Die Schauspielerin Gertrud Welcker erblickte am 16. Juli 1896 in Dresden1) das Licht der Welt, verbrachte ihre Kindheit und Jugend gemeinsam mit dem 1898 geborenen jüngeren Bruder Herbert in Posen1) (heute: Poznań, Polen), wo der Vater bis zu seinem frühen Tod (1909) als Chefredakteur und Hauptgeschäftsführer des "Posener Tageblatts"1) tätig war. Nach dem Besuch eines Lyzeums entschied sich das junge Mädchen für die "Bretter, die die Welt bedeuten" und ließ sich noch während des 1. Weltkrieges in Berlin an der von Max Reinhardt1) gegründeten, dem "Deutschen Theater"1) angegliederten Schauspielschule (heute: "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch"1)) entsprechend ausbilden. Anschließend erhielt sie zur Spielzeit 1915/16 ein erstes Engagement am "Albert-Theater"1) in Dresden. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde Gertrud Welcker von Max Reinhardt an dessen Bühnen1) berufen, wirkte am "Deutschen Theater", den angeschlossenen "Kammerspielen" und der "Volksbühne"1)
Gertrud Welcker auf einer Künstlerkarte, aufgenommen im Fotoatelier "Becker &  Maass", Berlin (Otto Becker (1849–1892)/Heinrich Maass (1860–1930)); Quelle: cyranos.ch; Lizenz: gemeinfrei Rasch schuf sie sich einen Namen als herausragende Charakterdarstellerin, gestaltete beispielsweise die Sklavin Lesbia in Felix Hollaenders1) Inszenierung der Tragödie "Gyges und sein Ring"1) (1916) von Friedrich Hebbel1), die Recha in dem Lessing1)-Drama "Nathan der Weise"1) (1917/18) oder die Schwester Martha in dem Traumspiel "Hanneles Himmelfahrt"1) (1918) von Gerhart Hauptmann1). Weitere beachtenswerte Figuren zeichnete sie unter der Regie von Max Reinhardt als Grisette Marion in "Dantons Tod"1) (1916/17) von Georg Büchner1), als Kammerjungfer Sophie in dem Schiller-Trauerspiel "Kabale und Liebe"1) (1917) und als Prinzessin von Eboli in dem Drama "Don Karlos"1) (1918), ebenfalls von Friedrich Schiller1). Als brillante Shakespeare1)-Interpretin feierte sie ebenfalls Erfolge, so als Desdemona in "Othello, der Mohr von Venedig"1) (1917/18) und als Shylocks Tochter Jessica in "Der Kaufmann von Venedig"1) (1918–1920). Dass sie auch im heiteren Fach zu überzeugen wusste, bewies sie in Komödien, so als Gräfin Almaviva in "Figaros Hochzeit"1) (1916/17) von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais1) oder als leichtfertige Nerine in "Der Bürger als Edelmann"1) von Moličre1). Weiterhin sah man sie unter anderem in einer Inszenierung von Ferdinand Gregori1) als die Dirne in "Meister Olaf" (1916) von August Strindberg1), als Alwine Lachmann in "Michael Kramer"1) (1918/19) von Gerhart Hauptmann, als Prostituierte Adrienne in "Der Sohn"1) (1918–1920) von Walter Hasenclever1), als Modell Ilse in "Frühlings Erwachen"1) (1918) von Frank Wedekind1), als "der Gluabe" in "Jedermann"1) (1918) von Hugo von Hofmannsthal1) und als das Milchmädchen bzw. das Fräulein in dem Strindberg-Kammerspiel "Die Gespenstersonate"1) (1918).*)
  
Gertrud Welcker auf einer Künstlerkarte, aufgenommen
im Fotoatelier "Becker &  Maass", Berlin
(Otto Becker (1849–1892)/Heinrich Maass (1860–1930))
Quelle: cyranos.ch; Angaben zur Lizenz (gemeinfrei) siehe hier
