am 21. Mai 1941 kaufte sie mit Weill das
"Brook House" in New City1) (South Mountain Road), etwa eine
Autostunde von New York City
entfernt. Dort hatten beide fortan ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Ihr
unmittelbarer Nachbar war der Dramatiker Maxwell Anderson, daneben lebten zahlreiche weitere Künstler in New City. Sie
spielte auch in Stücken von Maxwell Anderson, der einer der erfolgreichsten
Theaterautoren der 1930er Jahre war. Nach dem Misserfolg in der im Florenz des Jahres 1535
angesiedelten Broadway1)-Operette
"The Firebrand of Florence"3)
über den von Earl Wrightson (1916 1993) dargestellten Bildhauer Benvenuto Cellini1)
nach der Vorlage "The Firebrand
" von Edwin Justus Mayer1) mit der Musik von Kurt Weill und
Liedtexten von Ira Gershwin (→ Wikipedia (englisch)) im
Frühjahr 1945 hier gab Lotte Lenya die Herzogin zog sie sich als Schauspielerin weitgehend zurück, da sie wegen
ihres Akzents keine weiteren Erfolgschancen sah." notiert unter anderem
Wikipedia2).
Auch nach dem frühen Tod von Kurt Weill1) er starb rund vier
Wochen nach seinem 51. Geburtstag am 3. April 1950 in New York City1) blieb Lotte Lenya in der US-amerikanischen Metropole.
Seit Anfang der 1950er Jahre feierte sie in Amerika erneut Triumphe als
"Seeräuber-Jenny", trat im Rundfunk auf, ging auf Tournee,
spielte zahlreiche Schallplatten mit Weill-Liedern ein, wurde zur
wichtigsten sowie authentischsten Interpretin der Lieder Brechts und Kurt
Weills; bis heute lässt sie so die Werke ihres Ehemannes unvergessen und
lebendig bleiben. Daneben wirkte sie Theater, glänzte unter anderem in den
1960er Jahren auch in Deutschland im Sommer 1965 bei den "Ruhrfestspielen"1)
in Recklinghausen1) mit der
Titelfigur in dem Brecht-Drama "Mutter
Courage und ihre Kinder"1)
in einer Inszenierung von Harry Buckwitz1). Bei der Uraufführung des
von Harold Prince1) in Szene gesetzten Musicals "Cabaret"1)
von John Kander1) (Musik),
Fred Ebb1) (Liedtexte)
und Joe Masteroff1) (Buch) nach dem Schauspiel
"I Am a Camera" (1951) von John Van Druten1),
wiederum basierend auf den autobiographischen Romanen "Mr
Norris Changes Trains"1) (1935)
und "Goodbye
to Berlin"1) (1939) von Christopher Isherwood1), am 20. November 1966 im New Yorker "Broadhurst Theatre" waren
sowohl Kritiker als auch Publikum von ihrer Interpretation der eher
kleinen Rolle der Berliner Pensionswirtin Fräulein Schneider tief
beeindruckt in den Hauptrollen der mit acht "Tony Awards"1)
ausgezeichneten Produktion sah man Jill Haworth1) als
Sally Bowles und Joel Grey1) als
Conférencier, der übrigens diese Rolle auch in der gleichnamigen
Verfilmung1) (1972) an der Seite von Liza Minnelli übernahm; das Fräulein Schneider
spielte Elisabeth Neumann1).
Nur wenige Male nutzten die Filmemacher seit ihrem Leinwanddebüt in "Die 3-Groschen-Oper"1) (1931)
das schauspielerische Potenzial der
Künstlerin bzw. trat Lotte Lenya vor die Filmkamera, verzeichnete jedoch auch hier
mit diesen sporadischen Auftritten Erfolge. Für ihre Darstellung der zwielichtigen
Contessa Magda Gonzales in dem von
José Quintero (1924 1999) nach dem Roman von Tennessee Williams1) mit
Vivien Leigh und
Warren Beatty in Szene gesetzten
Liebes-Drama "Der
römische Frühling der Mrs. Stone"1) (1961,
"The Roman Spring of Mrs. Stone") erhielt sie eine "Golden
Globe"1)- bzw. "Oscar"1)-Nominierung jeweils als "Beste Nebendarstellerin";
beide Male unterlag sie jedoch ihrer Konkurrentin Rita Moreno1) in "West Side Story"1). Ungeheure
Aufmerksamkeit bzw. Popularität erlangte sie mit der Figur der
skrupellos-sadistischen Obristin Rosa Klebb,
ehemalige Abteilungsleiterin des sowjetischen Geheimdiensts, die heimlich
zur Terrororganisation "PHANTOM" (im Original "S.P.E.C.T.R.E."1))
von Ernst Stavro Blofeld1) (Anthony Dawson1)) übergelaufen ist, in dem von
Terence Young1) nach dem gleichnamigen
Roman1) von Ian Fleming1) gedrehten Bond-Streifen "Liebesgrüße aus Moskau"1) (1963,
"From Russia with Love") an der Seite von Sean Connery als
Geheimagent 007 James Bond1).
