Die Tänzerin und Stummfilmdarstellerin Olga Desmond machte nicht so sehr
auf der Leinwand Furore als vielmehr auf der Bühne, wo sie bereits als
17-Jährige mit ihrem Nackttanz für Skandale sorgte und später als "Preußens nackte Venus"
bezeichnet wurde.
Am 2. November 1890 im ostpreußischen Allenstein1) (heute: Olsztyn, Polen) als Olga Antonie Sellin
und eines von 14 Kindern des Buchbinders/Buchdruckers Otto Sellin in
bescheidene Verhältnisse hineingeboren,
verbrachte sie etwa ab ihrem 10. Lebensjahr nach dem Umzug der Familie ihre
Kindheit und Jugend in Berlin-Kreuzberg1). Schon früh zog es sie zur
Bühne, besuchte "Marie-Seebach-Schule" des "Königlichen
Schauspielhauses"1)
und verdiente sich das dafür nowendige Geld als Modell
für Berliner Künstler und Maler, unter anderem für den Bildhauer
Reinhold Begas1).
1907 schloss sich Olga der Varieté-Truppe "The Seldoms" des Athleten/Managers Adolf Salge
an und trat während ihres neunmonatigen Gastspiels im
"London Pavillon" als "lebender Marmor" in plastischen Darstellungen
wie "Das Weib oder die Vase" oder "Die badende Psyche"
auf. Unter der weißen Schminke der vermeintlichen Marmorstatue,
die in ihren klassischen Posen die Antike symbolisierte,
verbarg sich nichts anderes als der nackte Körper der sechzehnjährigen Olga Antonie.*)
Foto: Olga Desmond vor 1929
Urheber: Alexander Binder1)
(1888 1929)
Quelle: Wikipedia;
Photochemie-Karte 1479;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei)
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Zurück in Berlin sie nannte sich nun "Olga Desmond" gehörte sie zu den
Gründungsmitgliedern der von Karl Vanselow1)
initiierten "Vereinigung für ideale Kultur" und gab Vorstellungen, in denen
sie lebende Bilder nach antiken Vorbildern nachstellte. Diese sogenannten
"Schönheits-Abende" wurden ab 1908 mehrfach verboten, da die Darsteller
in der Regel nackt oder mit Körperfarbe bemalt posierten.
Im Frühjahr 1908 fanden die Auftritte noch in kleinen Salons statt,
bereits einige Zeit später füllten ihre Darstellungen den "Mozartsaal" des
"Neuen Schauspielhauses" am Berliner
Nollendorfplatz1). Die Medien schwärmten
"vom Anblick des herrlichen Ebenmaßes ihrer Glieder", und von der männlichen Kritik derart ermutigt,
wagte sie eines Abends den Schleiertanz, und ersetzte schon wenig später den Schleier durch einen ebenso schmalen
wie wagemutigen Metallgürtel. Die Eintrittskarten
"gingen bei Wertheim1) wie warme Semmeln über die Theke".*)
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1909 kam es im Berliner "Wintergarten"1)
zu einem Eklat, der sogar den Preußischen Landtag1) beschäftigte. Im Januar 1909 debattiert das Preußische
Abgeordnetenhaus über den Fall. Der Zentrumsabgeordnete1)
Hermann Roeren1), Mitbegründer des
"Kölner Männervereins zur Bekämpfung der öffentlichen
Unsittlichkeit", nennt die Desmond ein "nacktes Frauenzimmer in ihrer
Schamlosigkeit" und macht sie für "eine Verrohung und Verwilderung der
Sitten" verantwortlich. Der preußische Innenminister Friedrich von Moltke1) verbietet weitere Auftritte
ohne Kostüm. Desmond tanzt fortan in sogenannten
"Nacktkostümen", eingehüllt in Gaze-Schleier.**)
Olga Desmond erreichte nicht nur in Berlin eine ungeheure Popularität, gehörte zu den bestbezahlten
Unterhaltungskünstlerinnen jener Jahre und
avancierte zu einer europäischen Berühmtheit. Zahlreiche
Gastspiele führten sie bis 1914 durch Deutschland und Österreich unter
anderem trat sie 1908 und 1909 im Wiener Varieté "Apollo"1) auf ,
darüber hinaus feierte sie in Budapest, St. Petersburg, London und New York Triumphe.
Sie gründete eine "Schule für Körperkultur, Tanz,
Gymnastik", vermarktete ihren Star-Status mit eigens kreierten
Schönheitsprodukten wie einer Creme gegen Sommersprossen und publizierte das
Buch "Rhythmographik. Tanznotenschrift als Grundlage zum Selbststudium
des Tanzes" (1919).
