Filmografie / Hörspiel
Der Schauspieler Friedrich Gnaß (auch Gnass) erblickte am 13. November 1892 in Langendreer1), heute Stadtteil von Bochum1), das Licht der Welt. Aufgewachsen auf einem kleinen Bauernhof in Westfalen machte Gnaß nach der Schule eine Lehre zum Maschinenschlosser, arbeitete anschließend in verschiedenen Berufen, so als Seemann, Bergmann, Schlosser und Kranführer. Dann entschied sich der inzwischen 30-Jährige für die Schauspielerei und ließ sich ab 1923 in Hamburg entsprechend ausbilden. Sein Bühnendebüt gab er 1925 an den "Hamburger Kammerspielen"1), kam dann über das oberschlesische Beuthen1) ein Jahr später nach Berlin. Hier wirkte er unter anderem an der "Volksbühne"1), am "Theater am Schiffbauerdamm"1) und am "Theater am Nollendorfplatz"1), engagierte sich auch bei progressiven Theatergruppen. Seinen Auftritt in Curt Corrinths1) Schüler-Tragödie "Trojaner" (1929, "Volksbühne", Regie: Fritz Holl1)) kommentiert Herbert Ihering1): "Friedrich Gnaß gab zum Beispiel einen so zügellosen Burschen, daß man von dieser wilden Begabung wieder angetan war. Wo Gnaß aber Gefühle, Tränen, Zerknirschung, Reue gestalten sollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als unvermittelt, ohne schauspielerische Distanz einfach hinzuheulen, hinzuflennen. Eine starke Begabung – für moderne, nicht für sentimentale Rollen." ("Berliner Börsen-Courier"1), 08.04.1929).**)

Friedrich Gnaß in dem Filmklassiker "M"1) (1931)
Quelle: cyranos.ch bzw. Archiv "Praesens-Film AG" Zürich",
mit freundlicher Genehmigung von Peter Gassmann (Praesens-Film AG, Zürich)
© Praesens-Film AG

Friedrich Gnass in dem Filmklassiker "M" (1931); Quelle: cyranos.ch bzw. Archiv "Praesens-Film AG" Zürich", mit freundlicher Genehmigung von Peter Gassmann (Praesens-Film AG, Zürich); Copyright Praesens-Film AG
Bereits im späten, ausgehenden Stummfilm übernahm Gnaß markante Rollen, tauchte erstmals als Matrose in dem von Leo Mittler1) gedrehten Prostituierten-Drama "Jenseits der Straße"1) (1929) mit dem Untertitel "Eine Tragödie des Alltags" (1929) auf der Leinwand in Erscheinung. Einen frühen Erfolg verzeichnete er mit der Figur des Bauarbeiters Max in Phil Jutzis1) stummem Proletarier-Drama "Mutter Krausens Fahrt ins Glück"1) (1929): Erzählt wird die Geschichte der alten Mutter Krause (Alexandra Schmitt1)), die mit ihren erwachsenen Kindern Erna (Ilse Trauschold) und dem arbeitslosen Sohn Paul (Holmes Zimmermann) im Berliner Arbeiter-Bezirk Wedding lebt und die Familie als Zeitungsausträgerin über Wasser hält. Das einzige Zimmer wurde an einen Schlafburschen und Kleinkriminellen (Gerhard Bienert) und dessen Freundin Friede (Vera Sacharowa) vermietet, die für ihn anschaffen geht. Als Paul Geld aus der Zeitungskasse entwendet, droht Mutter Krause eine Anzeige bzw. Gefängnis, Erna, die den politisch engagierten Bauarbeiter Max kennengelernt hat, will für sie das Geld auf dem Strich verdienen, schreckt im letzten Moment allerdings vor diesem Schritt zurück. berlinale.de notiert zur Produktion: "Das Projekt entstand zu Ehren des kurz zuvor verstorbenen Heinrich Zille1). Der hatte sein "Milljöh" genau beschrieben – es fehlte nur noch der Film. Phil Jutzi drehte ihn, beraten von Käthe Kollwitz1), im Stil und der Gesinnung der sowjetrussischen Filme, die die Produktionsfirma "Prometheus"1) importierte und verlieh. Statt auf platte Unterhaltung oder kommerziellen Erfolg setzte Jutzi auf die Kraft der Erkenntnis. Ein Klassiker des proletarischen Films – und ein Hauptwerk der "roten Traumfabrik". Und bei prisma.de kann man lesen: "In großartigen dokumentarischen Bildern erzählt er von den Lebensbedingungen im Berliner Stadtteil Wedding1) Ende der Zwanzigerjahre und stellt sich dabei die Klassenfrage. Seine Erstaufführung erlebte der Stummfilm am 30. Dezember 1929 im "Alhambra-Kino"1) und wurde einer der größten Filmerfolge des Jahres, obwohl er aufgrund seiner klassenkämpferischen Tendenz nur in einer stark gekürzten Fassung gezeigt wurde." Wikipedia informiert: Die Produktion "gehörte zu den ersten Filmen, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung verboten. Sämtliche erreichbaren Kopien wurden vernichtet. In Dänemark, wo er im April 1931 verboten wurde, erhielt sich eine allerdings gekürzte Kopie im Archiv der Zensurbehörde. Am 13. Januar 1957 wurde der Film in dieser Fassung im Berliner Kino "Babylon"1) erstmals wieder aufgeführt. Auf Grundlage des Drehbuchs entstand im Jahr 2012 eine umfassend rekonstruierte Fassung." 1975 brachte Rainer Werner Fassbinder1) die Handlung unter dem Titel "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel"1) erneut ins Kino.
Die Zusammenarbeit mit Ilse Trautschold (1906 – 1991) in diesem Film blieb später nicht nur rein beruflicher Natur, bis zum Tode von Friedrich Gnaß waren beide auch privat ein Paar.
 
