Die Theaterlegende Gertrud Eysoldt (Gertrud Franziska Gabriele Eysoldt) erblickte am 30. November 1870 im sächsischen Pirna1) das Licht der Welt. Sie war die Tochter des Juristen Friedrich Arthur Eysoldt1) (1832 1907), unter anderem Abgeordneter des Sächsischen Landtags bzw. des Reichstags und Vertreter der "Deutschen Fortschrittspartei". Gertrud war noch ein Kind, als sich der Vater 1877 von seiner Ehefrau Bertha (1845 1934), Tochter des Rittergutspächters August Wilhelm Richter, scheiden ließ. Die ältere Schwester Anna Eysoldt (1868 1913) studierte in Zürich1) als eine der ersten Frauen zwischen 1887 und 1891 Medizin, gehörte zum Studentinnenkreis um die Schriftstellerin Ricarda Huch1) und hatte enge Beziehungen zur Frauenbewegung. | ||||||||||
Vor allem als Puck in der Shakespeare-Komödie "Ein Sommernachtstraum"1) (1905) schrieb Gertrud Eysoldt Theatergeschichte einmal mehr unter der Regie von Max Reinhardt: "Aus dem niedlichen Ballett-Puck früherer Inszenierungen machte sie einen zotteligen Kobold, der durch einen richtigen Wald auf der Bühne hüpfte. Sie verkörperte den Puck bis 1921 in insgesamt fünf Inszenierungen des Stücks durch Reinhardt."3) Weitere wichtige Rollen-Gestaltungen von Gertrud Exsoldt an Berliner Bühnen3) (Link: Wikipedia, theatertexte.de; UA = Uraufführung):
In der Zeitschrift "Sport im Bild"1) widmete man 1905 in der Reihe "Berliner Bühnensterne" auch Gertrud Eysold einen Artikel: "Gertrud Eysoldt ist ein Stern erster Grösse geworden, ihr Name hat eine Anziehungskraft, die nicht nur die Theaterkasse füllt, sondern auch die geistige Elite Berlins vor den Vorhang des geheimnisvoll düster drapierten Raumes lockt, in dem nur wirkliche Kunst, alte und neue, zur Darstellung kommt. ( ) Eine "interessante" Schauspielerin, so nennt man sie, denn immer gibt sie Neues, immer haben ihre Gestalten einen besonderen Typus, eine stark ausgeprägte Eigenart. ( ) Gertrud Eysoldt ist nicht schön. Sie verfügt weder über eine imponierende Erscheinung, noch über ein machtvolles Organ es ist ein zarter, schwacher Körper, an den sie die gewaltigen psychischen wie physischen Anstrengungen einer den Abend füllenden Rolle, täglicher Proben und Privatstudien stellen muss. Um so bewundernswürdiger ist es, wie dieser gebrechliche Frauenkörper sich den Geboten einer leidenschaftlichen, flammenden Künstlerseele fügt, wie er jeder leisesten Seelenregung sich anpasst, wie diese Stimme zu singen und zu klingen beginnt, dies bewegliche Antlitz Schmerz und Lust, Verzücktheit und Entsetzen, Hass und Liebe zu spiegeln weiss. Gertrud Eysoldt steht auf der Höhe ihrer Kunst. Ihr Talent mag sich ausdehnen, immer neue Rollen an sich ziehen, uns mit reizvoller Mannigfaltigkeit überraschen etwas Grösseres hat sie kaum zu geben, als sie in der Salome", der "Lulu" und der "Elektra" bot."6) Zudem war die Mimin zwischen 1920 und 1922 gemeinsam mit Maximilian Sladek1) Direktorin des in der "Hochschule für Musik" angesiedelten "Kleinen Schauspielhauses" in Berlin-Charlottenburg1). Hier brachte sie am 23. Dezember 1920 trotz Verbots das Schauspiel "Reigen"1) von