Albert Steinrück, einer der anerkanntesten Theaterschauspieler des beginnenden 20. Jahrhunderts sowie populärer Stummfilmdarsteller, erblickte am 20. Mai 1872 im nordhessischen Wetterburg (heute Stadtteil von Bad Arolsen) das Licht der Welt. Schon früh entschloss er sich für eine künstlerische Laufbahn und ging 18-jährig nach Düsseldorf an die Kunstakademie, da er Maler werden wollte. Doch schon bald brach er das Studium ab und wandte sich der Schauspielerei zu. Ohne eine entsprechende Ausbildung erhielt er Anfang der 1890er Jahre ein Engagement am Theater in Mühlhausen (Thüringen), weitere Stationen wurden Breslau ("Lobetheater") und Hannover. 1901 wurde er von Raphael Löwenfeld1) an dessen 1894 in Berlin gegründete "Schiller Theater AG" bzw. das "Schillertheater" berufen, Engagements am "Neuen Theater" sowie am "Kleinen Theater" schlossen sich an, wo er unter anderem 1905 mit der Titelrolle in Hauptmanns "Michael Kramer"1) brillierte. 1906 gehörte er als Ensemblemitglied zu dem von Max Reinhardt1) geführten "Deutschen Theater", trat unter anderem am 20. November 1906 neben Alexander Moissi, Camilla Eibenschütz, Gertrud Eysoldt, Hedwig Wangel sowie dem Autor selbst an den dem "Deutschen Theater" angeschlossenen "Kammerspielen" in der von Reinhardt inszenierten Uraufführung des gesellschaftskritisch-satirischen Dramas "Frühlings Erwachen"1) von Frank Wedekind1) auf, mit dem ihn eine besondere Freundschaft und Affinität verband.

Albert Steinrück auf einer Fotografie von Sasha Stone1) (1895 – 1940)
Quelle: www.cyranos.ch; Angaben zur Lizenz siehe hier

Albert Steinrück auf einer Fotografie von Sasha Stone (1895 – 1940); Quelle: www.cyranos.ch
Zwei Jahre später wechselte Steinrück als "1. Charakterspieler" an das "Königliche Hof- und Nationaltheater" in München, wo er bis Ende der 1910er Jahre eine künstlerische Heimat fand. Hier feierte er unter anderem am 8. November 1913 (Uraufführung) Erfolge mit der Titelfigur in dem als Fragment hinterlassenen, 1836/37 entstandenen Drama "Woyzeck"1) von Georg Büchner (Regie: Eugen Kilian (1872–1920), Sohn von Hubertus Kilian1)), machte sich auch mit eigenen Inszenierungen einen Namen, übernahm schließlich nach Ende des 1. Weltkrieges kurz die Intendanz des Hauses.
Anschließend zog es Steinrück wieder in die Metropole Berlin, hier wirkte er in den 1920er Jahren unter anderem am "Staatlichen Schauspielhaus", am "Deutschen Theater" und an der "Piscator-Bühne", wurde für seine Interpretationen kraftvoll-dominanter Charaktere gerühmt. Er spielt u.a. den mephistophelischen Veit Kunz in Frank Wedekinds "Franziska" (Tribüne, 1919): "Er gibt als einziger Wedekind. Er ist scharf, intensiv. Er hämmert, formuliert. Er erstarrt zum Bild und ist dramatisch bewegt Ein schwerfälliger, stiernackiger Kerl spricht mit geschlossenen Augen. Und es ist unheimlich, wenn sie sich glotzend öffnen." (Ihering) Weiter tritt er auf in Ernst Barlachs "Die Sündflut" (Staatliches Schauspielhaus, 1925), Edgar Wallaces "Der Hexer" (Deutsches Theater, 1927), in dem er als morphiumsüchtiger, verbrecherischer Anwalt agiert, und in Bruno Franks "Zwölftausend" (Deutsches Theater, 1928). Sein einfacher Stil, der vor dem Krieg avantgardistisch wirkte, erscheint im modernen, expressionistischen Theater plötzlich veraltet, naturalistisch: "Steinrück stand da und strahlte Magie aus. Seine Rede aber war nüchterner Alltag." (Ihering1)).*)
 