Etwa zeitgleich wandte sich Gertrude Welcker dem aufstrebenden Medium Film zu, ihr Leinwanddebüt gab sie als ein Engel in dem von  Paul Wegener mit sich selbst in der Titelrolle in Szene gesetzten, phantastisch-modernem Märchen "Hans Trutz im Schlaraffenland"1) (1917). In der nachfolgenden Zeit stand die zierliche Mimin mit Hauptrollen für zahlreiche Melodramen, Abenteuer, Kriminal- und Detektivgeschichten vor der Kamera. Sie entsprach von ihrer Erscheinung her zwar nicht dem klassischen Schönheitsideal jener Ära, war jedoch "der Typ der willensschwachen, mondänen Frau aus der Filmaufklärungsperiode" wie sie der Filmhistoriker und Filmproduzent Oskar Kalbus1) später charakterisierte. Sie beherrscht die Kunst, geschmackvolle Kleidung wirkungssicher zu tragen, bleibt dabei aber seltsam verschlossen oder gar abwesend. Sie irritiert eher, als dass sie zu einem Idol der Kritiker und des Publikums zu werden vermag, Als Mondäne ist sie keine Verführerin, kein Vamp, sondern eher eine damenhafte Problemfrau. Im taumelnden Strudel der nach dem Zusammenbruch der alten Ordnungen sich zunächst hemmungslos auslebenden Großstadt-Gesellschaft der unmittelbaren Nachkriegsjahre verkörpert sie wie kaum eine andere Filmschauspielerin den Zeitgeist – ein im Grunde verlorenes Kind einer verunsicherten Gesellschaft, das sich nicht finden kann, weil es sich selbst im Wege steht.2)  
Viele ihrer Filme entstanden unter der Regie namhafter Regisseure jener Ära, mit Richard Oswald1) drehte sie beispielsweise den 3. Teil des vierteiligen Aufklärungsfilm über Geschlechtskrankheiten mit dem Titel "Es werde Licht"1) (1918) und trat als das Bauernmädchen in Erscheinung, mit Lupu Pick als Partnerin von Bernd Aldor den Science-Fiction-Streifen "Der Weltspiegel" (1918), mit Max Mack1) das Lustspiel "Er soll Dein Herr sein" (1918) und für Victor Janson war sie "Die Dame in Schwarz"3) (1920) in dem gleichnamigen "Joe Deebs"-Krimi1), diesmal mit Curt Goetz als schlauem Detektiv.
    
Curt Goetz als Detektiv Joe Deebs und Gertrud Welcker als Gräfin Katja von Falkenhorst in dem Stummfilm "Die Damer in Schwarz" (1920) von Victor Janson für die Berliner "Projektions-AG Union" (PAGU); Quelle: virtual-history.com aus "Vom Werden deutscher Filmkunst/1. Teil: Der stumme Film" von Dr. Oskar Kalbus (Berlin 1935, S. 27); Lizenz: gemeinfrei
Curt Goetz als Detektiv Joe Deebs und Gertrud Welcker als
Gräfin Katja von Falkenhorst in dem Stummfilm "Die Damer in Schwarz" (1920)
von Victor Janson gedreht für die Berliner "Projektions-AG Union"1) (PAGU)
Quelle: virtual-history.com aus "Vom Werden deutscher Filmkunst/1. Teil: Der stumme Film"
von Dr. Oskar Kalbus1) (Berlin 1935, S. 27); Angaben zur Lizenz (gemeinfrei) siehe hier
   
Mehrfach arbeitete sie mit Carl Boese1) zusammen wie unter anderem bei dem Melodram "Die Geisha und der Samurai"1) (1919) mit ihrem Part der Ellen Hall, "die Geisha" und Ernst Deutsch als Dr. Imari, "der Samurai". Ewald André Dupont1) besetzte Gertrud Welcker als Lady Delia Grace in der "Max Landa"-Detektivgeschichte "Die Maske"3) (1919) oder Schauspielerkollege Viggo Larsen in dem mit sich selbst als Protagonist Fritz Sentheim gedrehten Lustspiel "Sein letzter Seitensprung"1) (1918) als Sentheimers Ehefrau Luise. In dem von Friedrich Wilhelm Murnau1) inszenierten, heute als verschollen geltenden Kriminalfilm "Abend – Nacht – Morgen"1) (1920) mimte sie die Halbweltdame Maud, welche es mit ihrem Bruder Brilburn (Conrad Veidt) auf ihren reichen Liebhaber (Bruno Ziehner) abgesehen hat, der kurz darauf ermordet wird; dank des findigen Detektivs Ward (Otto Gebühr) konnte der Mörder bald gefunden werden.