Arthur Schnitzler1) in einer Inszenierung von Hubert Reusch zur Aufführung, was einen der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts bzw. den so genannten "Reigen-Prozess"1) nach sich zog, bei dem während der fünftägigen Verhandlung auch zahlreiche angesehene Literaturwissenschaftler, Theaterleute und Publizisten wie Alfred Kerr1), Ludwig Fulda1), Felix Hollaender1), Georg Witkowski1) und Herbert Ihering1) als Sachverständige gehört wurden. Das preußische Kultusministerium hatte noch wenige Stunden vor der Berliner Premiere die Vorstellung unter Androhung einer sechswöchigen Haftstrafe verhindern wollen. "Gertrud Eysoldt trat vor den Vorhang, berichtete dem Publikum über die Sachlage und erklärte mutig, dass die drohende Haftstrafe sie nicht daran hindern könne, für die Freiheit der Kunst einzutreten und dem Vorwurf entgegenzutreten, dass Schnitzler ein "unsittlicher Schriftsteller" sei. Die Premiere fand regulär statt. Am 3. Januar 1921 hob ein Gericht das Verbot auf, nachdem sich die Richter die Vorstellung selbst angesehen hatten, in ihrem Urteil nannten sie die Aufführung eine "sittliche Tat".7) Auch als hervorragende Schauspiellehrerin erwarb sich Gertrud Eysoldt einen Ruf, bereits seit 1905 vermittelte sie ihr Wissen an Hunderte junge Nachwuchstalente. Als am 2. Oktober 1905 auf Betreiben Max Reinhardts die Schauspielschule des "Deutschen Theaters" (heute: "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch"1)) seine Pforten öffnete, wurde Gertrud Eysoldt gemeinsam mit Hedwig Wangel eine der ersten Lehrerinnen für Rollenstudium → berliner-schauspielschule.de. Dem noch jungen Medium Film stand Gertrud Eysoldt aufgeschlossen gegenüber und wirkte ab Anfang der 1920er Jahre sporadisch in verschiedenen stummen Produktionen mit. Ihr Leinwanddebüt gab sie als Großmutter in dem von Rochus Gliese1) nach der Novelle "Brennendes Geheimnis"1) von Stefan Zweig1) in Szene gesetzten Drama "Mutter, dein Kind ruft!"1) (1923), Jenny Hasselqvist spielte die Mutter des von Peter Eysoldt1) dargestellten 12-jährigen Edgar im wahren Leben Eydoldts Sohn , Ernst Deutsch den italienischen Grafen.
Bereits Anfang der 1930er Jahre zog sich Gertrud Eysoldt nach Auflösung des Reinhardt-Ensembles weitgehend von der Bühne zurück. Einen letzten Höhepunkt ihrer Karriere in Berlin feierte sie 1940 am Abend ihres 70. Geburtstages mit der Rolle der Herzogin von Gloucester in dem Shakespeare-Drama "Richard II."1), aufgeführt am "Deutschen Theater"1) in einer Inszenierung von Heinz Hilpert1) mit Rudolf Forster in der Titelrolle des Richrsd II.1). Während der Kriegswirren in und um Berlin floh sie 1943 aus der immer unsicherer werdenden Metropole und ließ sich im oberbayerischen Ohlstadt1) bei Murnau1) nieder. Ihre Ehe mit Max Martersteig1) war nach kurzer Zeit gescheitert, die zweite Ehe ging sie 1915 mit dem Berliner Kunstmaler Benno Berneis1) ein, der erst 33-jährig während des 1. Weltkrieges am 8. August 1916 über der französischen Gemeinde Saint-Souplet1) als Angehöriger eines Kampfeinsitzer-Kommandos in einem Luftkampf fiel; er wurde auf dem deutschen