|
Hugo Thimig, der als Stammvater einer der berühmtesten österreichischen
Theaterfamilien gilt, wurde am 16. Juni 1854 als Sohn des Handschuhmachers
August Thimig und dessen Frau Pauline, Tochter des Dresdner Uhrmachers Weise, in
Dresden1)
geboren; er hatte drei Geschwister, die außer ihm von sieben Kindern am Leben geblieben
waren. Luise, Paul und Max. Luise heiratete einen Fabrikanten in Erfurt, Paul wurde Uhrmacher in Dresden wie sein Großvater mütterlicherseits,
und Max übernahm das Handschuhgeschäft der Eltern.*) Zunächst besuchte
Hugo eine "Handels-Lehr-Anstalt"
bzw. absolvierte er eine kaufmännische Lehre und ging anschließend die "Dresdner Handelsakademie". Da
sich Thimig für das Theater interessierte wirkte er in Dresden bei einer
Laiengruppe mit, wo er eines Abends von dem Schauspieler Ferdinand Dessoir1) (1836 1892)
gesehen wurde, der dem jungen Thimig ersten dramatischen Unterricht
vermittelte.
Wenige Zeit später stand Hugo Thimig auf einer professionellen
Theaterbühne und gab am 15. Oktober 1872 sein Debüt am
Stadttheater von Bautzen1)
mit der Rolle des Lanzelot Gobbo in Shakespeares "Der Kaufmann von
Venedig"1). Weitere, jeweils
kurzzeitige Stationen wurden die Theater von Zittau1),
Kamenz1) und
Freiberg1) sowie
in Breslau das "Lobe-Theater"1), wo
er am 4. Juli 1873 erstmals als Theodor in dem Schwank "Rosenmüller und Finke
oder Abgemacht" von Karl Töpfer1) bzw. "als jugendlicher Liebhaber und Komiker in der Tradition der
Commedia dell'arte1) auftrat sein großes Talent
im Slapstick trug ihm den Beinamen eines Charlie Chaplin der Bühne
ein."2)
Hugo Thimig ca. 1899
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber/Autor: Ungenannt
© ÖNB
Wien; Bildarchiv Austria (Inventarnummer PORT_00010904_01)
|
Im Juni 1884 kam der gebürtige Sachse zu einem Probegastspiel nach Wien und gab am "Burgtheater"1)
(seit 1888 "k.k. Hofburgtheater") seinen Einstand mit der Figur
des Didier in dem Stück "Die Grille" von Charlotte Birch-Pfeiffer1).
Im Herbst 1884 verließ Thimig Breslau und gehörte der berühmten Bühne zunächst bis 1923 (seit 1919 als Gastschauspieler)
an, wurde jedoch als "Mitglied auf Lebenszeit" verpflichtet. 1881 erhielt er den Titel eines "wirklichen Hofschauspielers",
führte ab 1897 auch Regie und wurde nach dem Tode Alfred von Bergers1)
im Jahre 1912 mit der provisorischen Leitung des "Hofburgtheaters" betraut. Die Ernennung zum Direktor erfolgte dann zwei Jahre später:
Diese Funktion hatte Thimig bis 1917 inne, danach
legte er das Amt nieder und wurde für seine Leistung mit dem Titel
"Hofrat" geehrt. Am 30. Juni 1923 trat er als alter Schäfer in
Shakespeares "Das Wintermärchen" nach mehr als vier Jahrzehnten
letztmalig am "Burgtheater" auf.**)
Nach seiner Pensionierung wechselte der
inzwischen 70-jährige Thimig 1924 an das von seinem späteren Schwiegersohn
Max Reinhardt1) geleitete Wiener "Theater
in der Josefstadt"1), wo er bis 1933 blieb, um sich dann, fast
80-jährig, endgültig ins Privatleben zurückzuziehen.