Im Tonfilm blieb Friedrich Gnaß ein vielbeschäftigter Darsteller, auch wenn ihm nie die große Hauptrolle vergönnt war, avancierte er doch zum Publikumsliebling. Der Schauspieler, dessen im Alter zerfurchtes, hageres Charaktergesicht und die heisere Stimme zu einem Markenzeichen wurden, spielte prägnante Nebenrollen in etlichen Erfolgsproduktionen, die heute zu den Klassikern des Genres zählen. Er war prädestiniert für die "rauhen Volkstypen, seine kleinen, zusammengekniffenen Augen drücken herzliche Kameradschaft, aber auch gefährliche Verschlagenheit aus."**) So mimte er beispielsweise in Hans Behrendts Historienfilm "Danton"1) (1930) mit Fritz Kortner in der Titelrolle des Georges Danton1) und Gustaf Gründgens als dessen Gegenspieler Robespierre1) den Henker Charles Henri Sanson1) und in Fritz Langs1) Meisterwerk "M – Eine Stadt sucht einen Mörder"1) (1931) den Einbrecher Franz.
Nach der sogenannten Machtübernahme der Nationalsozilisten ließ sich Gnaß, trotz seiner politisch linken Überzeugungen, vor den Karren der NS-Propaganda spannen und trat – wenn auch nur mit unbedeutenden Parts – in einer Reihe von tendenziösen Streifen auf. Darunter befand sich die bis heute zu den "Vorbehaltsfilmen"1) zählende, die "Dolchstoßlegende"1) glorifizierende Produktion "Pour le Mérite"1) (1938) sowie mit "Legion Condor"1) (1939) die unvollendet gebliebene Spielfilm-Variante des NS-Dokumentarfilms "Im Kampf gegen den Weltfeind"1) über die Rolle der "Legion Condor"1) im Spanischen Bürgerkrieg1).
Es darf vermutet werden, dass Gnaß nur unter Druck des NS-Regimes zwischen 1938 und 1939 an verschiedenen Propagandastreifen beteiligt war. So kann man bei Wikipedia lesen: "Auf der Rückreise von Dreharbeiten in Amerika, wo er im Film "Der Kaiser von Kalifornien"1) von Luis Trenker mitgewirkt hatte, soll er 1936 auf dem Schiff im betrunkenen Zustand wüste Drohungen gegen Adolf Hitler1) ausgestoßen haben. Die bei dem Eklat anwesenden Kollegen denunzierten ihn jedoch nicht, dennoch wurden Gnaß' Flüche daheim in Berlin ruchbar und der Schauspieler im Herbst 1936 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Die mit Gnaß gedrehten Szenen wurden aus dem fertigen Film entfernt2) und der Schauspieler vorübergehend aus der "Reichsfachschaft Film"1) ausgeschlossen." → Übersicht Tonfilme bis 1945
 
