Wie etliche seiner Kollegen wandte sich auch der renommierte Theaterschauspieler Ludwig Hartau dem noch jungen Medium Kinematographie1) zu. Geboren am 19. Februar 1877 im niederschlesischen Trachenberg (heute: Żmigród, Polen), stand der bereits 35-Jährige erstmals für das von Emil Justitz1) nach dem Roman von Friedrich Wilhelm Hackländer1) in Szene gesetzte Drama "Europäisches Sklavenleben"1) (1912) vor der Kamera, in dem auch so legendäre Film- und Theaterkünstler wie Friedrich Zelnik, Leopoldine Konstantin oder Frida Richard auftraten.
Doch es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis sich Hartau als gefragter Darsteller in der Stummfilmszene etablieren konnte. Sein zweiter Film war Georg Jacobys1) Streifen "Die Tänzerin"1) (1915), die "Kinematographische Rundschau"1) vom 22. August 1915 (S. 67) notierte damals: "In einer recht spannenden Handlung werden die Schicksale eines jungen, hübschen Mädchens … erzählt. (…) Diese Handlung ist außerordentlich packend dargestellt. Irrah Bernhard2) [sic!] als Tänzerin und Ludwig Hartau als Direktor der Ballettschule zeigen sich als ganz hervorragende Vertreter der mimischen Darstellungskunst. Ausstattung und Inszenierung (Regisseur Georg Jakoby) ist erstklassig."
In dem propagandistischen Drama "Der Antiquar von Straßburg"1) (1918) verkörperte er die titelgebende Figur, ebenfalls im März 1918 gelangte der von Richard Oswald1) gedrehte Stummfilm "Das Kainszeichen"1) in die Lichtspielhäuser, in dem Hartau die Hauptrolle des strebsamen Herbert Jensen spielte, der als Mörder seines unmoralischen Bruders Jacob (Ernst Pittschau) angeklagt, aber schließlich freigesprochen wird. Dennoch bleibt an ihm das Kainsmal1) haften – der Verdacht, den eigenen Bruder, wie einst Kain1) den Abel1), ermordet zu haben.
  

Ludwig Hartau etwa 1908, fotografiert von
Wilhelm Willinger1) (1879 – 1943)
Quelle: Wikimedia Commons;
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei) siehe hier

Ludwig Hartau etwa 1908, fotografiert von Wilhelm Willinger (1879–1943); Quelle: Wikimedia Commons; Lizenz: gemeinfrei
Ludwig Hartau fotografiert von Wilhelm Willinger (1879–1943); Quelle: www.cyranos.ch; Lizenz: gemeinfrei Als Edward Gregory, Chef eines großen Handelshauses in China, zeigte er sich in Lupu Picks Sensationsdrama "Mr. Wu"1) (1918) neben Carl Meinhard1) als Wu Hang, genannt "Mr. Wu", nach etlichen weiteren Haupt- und Nebenrollen in meist Melodramen jener Jahre verkörperte Hartau in Ernst Lubitschs1) prominent besetztem, meisterlichem Historienfilm "Anna Boleyn"1) (1920) an der Seite von Henny Porten (Anna Boleyn1)) und Emil Jannings (Heinrich VIII.1)) den Herzog von Norfolk1). Unter anderem besetzte ihn Fred Sauer1) als Kalif in dem orientalischen Märchen "Die 999. Nacht"3) (1920) mit Erna Morena als Scherazadh1), in Fritz Langs1) hochdramatischen Adaption "Kämpfende Herzen"1) (1921) nach dem Bühnenstück "Florence oder Die Drei bei der Frau" von Rolf E. Vanloo1) tauchte er als wohlhabender Makler Harry Yquem auf. Die "Lichtbild-Bühne"1) (Nr. 6, 05.02.1921) schrieb unter anderem "Carola Toelle stets ladylike, wirkt als Florence durch feines, nuancenreiches Spiel; Ludwig Hartau gibt ihrem Gatten stärkere persönliche Züge; Anton Edthofer führt die Doppelrolle der Brüder Krafft durch. Auch in den anderen Rollen weist die Besetzung gute Namen auf."
 
Ludwig Hartau fotografiert von Wilhelm Willinger1) (1879 – 1943)
Quelle: cyranos.ch; Angaben zur Lizenz (gemeinfrei) siehe hier
Hochgestellte Persönlichkeiten der Zeitgeschichte stellte der Schauspieler neben "Anna Boleyn" beispielsweise in der Historien-Geschichte "Johann Baptiste Lingg"1) (1920) mit dem Untertitel "Unter der Fremdherrschaft der Franzosen" dar und spielte den Kurfürst von Hessen Wilhelm I.1) an der Seite des Protagonisten Carl Auen als badischem Oberstleutnant Johann Baptiste Lingg1). In Rudolf Meinerts1) Biopic "Marie Antoinette"1) (1922) mit Diana Karenne als Prinzessin Marie Antoinette1), die durch ihre Heirat mit dem französischen Thronfolger und späteren König Ludwig XVI.1) (Viktor Schwanneke1)) zunächst Dauphine und später Königin von Frankreich und Navarra wurde, gab er Ludwigs Großvater König Ludwig XV.1), in dem von Friedrich Zelnik mit Ehefrau Lya Mara gedrehten Streifen "Die Tochter Napoleons" (1922) den Napoleon Bonaparte1).
Hartaus letzte filmischen Aktivitäten waren Rudolf Walther-Feins1) Drama "Der Schatz der Gesine Jakobsen" (1923) nach dem Roman von Fritz Gantzer (1875 – 1943) mit Marija Leiko bzw. seiner Rolle des Olaf Hinrichsen und die von Max Mack1) nach einem Roman von Georg Hirschfeld1) realisierte Literaturadaption "Das schöne Mädel" (1923), wo er neben Hauptdarstellerin Hella Moja als Warenhausbesitzer Rubiner in Erscheinung trat – die Premiere dieser Filme erlebte er nicht mehr. Ebenso konnte mit ihm in der Hauptrolle des russischen Zaren Iwan der Schreckliche1) Hans Steinhoffs1) Stummfilm "Der falsche Dimitry"1) (1922) nicht mehr realisiert werden, den Part übernahm Alfred Abel → Übersicht Stummfilme.
 