Unvergessen die Szene, in der Klebb als Zimmermädchen getarnt versucht, Bond mit einer
in ihrem rechten Schuh versteckten Giftklinge zu töten; Lenya war zwar für
einen "Laurel Award"1) in der Kategorie
"Beste weibliche Nebenrolle" nominiert, belegte jedoch nur den
dritten Platz.
Als Kupplerin Emma Valadier trat sie in
Sidney Lumets1) Psychodrama "Ein
Hauch von Sinnlichkeit"1) (1969,
"The Appointment") in Erscheinung, Omar Sharif spielte den
Rechtsanwalt Federico Fendi, der sich in die die schöne
Carla (Anouk Aimée), Freundin seines
Freundes Renzo (Fausto Tozzi1)) verliebt, diese heiratet und sie mit seiner Eifersucht in den
Selbstmord treibt. In der Komödie "Zwei
ausgebuffte Profis"1)
(1977, "Semi-Tough") tauchte sie dann neben den Protagonisten Burt Reynolds,
Kris Kristofferson1) und Jill Clayburgh1) als Clara Pelf auf → Übersicht
Filmografie.
Nach dem Tod ihres Ehemannes Kurt Weill heiratete Lotte Lenya noch drei Mal:
1951 ehelichte sie den homosexuellen Schriftsteller George Davis4)
(1906 1957), nach dessen Tod er starb erst 51-jährig
am 25. November 1957 in Berlin an den Folgen eines Herzinfarktes
gab sie im Alter
von 64 Jahren am 2. November 1962 dem 26 Jahre jüngeren,
am 7. Februar 1925 in Altoona1)
(Pennsylvania1))
geborenen, ebenfals homosexuellen Kunstmaler Russell Detwiler das Ja-Wort, der am 30. Oktober 1969 nach
einem Sturz, hervorgerufen durch Alkoholmissbrauch, nur 44-jährig verstarb.
Die letzte Ehe ging sie am 9. Juni 1971 mit dem Dokumentarfilmer,
TV-Produzenten und Kritiker Richard Siemanowski ein, von dem sie sich am 6. Juni 1973
wegen dessen Alkoholproblemen wieder scheiden ließ.5)
Die faszinierende Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya erlag am
27. November 1981 kurz nach ihrem 83. Geburtstag in
New York City1) ihrem Krebsleiden. Ihr Grab befindet sich neben der
letzten Ruhestätte ihres ersten Ehemannes Kurt Weill auf dem "Mount
Repose Cemetery" in Haverstraw1) (New York) → Foto der
Grabstelle bei knerger.de.
Seit dem 7. Juli 1999 erinnert in Berlin-Charlottenburg1) der
"Lotte-Lenya-Bogen" an die berühmte Künstlerin, 2002 wurde in
Wien im 14. Bezirk Penzing1),
dem Viertel ihrer Kindheit, der "Lotte-Lenya-Platz" nach ihr
benannt.
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Von dem US-amerikanischen Autor Donald Spoto1) erschien 1990 die Biografie "Die
Seeräuber-Jenny. Das bewegte Leben der Lotte Lenya" ("Lotte Lenya: A Life"),
der deutsche Schriftsteller Jens Rosteck1)
verfasste das Buch "Zwei auf einer Insel Lotte Lenya und Kurt Weill" (1999), Farneth David veröffentlichte den
Bildband "Lotte Lenya. Eine Autobiographie mit Bildern"
(1998, "Lenya, the Legend: A Pictorial Autobiography".
Einen Einblick ihrer Beziehung zu Kurt Weill vermittelt ein
Briefwechsel, der unter dem Titel "Sprich leise, wenn du Liebe
sagst" ("Speak Low (When You Speak Love): The Letters of Kurt Weil
and Lotte Lenya") von Lys Simonette1), einer langjährigen
Mitarbeiterin von Kurt Weill und Lotte Lenya und spätere Vize-Präsidentin
der "Kurt-Weill-Stiftung" ("The
Kurt Weill Foundation for Music") publiziert wurde;
siehe auch den Artikel beim "Deutschlandfunk"
→ mehr Literatur bei Wikipedia.
Die von Katja Duregger (Buch/Regie) gedrehte TV-Dokumentation "Lotte Lenya Warum bin ich nicht froh?" (2020) wurde anlässlich des 125. Geburtstages unter anderem
am 18. Oktober 2023 im ORF
ausgestrahlt → tv.orf.at,
kduregger.de.
Lotte Lenya auf einer Zeichnung
von Emil Stumpp1) (1886 1941)
Quelle; cyranos.ch;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei)
siehe hier
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