Nachhaltigen Ruhm erlangte Gertrud Welcker mit zwei Stummfilmen, die heute zu den Klassikern jener Ära zählen: In Hans Werckmeisters1) expressionistischem Fantasy-Streifen "Algol"1) (1920) mit dem Untertitel "Tragödie der Macht" mimte sie neben Emil Jannings in der Rolle des Bergmanns Robert Herne die reiche Grubenbesitzerin Leonore Nissen und spätere Ehefrau Hernes, in dem von Fritz Lang1) nach der Romanvorlage von Norbert Jacques1) über den (fiktiven), von Rudolf Klein-Rogge dargestellten Superverbrecher Dr. Mabuse1) realisierten Zweiteiler "Dr. Mabuse, der Spieler"1) (1922) die Gräfin Dusy Told, eigentliche Heldin des monumentalen, meisterlichen Kriminalreißers – eine Aristokratin, die sich in ihrer Ehe mit dem degenerierten Grafen (Alfred Abel) langweilt und nach einem aufregenden Abenteuer sehnt. Dadurch, dass sie dem in sie heimlich verliebten Staatsanwalt (Bernhard Goetzke) hilft, gegen den wahnsinnigen Großverbrecher Dr. Mabuse zu ermitteln, gerät sie in größte Gefahr, vor allem wird sie von Mabuse sexuell bedrängt und missbraucht.2)
 
Weitere tragende Rollen spielte Gertrud Welcker in Großproduktionen wie "Lady Hamilton"1) (1921), wo sie neben Liane Haid (Lady Hamilton1)) und Conrad Veidt (Lord Nelson1)) als Miss Arabella Kelly auftauchte, gedreht von Richard Oswald1) nach den Romanen "Liebe und Leben der Lady Hamilton" und "Lord Nelsons letzte Liebe" von Heinrich Vollrat Schumacher (1861 – 1919). In der von Carl Froelich1) nach dem Drama "Kabale und Liebe"1) von Friedrich Schiller"1) mit Lil Dagover als Luise Miller und Paul Hartmann als Major Ferdinand von Walter in Szene gesetzten Adaption "Luise Millerin"1) (1922) gestaltete sie als Lady Emilie Milford die Mätresse des Fürsten von Anspach (Walter Janssen). Vier Mal stand sie mit Albert Bassermann und dessen Ehefrau Else Bassermann1) , die zum Teil auch für die Drehbücher verantwortlich zeichnete, vor der Kamera: Unter der Regie von Adolf Gärtner1) entstanden die Melodramen "Das Werk seines Lebens" (1919), "Die Duplizität der Ereignisse" (1920) und "Die Söhne des Grafen Dossy"1) (1920), der von Reinhard Bruck1) gedrehte Streifen"Puppen des Todes" (1920) basierte auf dem Gedicht "Die Marionetten" von Nikolaus Lenau1). Die gleichnamige Novelle von Theodor Storm1) lieferte die Vorlage für den von Arthur von Gerlach1) nach dem Drehbuch von Thea von Harbou1) realisierten Stummfilm "Zur Chronik von Grieshuus"1) (1925), hier präsentierte sich Gertrud Welcker neben Arthur Kraussneck als der Burgherr von Grieshuus bzw. Vater von Junker Hinrich (Paul Hartmann) und Junker Detlev (Rudolf Forster) als die verwitwete Gesine, Gräfin von Orlamünde. So notierte unter anderem die "Lichtbild-Bühne"1) (Nr. 7, 14.02.1925): "Einfach und schlicht ragt das düstere Gemäuer des einsamen Turms in die Landschaft, geisterhaft gespenstisch die Wandelgänge und Innenräume der Burg in der mehr Unglück als Freude haust. Auch die Kirche fällt nicht aus der Einheit dieses Stils, der in jeder Weise den Geschehnissen angepaßt ist. In gewolltem Gegensatz sind hierzu die Kostüme der Gruppe um Detlef gestellt, prächtige Erinnerungen an Gemälde Rubens, an seine Helene Fourment und einige Fürstengestalten. Gertrud Welcker weiß ihr Kleid mit Würde zu tragen. Sie ist hochmütig, abweisend, verletzend mit jedem Blick. Rudolf Forster, ihr Partner, steht ihr an Hochmut nicht nach. Sprühendes Leben dagegen gibt Paul Hartmann als Junker Hinrich. Freudig, kraftstrotzend, weich in der Liebe und hart im Kampf, jauchzend im Glück und resigniert im Leid." (Quelle: filmportal.de)
Einen letzten Leinwandauftritt hatte Gertrude Welcker in der Star-besetzten, von Hubert Moest1) nach dem gleichnamigen Schauspiel1) von Johann Wolfgang von Goethe1) gedrehten Produktion "Götz von Berlichingen zubenannt mit der eisernen Hand"1) (1925) mit Eugen Klöpfer in der Titelrolle des Reichsritters Götz von Berlichingen1) – hier trat sie als die mit Berlichingen aufgewachsene Gräfin Adelheid von Walldorf in Erscheinung → Übersicht Stummfilme.