Ludwig Hartau starb, auf dem Höhepunkt seiner schauspielerischen Karriere, mit nur 45 Jahren am 24. November 1922 in Berlin; eine Todesursache ist unbekannt.
Die "Neue Zürcher Zeitung"1) (NZZ) schrieb unter anderem anlässlich des Todes: "Im "Theater in der Königgrätzer Straße"1) hat er als Protagonist, zumal in Strindbergs1) und Ibsens1) Dramen, Unvergeßliches geschaffen. Am unvergeßlichsten bleibt sein Offizier im "Traumspiel"1). Wie er da mit beseeltester Stimme, in der alle Seligkeit eines Liebenden nachzitterte, "Victoria!" rief, das wird im Ohre haften, das wird leben, solange einer lebt, der das vernommen."
Rollenportrait von Ludwig Hartau als Egmont in dem gleichnamigen Trauerspiel von Johann Wolfgang von Goethe; Urheber: Wilhelm Willinger (1879–1943); Quelle: theatermuseum.at; Lizenz: gemeinfrei bzw. gemäß Nuzumhgsbedingungen von theatermuseum.at Neben Strindbergs "Traumspiel" oder "Totentanz"4) (hier als Festungskommandant Edgar) glänzte er im "Theater in der Königgrätzer Straße" (dem heutigen "Hebbel-Theater") als Ibsen-Interpret unter anderem 1912 und 1915 mit der Figur des Ejlert Lřvborg in dem Drama "Hedda Gabler"1) und 1913 mit der Titelrolle in der Tragödie "Brand"1) – jeweils in Inszenierungen von Rudolf Bernauer1). 1918 gestaltete er Ende Februar unter der Regie von Carl Meinhard1) den greisen Wikinger-Avatar Örnulf in der Bühnenfassung von Ibsens Frühwerk "Die Helden auf Helgeland"5). Bereits Anfang Oktober 1904 hatte er in Berlin am "Neuen Theater" (heute "Theater am Schiffbauerdamm"1)) in "Die Kronprätendenten"1) (Regie: Hans Oberländer1)) unter anderem an der Seite von Friedrich Kayßler (Hĺkon Hĺkonsson) und Tilla Durieux (Sigrid) den Hofkaplan Sira Viljam gegeben → ibsenstage.hf.uio.no.
Erfolge feierte Hartau noch wenige Monate vor seinem frühen Tod Anfang Mai 1922 mit der Titelrolle des Kaisers Napoleon Bonaparte1) in dem Drama "Napoleon oder Die hundert Tage"1) von Christian Dietrich Grabbe1) am Berliner "Schauspielhaus"1) in einer Inszenierung von Intendant Leopold Jessner1).

Rollenportrai von Ludwig Hartau als Egmont1)
in dem gleichnamigen Trauerspiel1) von Johann Wolfgang von Goethe1)
Urheber: Wilhelm Willinger1) (1879 – 1943); Quelle: theatermuseum.at
Angaben zur Lizenz (gemeinfrei) siehe hier sowie

Nuzumhgsbedingungen von theatermuseum.at

Hartau war nicht nur ein herausragender Theater- und Filmschauspeler, sondern brachte seine Kunst als Dozent dem Schauspielernachwuchs nahe – unter anderem gehörten Ursula Krieg1) (1900 – 1984), Lilli Schoenborn (1898 – 1987) und Jenny Schaffer-Bernstein1) (1888 – 1943) zu seinen Schülerinnen. Eine Begegnung mit diesem großartigen Mimen führte übrigens dazu, dass sich Ernst Josef Aufricht1) (1898 – 1971) für den Schauspielerberuf entschied. Er hatte ihn in Berlin in einer Aufführung der Tragödie "Erdgeist"1) von Frank Wedekind1) erlebt, wo Hartau die Figur des Chefredakteurs Dr. Schön gestaltete → siehe auch Alfred Kerr1) über Ludwig Hartau bei projekt-gutenberg.org.
Quelle (unter anderem): Wikipedia
Siehe auch cyranos.ch; Fotos bei filmstarpostcards.blogspot.com
Fremde Links: 1) Wikipedia, 3) filmportal.de, 4) theatertexte.de, 5) projekt-gutenberg.org
2) Der Text in der "Kinematographischen Rundschau" nennt die die Tänzerin darstellende Schauspielerin "Irrah Bernhard". Da es aber eine solche Künstlerin nie gab, muss es sich um eine Namenskonfusion handeln. Angesichts der Tatsache, dass der Name "Irrah" extrem selten ist, muss es sich um Tatjana Irrah handeln.
Lizenz Foto Ludwig Hartau (Urheber: Wilhelm Willinger): Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Filme
Filmografie bei der Internet Movie Database, filmportal.de sowie
frühe Stummfilme  bei "The German Early Cinema Database"
(Frermde Links: Wikipedia, filmportal.de, Murnau Stiftung; R = Regie)
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