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Die Schauspielerin Amanda Lindner wurde am 7. Juli 1868*) als Amanda Bertha Lindner in
Leipzig1)
geboren. Ihr Vater war Faktor in einer Buchdruckerei "und konnte nicht allzuviel für die Ausbildung seiner zahlreichen Familie tun."
wie Ludwig Eisenberg1)
(1858 1910) in seinem 1903 publizierten Lexikon*)
vermerkt und weiter ausführt: "Da Amanda sich von Jugend auf graziös und anmutig bewegte und auch
große Vorliebe für alles Musikalische zeigte, gab man sie, fünf Jahre alt, in die
Ballettschule (Anm.: des "Leipziger
Theaters"1)), mit der Absicht, sie zur Tänzerin, wenn es glückte, gar zur Solotänzerin herausbilden zu lassen. Die Kleine war sehr
beliebt wegen ihres Fleißes und ihrer Anmut, sodaß man ihr, als sie etwas herangewachsen war, Kinderrollen anvertraute.
Das Kind gefiel nicht nur, sondern fand auch selbst Gefallen an den Schauspielrollen, sodaß man ihr später sogar den
"Walther Tell" (Anm.: in "Wilhelm Tell"1)),
den "Julius Möpsel" in
"Wohltätige Frauen" (Anm.: Lustspiel von Adolph L'Arronge1))
und andere Knabenrollen zuteilte. Überall zog sie nicht nur gut aus der Affäre, sondern fand bei Vorgesetzten wie Publikum lauten Beifall. Sie nahm
Unterricht bei der damals beliebten Schauspielerin
Antonie Baumeister1)
(1842 1902; unter anderem langjähriges
Mitglied am "Königlichen
Hoftheater"1) in Hannover1)) und konnte bereits nach kurzer Zeit, sie hatte die Kinderschuhe kaum ausgetreten, als
"Recha" in "Nathan"1) mit Glück debütieren." Über das "Hoftheater"
im bayerischen Coburg1)
(heute "Landestheater
Coburg"1)), "wo sie sich Theaterroutine anzueignen
Gelegenheit hatte und wo sie gar bald infolge ihrer schönen Erscheinung, ihrer graziösen
Bewegungen und ihres unbedingten Talentes angenehm
auffiel"*),
kam die erst 17-Jährige 1886 an das seit 1866 unter der
künstlerischen Leitung von Herzog
Georg II.1) von Sachsen-Meiningen stehende "Hoftheater
Meiningen"1) (Thüringen1)).
Foto: Amanda Lindner 1890
Urheber: Fotoatelier Julius Schaar, Düsseldorf
Bildrechte/-herkunft:
Meininger Museen: Theatermuseum "Zauberwelt der Kulisse"
Lizenz: CC BY-NC-SA;
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Hier machte sie eine weitere ausgezeichnete Lehre durch, der Herzog und seine dritte
Gemahlin, Helene Freifrau von Heldburg, unter dem Namen Ellen Franz1) selbst früher Künstlerin, studierte mit den Anfängerinnen die
wichtigen Rollen ein, auch Bühnenleiter wie Ludwig Chronegk1) förderten das junge aufstrebende Talent. Furore
machte Amanda Lindner mit ihrer Interpretation der Titelheldin Jeanne d’Arc1) in dem Drama "Die Jungfrau von Orleans"1) von
Friedrich Schiller1),
galt bald als Liebling des Herzog-Paares und wurde zur "Hofschauspielerin"
ernannt. Amanda Lindner zeigte ihre schauspielerische Kunst auch außerhalb von Meiningen und bereiste mit dem Ensemble
viele deutsche Städte, kam sogar bis nach Russland.
Ludwig Eisenberg*)
schreibt: "Der kunstsinnige Herzog Georg und nicht minder seine Gemahlin Freifrau von Heldburg, die selbst
auch als Ellen Franz zu den begabtesten Schauspielerinnen zählte, fanden besonders Gefallen an der jungen
Kunstnovize, förderten sie nach Tunlichkeit und freuten sich an dem allgemeinen Beifall, den die
Leistungen der Lindner fanden."