Schon früh hatte sich Steinrück für die aufstrebende Kinematographie interessier, sein erster nachweisbarer Auftritt datiert aus dem Jahre 1910. "Japanisches Opfer" hieß der kurze Streifen mit Lupu Pick (Baron Kamaishi), Max Mack ("Der Edelmütige") und Friedrich Zelnik (Prof. Murosaki), Steinrück mimte einen Delegierten. Ab 1919 stand der Schauspieler dann regelmäßig vor der Kamera, etablierte sich mit zahlreichen Haupt- und prägnanten Nebenrollen in der Stummfilmszene – seine Filmografie umfasst rund 90 Produktionen. Typisch für ihn werden Darstellungen harter Männlichkeit. "Gewalttätig, grausam, brutal, zynisch, von unerhörter Ausdrucksfähigkeit und Wucht in Spiel und Erscheinung, lebt er die Rolle. Fast nicht mehr menschlich in der unerbittlichen Verfolgung seiner Rache, teuflisch, satanisch. Mia May sein Opfer." heißt es in der Kritik zu "Die Schuld der Lavina Morland"2) (Der Film, Nr. 42, 1920).*)
Paul Wegener als Golem (Mitte), Albert Steinrück als Rabbi Loew (r.) und Ernst Deutsch (l.) als Famulus in "Der Golem, wie er in die Welt kam" (1920) von Paul Wegener und Carl Boese; Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_pos-2006-a_0000854) aus "Vom Werden deutscher Filmkunst/1. Teil: Der stumme Film" von Dr. Oskar Kalbus (Berlin 1935, S. 65); bzw. Bilder aus dem Sammelwerk Nr. 10; Copyright SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Unbekannter Fotograf; Quelle: www.deutschefotothek.de Steinrück spielte beispielsweise den Bauern bzw. Richter Pedro Crespo in Ludwig Bergers Historiendrama "Der Richter von Zalamea"3) (1920, gedreht nach dem gleichnamigen Versdrama von Pedro Calderón de la Barca, in dem Stummfilmklassiker "Der Golem, wie er in die Welt kam"1) (1920) verkörperte er brillant den Rabbi Löw, der den Golem (Paul Wegener), einen künstlichen Menschen aus Lehm, zum Leben erweckt. Einen nicht minder großen Erfolg feierte er mit der Figur des Friedrich Wilhelm I. von Preußen1) in Arzén von Cserépys Historien-Vierteiler "Fridericus Rex"1) (1922/23), der seinen Sohn Friedrich1) (Otto Gebühr) mit strenger Hand auf die Rolle als Thronfolger vorbereiten will. Steinrück zeigte sich mit den weiblichen Stars jener Jahre in etlichen Melodramen, etwa mit Pola Negri in "Sappho"3) (1921), mit Asta Nielsen in "Das Haus am Meer"3) (1924) und in der Ibsen-Verfilmung "Hedda Gabler" (1925), mit Henny Porten in "Die Geierwally"3) (1921) und "Das goldene Kalb"1) (1925).
 

Paul Wegener5) als Golem (Mitte), Albert Steinrück als Rabbi Loew (r.) und Ernst Deutsch5) (l.) als Famulus
in "Der Golem, wie er in die Welt kam" (1920) von Paul Wegener und Carl Boese
Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_pos-2006-a_0000854) aus
"Vom Werden deutscher Filmkunst/1. Teil: Der stumme Film" von Dr. Oskar Kalbus (Berlin 1935, S. 65)
bzw. Bilder aus dem Sammelwerk Nr. 10
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Unbekannter Fotograf
Quelle: www.deutschefotothek.de; Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017

Als Manfred Noa sein zweiteiliges Troja-Epos "Helena"4) (1924) mit dem italienischen Star Edy Darclea als Titelheldin auf die stumme Leinwand bannte, gehörte auch Albert Steinrück als König Priamos zur hochkarätigen Besetzung: Hanna Ralph5) gab als Andromache die Ehefrau des trojanischen Helden Hektor (Carl de Vogt5)), Wladimir Gaidarow5) den strahlender Königssohn Paris, Adele Sandrock5) Priamos' Frau Hekabe und Friedrich Ulmer5) den König von Sparta, Menelaos. Der aufwendige Monumentalfilm, basierend auf der antiken Ilias-Sage1) von Homer (Drehbuch: Hans Kyser), erregte auch durch spektakuläre Massenszenen Aufsehen, ist heute jedoch nicht mehr als Originalfassung erhalten → Fünf-Seen-Filmfestival sowie Wikipedia.
Einen skurrilen Tischler Bronsa zeichnete Steinrück in der deutsch-russischen, nach Tschechow-Motiven gedrehten Co-Produktion "Überflüssige Menschen"3) (1926; Regie: Aleksandr Rasumny), zu seinen überschaubaren Komödien-Auftritten gehört Robert Lands "Venus im Frack"2) (1927) mit Carmen Boni. In Karl Grunes Kriegstreifen "Am Rande der Welt"2) (1927) glänzte er als der alte Mühlenbesitzer, dessen Sohn (Wilhelm Dieterle) in einem Grenzdorf in die Machenschaften eines Spions (Imre Raday) gerät. In Kurt Bernhardts Zuckmayer-Adaption "Schinderhannes"3) (1927) mit Hans Stüwe in der Titelrolle des legendären Hunsrücker Räubers Schinderhannes alias Johannes Bückler1), war er der Schuster Johannes Leydecker, der als geistiger Anstifter vieler Verbrechen des Schinderhannes gilt. Zu Steinrücks letzten Arbeiten für den Film zählt Friedrich Zelniks Krimi "Der rote Kreis"1) mit der Rolle des Mr. Froyant, dessen Uraufführung am 25. März 1929 er ebenso wenig erlebte wie die Premiere drei weiterer Produktionen: Paul Czinners tragische Arthur Schnitzler-Verfilmung "Fräulein Else"3) mit Elisabeth Bergner in der Titelrolle, Albert Bassermann als deren Vater Dr. Alfred Thalhof und Steinrück als reicher, zwielichtiger Kunsthändler Dorsday kam am 7. März 1929 in die Lichtspielhäuser, gefolgt von Joe Mays Sozialstück aus dem Berliner Kleine-Leute-'Milljöh' mit dem Titel "Asphalt"1) (UA: 12.03.1929) – hier spielte er den paragraphentreuen Vater des jungen Wachtmeisters Holk (Gustav Fröhlich) – sowie Kurt Bernhardts Abenteuer "Das letzte Fort"3) (UA: 09.07.1929).
Während der Dreharbeiten zu dem Film "Die Frau, die Juwelen hat" erlitt der Schauspieler in Berlin nach einem tragischen Unfall einen Blutsturz an dessen Folgen er am 10. Februar 1929 mit nur 56 Jahren starb. Die letzte Ruhe fand er auf dem Städtischen Friedhof Berlin-Zehlendorf → Foto der Grabstätte bei www.knerger.de. Im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf erinnert seit Februar 1940 der "Steinrückweg" (vorher "Barnayweg") an den gefeierten Stummfilm- und Theatermimen.
 