Nach Ende des 2. Weltkrieges gehörte Friedrich Gnaß zu den renommierten Charaktermimen der Ost-Berliner Theaterszene, war seit der Gründung durch Bertolt Brecht1) im November 1949 Mitglied des "Berliner Ensembles"1), dem er bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahre 1958 angehörte. Dort verkörperte er zahlreiche wichtige Nebenrollen, unter anderem in den Brecht-Dramen "Mutter Courage und ihre Kinder"1) (ab 1949), "Herr Puntila und sein Knecht Matti"1) (1949; auch TV 1957) und "Leben des Galilei"1) (1957), in Erwin Strittmatters1) "Katzgraben – Szenen aus dem Bauernleben" (1953; Regie: Bertolt Brecht; auch TV 1957), in "Winterschlacht" (1955; Regie: Bertolt Brecht/Manfred Wekwerth1)) von Johannes R. Becher1) oder in dem Revolutionsstück "Optimistische Tragödie" (1958; Regie: Manfred Wekwerth/Peter Palitzsch1)) von Wsewolod Wischnewski; einige Aufführungen wurden auch vom "Deutschen Fernsehfunk"1) (DFF) ausgestrahlt, siehe hier.
Seine Arbeit für den Film nahm Gnaß ebenfalls wieder auf, "durch seine individuelle Ausstrahlung verhilft er zahlreichen DEFA1)-Streifen und "Stacheltier"-Kurzfilmen1) zum Erfolg." notierte Volker Wachter1) bei der ehemaligen Website defa-sternstunden.de. In seinem ersten Nachkriegsfilm, Georg C. Klarens1) Büchner-Adaption "Wozzeck"1) (1947), hatte er zwar neben Protagonist Kurt Meisel als Spießrutenläufer nur eine kleine Rolle, in verschiedenen nachfolgenden, zum Teil hochkarätigen Produktionen konnte er sich jedoch mit markanten Figuren eindrucksvoll in Szene setzen. So spielte er für Regisseur Kurt Maetzig1) in dem aufwendigen Familienepos "Die Buntkarierten"1) (1949), der Chronik einer Berliner Arbeiterfamilie in den Jahren 1884 bis 1947, den versoffenen Großvater der jungen Guste (Camilla Spira), glänzte in Erich Engels1) Hauptmann-Verfilmung "Der Biberpelz"1) (1949) neben Mutter Wollfen (Fita Benkhoff) als deren träger Ehemann Julius. In Wolfgang Staudtes1) Heinrich Mann-Adaption "Der Untertan"1) (1951) mit Werner Peters in der Titelrolle konnte er als sozialdemokratischer Maschinenmeister Napoleon Fischer überzeugen, gab – erneut unter der Regie Staudtes – den verständnisvollen Stadtwächter in dem Märchenfilm "Die Geschichte vom kleinen Muck"1) (1953) und den "alten Mann mit Prothese" in der deutsch-schwedischen Produktion "Leuchtfeuer"1) (1954). "Besonders eindrucksvoll ist Gnaß – der privat auch gern mal "einen zur Brust nimmt" – als versoffener Tischler Baumann im Drama "Gejagt bis zum Morgen"1) (1957)." schrieb Volker Wachter bei defa-sternstunden.de. Einen letzten kleinen Leinwandauftritt hatte Gnaß als Bauer Germanini in Wolfgang Staudtes, in West-Deutschland gedrehtem Abenteuer "Madeleine und der Legionär"1) (1958) mit Hildegard Knef als junge französische Lehrerin Madeleine Durand → Übersicht Nachkriegsproduktionen.
Zudem stand der Schauspieler seit Ende der 1940er Jahre vereinzelt im Hörspielstudio, die bei der ARD Hörspieldatenbank gelisteten Produktionen findet man hier.
  
Friedrich Gnaß starb in der Nacht zum 8. Mai 1958 im Alter von 65 Jahren unerwartet an den Folgen einer Embolie in Berlin (Ost). Noch am Abend hatte er in Brechts "Der kaukasische Kreidekreis"1) auf der Bühne gestanden.
Quellen (unter anderem)*): Wikipedia, filmportal.de, defa-stiftung.de, cyranos.ch sowie
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, LG 9**) und
Volker Wachter bei der ehemaligen Seite defa-sternstunden.de → Memento bei web.archive.org
*) F.-B. Habel & Volker Wachter: Lexikon der DDR-Stars (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 1999, S. 100)
**) CineGraph LG 9
Fremde Links: 1) Wikipedia
2) lt. Filmarchiv Kay Weniger
   
Filme
Stummfilme / Tonfilme bis 1945 / Nachkriegsproduktionen / Fernsehen
Filmografie bei der Internet Movie Database sowie filmportal.de
(Fremde Links: Wikipedia (deutsch/englisch), filmportal.de, defa-stiftung.de, fernsehenderddr.de)
Stummfilme Tonfilme bis 1945 Nachkriegs-Produktionen (DEFA-Produktionen, wenn nicht anders vermerkt) Fernsehen (Inszenierungen "Berliner Ensemble")
Hörspielproduktionen
(Fremde Links: ARD-Hörspieldatenbank (mit Datum der Erstausstrahlung), Wikipedia)
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