Amanda Lindner
als "Jungrau von Orleans"
Bildrechte/-herkunft:
Meininger Museen:
Theatermuseum "Zauberwelt der Kulisse"
Urheber; nicht genannt; Inventarnummer: MMT IV 1352 A
Lizenz: CC BY-NC-SA → Info
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"Aber nicht nur in Meiningen wurde man auf das junge, für die
Kunst begeisterte Geschöpf aufmerksam, auch auf den Reisen, den diese berühmte Hoftheatergesellschaft
seiner Zeit unternahm, erwarb sie sich zahlreiche Freunde. Einen der größten Erfolge erzielte sie mit der Darstellung der
"Jungfrau von Orleans". Man war angenehm berührt, die "Jean d'Arc", nicht wie
meist üblich, von der Heroine dargestellt zu sehen, sondern von einem zarten, jungen Geschöpf, das
mit Enthusiasmus die ihr überkommene Mission auszuführen entschlossen ist, und die durch ihre Lieblichkeit
und Anmut begeisterte Krieger an ihre Fahne fesselt und sie zum Siege führt. Und diese
"zarte Jungfrau" besiegte nicht nur im Schillerschen Stück die feindlichen Engländer,
sondern sie besiegte auch alle, die bisher ihrer Kraft vielleicht noch nicht einstimmig, unbedingtes
Lob gezollt hatten. Wie überall, so jubelte man ihr auch in Berlin zu, und als 1890 die
"Meininger" ihre Gastspielreisen aufgaben, da verabsäumte man nicht, diese Künstlerin
für die königliche Bühne zu gewinnen. Sie debütierte und wurde sofort für das Schauspielhaus engagiert."*)
Amanda Lindner am "Hoftheater Meiningen" |
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Sie beeindruckte mit der Gestaltung etlicher weiterer klassischer Frauenfiguren,
so schrieb unter anderem die illustrierte Familienzeitung "Die
Gartenlaube"1) (1894, Heft 4, S. 6367) in ihrem
Artikel "Liebhaberinnen der deutschen Bühne": "Neben der
"Jungfrau von Orleans" und dem Klärchen im "Egmont"1) das
besonders in der Marktscene eine hinreißende Wirkung ausübte, spielte sie auch jene zarteren Shakespeareschen Rollen wie
"Desdemona" (Anm.: in "Othello"1))
und "Ophelia" (Anm.: in "Hamlet"1)), Lustspielrollen wie die geistreiche
Porzia (Anm.: in "Der
Kaufmann von Venedig"1)) und die trotzige Katharina in "Der Widerspenstigen Zähmung"1),
auch Luise in "Kabale und Liebe"1), Thekla im "Wallenstein"1), sowie die verführerische Magdalena in der
"Rose von Tyburn" (Anm.: Drama von Arthur Fitger1) → projekt-gutenberg.org). Ihre so erfolgreiche Darstellung der "Jungfrau von Orleans" bei Gelegenheit des
Berliner Gastspiels der "Meininger" hatte die Aufmerksamkeit der Berliner Hoftheaterleitung auf die
Künstlerin gelenkt. (
) Amanda Lindner ist eine durchaus sympathische Künstlerin, ihr
Gesicht hat eingeschnittene Züge, ihre Gestalt ist schlank und anmutig, ihr Organ, obschon ursprünglich mehr für
das Kräftige als für das Zarte angelegt, ist biegungsfähig und sie weiß damit ebenso das Milde, Weiche,
Mädchenhafte auszudrücken wie den begeisterten Aufschwung."2)
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Rollen mit denen sie als tragische Liebhaberin in Meiningen auch bei
späteren Gastspielen zu begeistern wusste, waren immer wieder die
Heroinen in den Shakespeare-Dramen, so die schöne Desdemona in "Othello"1),
die edle Cordelia in "König Lear"1), die der Untreue verdächtigte Hermione
in "Das Wintermärchen"1) oder
die Volumnia, Mutter des römischen Kriegshelden Coriolanus1),
in "Coriolanus"1).
Sie zeichnete die empfindsam Leonore in dem Schiller-Drama "Die Verschwörung
des Fiesco zu Genua"1), die Vanina in dem 1897 veröffentlichten
Trauerspiel "Vanina Vanini" von Paul Heyse1) oder die Titelrolle der
"Esther" in dem gleichnamigen Schauspiel von Friedrich Wilhelm Gotter1), aus dem das berühmte,
von Johann Friedrich Anton Fleischmann1) und in
Anlehnung an dessen Komposition auch von Bernhard Flies (um 17701851) vertonte Gedicht
bzw. Wiegenlied "Schlafe, mein
Prinzchen, schlaf ein!"1) stammt.