Portrait Hugo Thimig
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber/Autor: Ungenannt; Datierung: Ungenannt
© ÖNB
Wien; Bildarchiv Austria (Inventarnummer PORT_00010906_01)
|
|
|
Im gereifteren Alter
überzeugte er immer mehr als ernst zu nehmender Charakterdarsteller, das Josefstädter Publikum
konnte Thimig wiederholt an der Seite seiner Kinder Hermann,
Hans
und Helene
bewundern, als Reinhardt 1924 Shakespeares
"Der
Kaufmann von Venedig" (Premiere: 26.05.1924) mit Fritz Kortner als Shylock
und Rudolf Forster
in der Titelrolle inszenierte, besetzte er Thimig als den alten Gobbo, Vater
von Shylocks Diener Lanzelot (Hermann Thimig) → josefstadt.org.
Kurz zuvor hatte Reinhardt Schillers "Kabale
und Liebe" (Premiere: 09.04.1924) mit Tochter Helene (Luise) und Paul Hartmann
(Ferdinand) auf die Bühne gebracht, Hugo Thimig beeindruckte als der alte
Stadtmusikant Miller → josefstadt.org.
Im Folgejahr gab er den Graf von Kent in dem Shakespeare-Drama "König
Lear"1) (Premiere: 13.03.1925) mit
Eugen Klöpfer in der Titelrolle
sowie unter anderem Hans (Edgar) und Helene Thimig (Cordelia) → josefstadt.org. Zur Spielzeit 1925/26 kam es
zu einer denkwürdigen Aufführung des
Stücks "Alles und nichts oder Der Traum von Schale und Kern" (Premiere: 05.03.1926)
von Egon Friedell1) und Hanns Sassmann1)
nach Motiven des Nestroy-Zauberspiels "Müller,
Kohlenbrenner und Sesseltrager oder Die Träume von Schale und Kern"1) hier stand Thimig als Schierling, ein Enterbter,
in der Inszenierung von Paul Kalbeck1)
mit seinen drei Kindern Hermann (Weiß, ein Müllerbursche), Hans
(Rochus, Schierlings Sohn)
und Helene (Pulverhörndl, Tambour bei den Grenadieren) gemeinsam auf der
Bühne; weitere Mitspieler waren unter anderem Gustav Waldau
(Rot, ein Sesselträger), Hans Moser
(Hasenöhrl, Bandit und Lakai) und Annie Rosar
(die böse Fee Infamia) → josefstadt.org.
Portrait Hugo Thimig
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber/Autor: Ungenannt; Datierung: Ungenannt
© ÖNB
Wien; Bildarchiv Austria (Inventarnummer Pf 6007 E 5) |
1933 gab er unter frenetischem Beifall
der Besucher und Kollegen seinen Abschied von der Josefstädter Bühne,
brillierte in Schnitzlers Schauspiel "Liebelei"1) (Premiere: 20.02.1933) als
Violinspieler Hans Weyring.
Zu Thimigs Glanzrollen zählten Werke bzw. Figuren von Shakespeare, so der Zettel in
"Ein Sommernachtstraum"1) oder der
Junker Andreas von Bleichenwang in
"Was ihr wollt"1),
er wurde unter anderem als Coquin in dem Versdrama "Der Arzt seiner Ehre"
von Calderón
de la Barca1) gefeiert. Thimig zeigte
seine enorme Wandlungsfähigkeit zudem in damals modernen bzw.
gesellschaftskritischen Stücken, wie
als anständiger Bürger und Demokrat Billing1) in
"Ein Volksfeind"1) und
als Hilmar Tönnesen in "Stützen der Gesellschaft" von Henrik Ibsen1), gestaltete
Rollen in Gerhart Hauptmanns Drama "Einsame Menschen"1)
ebenso genial wie in Komödien.