Foto: Olga Desmond als lebende Marmor-Skulptur,
vermutlich 1908 in St. Petersburg
Urheber: Unbekannt; alte russische Postkarte
Quelle: Wikipedia
bzw. Wikimedia Commons;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei)
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Ab 1915 trat Olga Desmond auch auf der stummen Leinwand in Erscheinung und
drehte zunächst einige Filme bei der Produktionsfirma von Heinrich Bolten-Baeckers1),
die eine kurzlebige "Olga Desmond-Serie" mit der Tänzerin auflegte. Sie
zeigte sich in dem kurzen Streifen "Seifenblasen" (1915) und in
"Die
Grille"1) (1917) mit Carl Auen, in "Nocturno"1) (1915), "Lisa, die Zigarettenmacherin" (1915)
und "Postkarten-Modell"1) (1917) mit
Leo Peukert. Bis 1919 realisierten verschiedene Regisseure
weitere Stummfilme mit dem
skandalumwitterten Bühnenstar, unter anderem spielte sie mit dem noch
unbekannten Hans Albers in dem Melodram "Der Mut zur Sünde" (1919)
oder lockte die Zuschauer mit dem kassenträchtigen Titel "Göttin, Dirne und Weib" (1919) in die Lichtspielhäuser.
Einen zu jener Zeit vielbeachteten Auftritt hatte sie in dem von Hans Neumann1)
nach einer altfriesischen Sage und der gleichnamigen
Oper1) von Richard Wagner1) in Szene gesetzten, ambitionierten, heute vergessenen
Melodram "Der fliegende Holländer"1) (1918/19),
wo sie mit der Hauptrolle der Senta, Tochter des Kaufmanns Daland in Erscheinung
trat, der Opernsänger Guido Schützendorf1)
mimte den fluchbeladenen Kapitän Jan van der Straaten → Übersicht Stummfilme.
Foto: Olga Desmond vor 1929
Urheber: Alexander Binder1)
(1888 1929)
Quelle: www.cyranos.ch;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei)
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Nach ihrem eher kurzen Ausflug ins Filmgeschäft, konzentrierte sich Olga Desmond ausschließlich
auf ihre künstlerische Arbeit auf der Bühne, gab Tanzabende
unter anderem in Warschau1),
Breslau1) und
Kattowitz1).
Darüber hinaus betätigte
sie sich als Tanzlehrerin, zu ihren bekanntesten Schülerinnen gehörte Herta Feist1) (1886 1990),
späteres Mitglied der Truppe des
ungarischen Tänzers, Choreografen und Tanztheoretikers Rudolf von Laban1) (1879 1958).
Ab Mitte/Ende der 1920er Jahre ließ der Ruhm von Olga Desmond merklich nach, ihr statuarischer Tanzstil galt
inzwischen als veraltet bzw. Tanz-Ikonen wie Anita Berber,
Valeska Gert oder
Mary Wigman1)
eroberten mit ihrem neuen Ausdruckstanz die Bühnen.
Aufgrund der rassistischen Politik des NS-Regimes
bekam Olga Desmond zunehmend auch privat Probleme, nach ihrer ersten, 1917 geschiedenen Ehe mit
einem ungarischen Großgrundbesitzer hatte sie 1920 den Textilunternehmer Georg Pieck
(† 1958) geheiratet, der
wegen seiner jüdischen Abstammung 1942 in ein Konzentrationslager
deportiert wurde, von dort jedoch ins Ausland fliehen konnte. Die Ehe
existierte zu dieser Zeit nur noch auf dem Papier, Olga Desmond
blieb in Berlin und führte in der Nähe eines Theaters das Atelier für
Bühnenausstattung ihres Mannes weiter ihre Karriere als Künstlerin endete
somit abrupt.
Olga Desmond ca. 1918 auf einer Fotografie
von Nicola
Perscheid1) (1864 1930)
Quelle: Wikimedia
Commons
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Nach Kriegende schlug sich der einst gefeierte Bühnen- und Filmstar in Ost-Berlin
als Putzfrau durch, vertrieb nebenher Postkarten und Andenken aus ihrer
Glanzzeit als Tänzerin.
Olga Desmond starb von der Öffentlichkeit unbeachtet am 2. August 1964
im Alter von 73 Jahren in geistiger Umnachtung in Ost-Berlin1);
die letzte Ruhe fand sie auf dem "St. Elisabeth-Friedhof"1).
Im März 2009 erinnerte nach Jahrzehnten die Ausstellung "Olga Desmond Preußens nackte Venus"
in dem auf weibliche Kunst spezialisierten Berliner "Verborgenen Museum"1)
bzw. die gleichnamige, im "Steffen Verlag"1) erschienene, reich
bebilderte Biografie von Jörn E. Runge an die vergessene
Künstlerin. "Den einen war sie die Duse der Grazie und Tanzkunst,
Schönheitsprophetin und Tanzreformatorin, anderen ein schamloses Frauenzimmer,
ein Ärgernis, ein Skandal."
beschreibt der Autor die Situation jener Ära, in der die "Heroine der
lebenden Bilder" Olga Desmond zum Star der prüden Weimarer Republik
aufstieg.
→ www.steffen-verlag.de
sowie den Artikel bei tagesspiegel.de
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Quelle/Zitate aus:
*) www.kreuzberger-chronik.de
**) www.tagesspiegel.de
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