Im Jahre 1890 hatte Amanda Lindner Meiningen verlassen und ein Engagement am
Berliner "Königlichen Schauspielhaus"1) angenommen, dem sie bis 1911 als
Ensemblemitglied verbunden blieb.
Rollenportrait Amanda Lindner um 1895
Urheber: Fritz Luckhardt1) (1843 1894), Wien
Quelle: theatermuseum.at;
(Inventarnummer: FS_PV194992alt)
© KHM-Museumsverband;
Lizenz:
CC
BY-NC-SA 4.0
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Auch hier feierte sie mit ihren
Glanzrollen wie der
"Jungfrau von Orleans" oder dem Clärchen in Goethes "Egmont"1)
Bühnentriumphe, trat als hinreißende Iphigenie1) in
dem Goethe-Werk "Iphigenie auf
Tauris"1) in Erscheinung, gestaltete die Titelrolle der Schiller'schen "Maria Stuart"1) ebenso brillant wie die "Philippine Welser"
in dem gleichnamigen historischen Schauspiel von Oskar von Redwitz1) oder die
Margarete von Valois1) in dem Trauerspiel "Die Bluthochzeit" von
Albert Lindner1)
über die Ereignisse der Bartholomäusnacht1).
Ludwig Eisenberg*)
notiert zu ihrer frühen Berliner Zeit: "Namentlich in klassischen Partien ("Klärchen"
(Anm.: in "Egmont"1)),
"Gretchen" (Anm.: in Goethes "Faust"1)),
"Thekla" (Anm.: in "Wallenstein"1)), "Maria" in
"Clavigo"1),
"Portia" (Anm.: in "Der
Kaufmann von Venedig"1)), "Julia" (Anm.: in "Romeo
und Julia")) nahm
sie bald eine allererste Stellung ein. Auch außerhalb Berlins würdigt man ihre Kunst. So erschien sie
unter anderem im Juli 1899 anläßlich der rheinischen "Goethefeier"1) in
Düsseldorf1), wo
es ihr vergönnt war, am Eröffnungsabend der Festspiele den von Ernst Scherenberg1) gedichteten,
national-literarischen Prolog zu sprechen. Großen Beifall fand daselbst auch die Darstellung ihres
"Klärchens"
und ihrer "Leonore von Sanvitale" (Anm.: in "Torquato
Tasso"1)). Doch wenngleich ihre hoheitsvolle Erscheinung, ihr metallreiches
Organ sie eigentlich für das klassische Fach bestimmten, so blieb ihr auch das Moderne
nicht fremd. Durch ihre ganze Darstellungsweise zieht anmutige Schalkhaftigkeit, Feingefühl, liebenswürdige
Sicherheit und vor allem größte Natürlichkeit. So wirkte Lindner unter wachsenden Erfolgen, bis am 29, Dezember 1899 der
Tag zum zehntenmal sich jährte, an dem sie als engagiertes Mitglied die
"Hofbühne" betreten hatte. Die aus
diesem Anlasse von ihr gewählte Rolle, die "Jungfrau von Orleans" (es war gleichzeitig die 150. Aufführung
des Schillerschen Dramas) ergab eine von Szene zu Szene sich steigernde Ovation. Auch der deutsche
Kaiser (Wilhelm II.1)) beteiligte sich an der gerechten Würdigung dieses hervorragenden Mitgliedes
seiner "Hofbühne" indem er sein Bild mit der eigenhändigen Widmung überreichen ließ: "Der unvergleichlichen
Darstellerin der "Jungfrau von Orleans" zur 150. Aufführung von ihrem dankbaren
König"."*)
1910 wurde ihr für ihre Leistungen vom "Ministerium
des königlichen Hauses Sachsen"1) die bürgerliche goldene Medaille
"Bene merentibus" verliehen.
Nach ihrer Heirat (1911) mit dem Arzt Dr. med. August König nahm die
inzwischen über 40-Jährige kein festes Engagement mehr an, gab fortan nur noch Gastspiele so auch in
Meiningen 1898, 1906, 1909
und zuletzt 1938 bzw. war als Schauspiellehrerin tätig.
Unter anderem zeigte sie sich 1925 auch am Berliner "Deutschen Theater"1) und
verlieh in dem von Eugen Klöpfer inszenierten Ritter-Schauspiel
"Das Käthchen von Heilbronn"1)
von Heinrich von Kleist1) der Gräfin Helena,
Mutter des Friedrich Wetter Graf vom Strahl, Kontur.