 
Mitte der 1920er Jahre zog sich die Schauspielerin vom Film sowie wenig später von der Bühne zurück – die Gründe bleiben im Dunkeln. CineGraph2) notiert: "Welcker ist auch im wirklichen Leben eine Frau, deren seelischer Zustand augenscheinlich stets gefährdet bleibt. Mangelnder Ehrgeiz sowie wechselnde Interessen und Lebensschwerpunkte kommen hinzu. Welcker führt ein für die Zeit ungewohnt zurückhaltendes "Starleben": Sie gibt kaum Autogramme, verzichtet auf Einträge in Nachschlagewerken und lässt über ihr Privatleben keinerlei Informationen bekannt werden. Offenbar ist ihr die Filmkarriere "einfach so passiert", zielstrebig vorangetrieben hat Welcker sie nie. Auch ihre Theaterkarriere hat sie nach fünf Jahren mit dem Austritt aus der Bühnengenossenschaft1) zum 31.10.1921 für beendet erklärt." Kay Weniger1)*) vermerkt jedoch, dass eine ihrer letzten nachweisbaren Rollen im Herbst 1926 die Laurence in Eugen Roberts Inszenierung des Lustspiels "Der gefällige Thierry" von Tristan Bernard1) gewesen sei.
 
In den nachfolgenden Jahren betätigte sich Gertrud Welcker mehr oder weniger erfolgreich als Schriftstellerin, veröffentlichte Artikel in diversen Zeitungen, lieferte Erzählungen sowie Beiträge für den Rundfunk ab. Während eines Paris-Aufenthaltes lernte sie den bekannten schwedischen Maler, Grafiker und Kunstkritiker Otto Gustaf Carlsund (1897 – 1948; → Wikipedia (englisch)) kennen, den sie Anfang Juli 1930 heiratete; die Scheidung erfolgte bereits wenige Jahre später Mitte August 1937.
Anschließend fand sie noch kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs kurzzeitig eine Anstellung als Lektorin bei der UFA1), war seit 1941 für das "Rote Kreuz"1) aktiv. Wenige Wochen vor Kriegsende gelang Gertrud Welcker (wohl mit Hilfe ihres Ex-Mannes) die Evakuierung aus dem eingekesselten Berlin, sie konnte Deutschland verlassen und reiste nach Schweden, wo sie fortan unter dem Namen Gertrud Carlsund lebte.
Wie sich ihr weiterer Lebensweg gestaltete, ist derzeit unbekannt, die letzten Jahre verbrachte der ehemalige Stummfilmstar Gertrud Welcker laut CineGraph in der Gemeinde Danderyd1), einem ländlichen Vorort von Stockholm1), wo sie am 1. August 1988 rund zwei Wochen vor ihrem 92. Geburtstag starb. Wie bei cyranos.ch nachzulesen ist, wurde ihr schriftlicher Nachlass erst Mitte 2005 in Stockholm wiederentdeckt.
Quellen (unter anderem)*): Wikipedia, cyranos.ch sowie
"CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film"2)
*) Kay Weniger: "Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben … Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht". (ACABUS Verlag, Hamburg 2011, S. 655)
Fremde Links: 1) Wikipedia, 3) filmportal.de
2) Quelle: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film (Lieferung 39)
Lizenz Foto Gertrud Welcker (Urheber: Fotoatelier Becker & Maass, Berlin (Otto Becker (1849–1892) / Heinrich Maass (1860–1930)): Dieses Werk ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für das Herkunftsland des Werks und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Lizenz Standfoto/Szenenfoto aus "Die dame in Schwarz2 (1920): Dieses Bild ist gemeinfrei, da das Urheberrecht abgelaufen und der Autor anonym ist. Das gilt in der EU und solchen Ländern, in denen das Urheberrecht 70 Jahre nach anonymer Veröffentlichung erlischt.
Stummfilme
Filmografie bei der Internet Movie Database, filmportal.de sowie
frühe Stummfilme bei "The German Early Cinema Database"
(Fremde Links: Wikipedia, filmportal.de, cyranos.ch, Murnau Stiftung; R = Regie)
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