Steinrück, Vater von zwei Töchtern, war seit November 1908 mit der Schauspielerin Elisabeth "Lissy" Gussmann (1886 –1920) verheiratet. Deren Schwester Olga hatte am 26. August 1903 den Schriftsteller Arthur Schnitzler1) geehelicht, sodass Steinrück über diese Verbindung mit dem bedeutendsten Vertreter der "Wiener Moderne" verschwägert war. Nach dem Tod seiner Ehefrau, die aufgrund ihrer langjährigen Lungentuberkulose im April 1920 mit nur 34 Jahren verstarb, heiratete Albert Steinrück die Schwester des Soziologen und Philosophen Alfred Sohn-Rethel1).
Mit Steinrücks Tod tat sich für die Hinterbliebenen eine finanzielle Notlage auf, seine Witwe konnte kaum die Beerdigungskosten aufbringen. Rund sechs Wochen nach Steinrücks Tod fand daher am 28. März 1929 im Berliner "Schauspielhaus am Gendarmenmarkt" eine von Heinrich George5) organisierte "Albert Steinrück Gedächtnisfeier" bzw. Benefiz-Veranstaltung statt. Gegeben wurde in der zusätzlichen Nachtvorstellung Frank Wedekinds Hochstaplerkomödie "Der Marquis von Keith" mit George selbst in der Titelrolle; Steinrück hatte mit dieser Figur einst Triumphe gefeiert. Die Liste der insgesamt 86 Mitwirkenden liest sich wie das "Who is Who" der Berliner Theater - und Filmszene, angefangen von Hans Albers5) bis Wolfgang Zilzer5). Zum "Ehrenausschuss" gehörten unter anderem der Physiker Albert Einstein1), der Maler Max Liebermann1), der Theatermann Max Reinhardt1), der Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß1) und Reichstagspräsident Paul Löbe1). Kein geringerer als der Schriftsteller Heinrich Mann1) sprach die Gedenkworte, im "Ifflandsaal" des Hauses wurden Steinrücks Bilder ausgestellt bzw. zum Verkauf angeboten.
Die Geschichte der "Steinrück-Feier" ist ausführlich in dem Anfang September 2006 erschienenen Buch der Theaterreferentin Margret Heymann "Eine Sternstunde des deutschen Theaters" beschrieben (Verlag Vorwerk 8, Berlin). Rückblickend ging an diesem Abend eine Theaterepoche zu Ende. Vier Jahre später zerbrach die die hier so innig beschworene Gemeinschaft der Theaterkünstler: Fast die Hälfte von ihnen flüchtete vor den Nationalsozialisten ins Exil, die anderen schwiegen und blieben. Einige dienten sich den neuen Machthabern an und machten in Hitler-Deutschland Karriere.6)
Quellen: Wikipedia, www.cyranos.ch, www.film-zeit.de, www.berlin.friedparks.de sowie
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, LG 12*)
Foto bei www.virtual-history.com
*) CineGraph LG 12 mit der Quelle: Herbert Ihering: "Von Josef Kainz bis Paula Wessely. Schauspieler von gestern und heute" (Heidelberg, Berlin, Leipzig: Hüthig 1942; S. 87–93)
Link: 1) Wikipedia, 2) Murnau Stiftung, 3) filmportal.de, 4) film.at, 5) Kurzportrait innerhalb dieser HP
6) Quelle: www.deutschestheater.de
Lizenz Foto Albert Steinrück (Urheber Sasha Stone): Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Stummfilme
Filmografie bei der Internet Movie Database sowie
einige Stummfilme bei www.earlycinema.uni-koeln.de
(Link: Murnau Stiftung, filmportal.de, Wikipedia, stummfilm.at)
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