Hugo Thimig auf einer Fotografie von Otto Schmidt (1849 1920), Wien
wiedergegeben in einem Lichtdruck von Max Jaffé (1845 1939), Wien
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Autor/Urheber: Otto Schmidt; Datierung: Ungenannt
Körperschaft: Antiquariat V. A. Heck (Wien), Max Jaffé (Wien)
© ÖNB
Wien; Bildarchiv Austria (Inventarnummer Pg III/7/103)
|
|
|
|
Als Dorfrichter Adam in Kleists "Der
zerbrochne Krug"1) wusste er das
Publikum ebenso für sich einzunehmen wie als Schulinspektor Brösecke
in dem Wilhelminischen Lustspiel "Flachsmann als
Erzieher" von Otto Ernst1)
→ Inhalt bei gutenberg.spiegel.de. Berühmt wurde Thimig
schon früh mit der Figur des "Winkeljournalisten" Schmock in dem Lustspiel "Die Journalisten"1)
von
Gustav Freytag1) sowie durch seine einmalige
Darstellung des Schmierentheaterdirektors Striese in seiner eigenen
Inszenierung des bis heute unverwüstlichen Schwanks "Der Raub der
Sabinerinnen"1) von Franz und Paul von Schönthan1).
Zur Spielzeit 1929/30 setzte er diese Komödie am "Theater in der
Josefstadt" in Szene, gab seit der Premiere am 17. Juni 1930 den
Striese an der Seite von Alfred Neugebauer
(Professor Martin Gollwitz) sowie unter anderem Paula Wessely (Paula Gollwitz),
Attila Hörbiger (Dr. Leopold Neumeister),
Hermann Thimig (Weinhändler Karl Groß) und Hans Thimig (Emil Groß, dessen Sohn) → josefstadt.org.
Zwei Mal wirkte er bei den "Salzburger
Festspielen"1) in Inszenierungen
von Max Reinhardt mit: 1926 gab er den Pantalone1)
in dem Lustspiel "Der
Diener zweier Herren"1) von Carlo Goldoni1) an der Seite seiner Kinder
Hermann (Diener Truffaldino), Hans (Florindo) und Helene (Kammermädchen Smeraldina);
bereits am 1. April 1924 (Premiere) war das Stück am "Theater in der
Josefstadt" mit nahezu gleicher Besetzung aufgeführt worden → josefstadt.org.
1927 spielte Thimig auch in Salzburg den alten Miller in "Kabale und
Liebe".
Hugo Thimig als Schmock in
Gustav Freytags Lustspiel "Die Journalisten"
Quelle: Wikipedia:
Scan aus "Spemanns goldenes Buch des Theaters" (1902)
Urheber: Rudolf Krziwanek1) (1843 1905)
Scan von Wikipedia-Nutzer Goerdten;
Lizenz
zur Veröffentlichung siehe hier
|
Hugo Thimig, Träger der "Goethe-Medaille für Kunst
und Wissenschaft"1) (1942) und des "Ehrenringes
der Stadt Wien"1) (1944), starb am 24. September 1944 mit 90 Jahren in
Wien zwei Tage nach dem Tod seiner Frau Franziska, genannt
"Fanny" ((11.03.1867 – 22.09.1944). Da er ohne seine Gattin nicht mehr leben wollte,
hatte Thimig den Freitod gewählt. Die letzte Ruhe
fand er auf dem Sieveringer Friedhof1) in Wien (Abteilung 2, Gruppe 13, Nummer 76) neben seiner
Ehefrau → Foto der Grabstelle bei
Wikimedia
Commons sowie knerger.de.
Seine Söhne
Hermann Thimig (1890 1982) und Hans Thimig (1900 1991) sowie
seine Tochter Helene Thimig (1889 1974),
die Witwe des bekannten, 1943 verstorbenen Regisseurs und
Theaterleiters Max Reinhardt1) (1873 1943), wurden ebenfalls brillante
Charakterdarsteller und führten die Schauspielertradition ihres Vaters fort.
Seit 1948 im Wiener Gemeindebezirk Währing die "Thimiggasse" nach Hugo Thimig benannt.
Franz Hadamowsky1) brachte 1962 das Werk
"Hugo Thimig erzählt von seinem Leben und dem Theater seiner Zeit Briefe und Tagebuchnotizen"
heraus.
Thimig besaß die größte Privattheater-Sammlung (darunter 20.000 Druckschriften, 40.000 Autographen, 60.000 Bildobjekte), die er 1922 der
"Österreichischen Nationalbibliothek" verkaufte,
womit der Grundstock zum
"Österreichischen Theatermuseum" gelegt
war.
(Quelle: geschichtewiki.wien.gv.at)
|