Erst im bereits vorgerückten Alter von über 60 Jahren machte Amanda eine
zweite, wenn auch kurze Karriere im Film. Bereits zu Stummfilmzeiten
sammelte sie in dem nach dem Roman von Bertha Behrens alias Wilhelmine Heimburg1) entstandenen Streifen "Eine unbedeutende Frau" (1919; Regie: Erich Joseph) an der Seite von
Protagonistin Edith Meller bei der Berliner
"National-Film AG" Erfahrungen vor der Kamera.
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In der von Ludwig Berger1)
gedrehten, vergnüglichen Geschichte "Ich bei Tag und Du bei Nacht"1) (1932) gab sie
dann neben den Hauptdarstellern Käthe von Nagy und
Willy Fritsch
die köstliche Figur der energischen Witwe bzw. Zimmerwirtin Cornelia Seidelbast und spielte sich hier im
Grunde selbst: Die Witwe Seidelbast, eine in die Jahre gekommene ehemalige
Hofschauspielerin, die in und mit den alten Erinnerungen lebt. Die Lindner deklamierte
in dem Streifen gern aus ihren Erfolgsrollen, an der Wand hingen Rollenfotos aus früheren Glanzzeiten. Um den
Lebensunterhalt bestreiten zu können, muss Witwe Seidelbast alias Amanda Lindner eines ihrer Zimmer
vermieten am Tag an einen jungen Mann (Willy Fritsch), der immer Nachtschichten schiebt, in der Nacht an ein junges
Mädchen (Käthe von Nagy). Verwicklungen unterschiedlichster Art machen den Film noch heute sehenswert. Dazu trägt die
Lindner maßgeblich bei. Die Presse urteilte wohlwollend, fand es köstlich, wie die ehemalige
Hoftheater-Heroine mit herrlichem Pathos die verblühte Tragödin ruhmreicher Tage glossierte.**)
Als Luis Trenker sein patriotisches Tirol-Drama "Der Rebell"1) (1932)
mit sich selbst in Rolle des steckbrieflich gesuchten Rebellen Severin Anderlan auf die Leinwand bannte,
besetzte er Amanda Lindner mit dem kleinen
Part der Ehefrau des Generals Drouet (Arthur Grosse). In dem von Carl Boese1)
in Szene gesetzten Streifen "Das Lied vom Glück"3) (1933)
sowie in der von Arthur Robison1) nach dem Roman von Margot von Simpson
(1888 1953) mit Albrecht Schoenhals
und Brigitte Helm realisierten
Literatur-Adaption "Fürst Woronzeff"1) (1934) tauchte sie
jeweils als Tante auf.
Foto: Amanda Lindner 1914
Urheber: Unbekannt; Bildrechte/-herkunft: Meininger Museen:
Theatermuseum "Zauberwelt der Kulisse";
Lizenz: CC BY-NC-SA
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Für Regisseur Fritz Wendhausen1) mimte sie
die Reichsgräfin Jutta in dem nach der Komödie "Kolportage"
von Georg Kaiser1) entstandenen Lustspiel
"Familienparade"4) (1936) um den Standesdünkel einer schwedischen Adelsfamilie, in dem auch
Curd Jürgens als fescher
Liebhaber bzw. Graf Erik Stjernenhö in seiner ersten größeren Rolle auftrat.
Amanda Lindner gehörte mit einem kleinen Part neben Hauptdarstellerin
Ilse Werner zur der Besetzung von Karl Ritters1) Musikfilm "Bal paré"1) (1940),
einen letzten Leinwandauftritt hatte sie als Herzogin in der Komödie "Rosen in Tirol"1) (1940), einer von Géza von Bolváry1) unter anderem mit Johannes Heesters
und Hans Holt frei
gestalteten Verfilmung der Operette "Der
Vogelhändler"1) von Carl Zeller1) (Musik) → Übersicht
Filmografie.
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin in
finanzieller Notlage, das Meininger Theater unterstützte seine bereits 1907 zum
"Ehrenmitglied" ernannte Charaktermimin finanziell.
Amanda Lindner starb am 18. April 1951 im Alter von 82 Jahren in einem
Altenheim in Berlin-Charlottenburg1).
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