Soldatenfriedhof von Mont-Saint-Remy1) in den Ardennen1) (Frankreich) beigesetzt. Aus dieser Verbindung ging der bereits am 1. April 1910 geborene Sohn Peter Berneis1) († 04.11.1985) hervor, der als Kinderdarsteller (unter dem Namen Peter Eysoldt) sowie als Drehbuchautor im Film erfolgreich war. Auch der aus der Ehe mit Max Martersteig stammende, erstgeborene Sohn, der spätere Pianist, Komponist und Bandleader Leo Eysoldt1)4) (1891 1967), machte sich einen Namen: Er leitete unter anderem das Salon-Orchester im Kölner "Café Germania" mit dem die Frühgeschichte des "WDR Rundfunkorchesters"1) begann. Das Orchester "war eines der besten der Stadt, das mit seiner ungewöhnlich großen Besetzung von 20 Musikern gehobene Unterhaltungsmusik und populäre Musik auf einem "bemerkenswert anspruchsvollen Niveau" ("Kölner Stadt-Anzeiger"1), Mai 1926) bot" notiert Wikipedia. Das "Leo-Eysoldt-Orchester" bestand bis 1942, wurde dann während des Krieges aufgelöst, 1949 erhielt Eysoldt eine Festanstellung am "Funkhaus Nürnberg"1) des "Bayerischen Rundfunks"1). Beim "Norddeutschen Rundfunk"1) entstand von Egon Monk1) mit Eysoldt und Karl Ebert die rund 30-minütige Hörfunk-Sendung/das Gespräch "Tönende Theatergeschichte: Gertrud Eysoldt erzählt aus ihrem Leben"8) (EA: 07.05.1960). Bereits in den 1920er Jahren wirkte Eysoldt vereinzeilt in Hörspielen mit, so sprach sie bei der "Nordischen Rundfunk AG"1) (NORAG) unter der Regie von Hans Bodenstedt1) in der Live-Sendung (ohne Aufzeichnung) "Königin Christine"8) (EA: 29.08.1927) nach dem gleichnamigen Drama von August Strindberg1) die Schweden-Königin Christine1). Die mitunter in Vergessenheit geratene, brillante Max-Reinhardt-Schauspielerin Gertrud Eysoldt starb laut Grab-Inschrift am 5. Januar 1955 im Alter von 84 Jahren in ihrer Wahlheimat Ohlstadt1). Die letzte Ruhe fand sie in der Stadt, in der sie Jahrzehnte nachhaltig gewirkt hatte in Berlin auf dem "Dorotheenstädtischen Friedhof"1) in Berlin-Mitte1), nahe der Grabstätten von Bertolt Brecht1) und desesen Gattin Helene Weigel → Foto der Grabstelle bei Wikimedia Commons sowie knerger.de. Die Grabplatte trägt den Spruch "Was einmal war in allem Glanz und Schein, es regt sich dort, denn es will ewig sein." aus Goethes "Faust. Der Tragödie zweiter Teil"1) → projekt-gutenberg.org. An ihrem Geburtshaus in Pirna1) (Marktgasse 1) erinnert eine Gedenktafel (→Wikimedia Commons) mit der Inschrift "Wegbereiterin moderner Bühnenkunst" an die legendäre Künstlerin, die bereits 1945 zum Ehrenmitglied des "Deutschen Theaters" ernannt worden war. Zudem ist im Stadtteil Pirna-Hinterjessen1) sowie im hessischen Bensheim1) eine Straße nach ihr benannt. Die Stadt Bensheim hat einen besonderen Bezug zu Gertrud Eysoldt: Der mit ihr in engem Briefkontakt stehende, in Bensheim verstorbene Theaterkritiker Wilhelm Ringelband1) (1921 1981) stiftete zur Erinnerung an sie den (heute) mit 10.000 Euro dotierten Theaterpreis "Gertrud-Eysoldt-Ring"1). Seit 1986 wird dieser für hervorragende schauspielerische Leistungen an einem deutschsprachigen Theater von der Stadt Bensheim zusammen mit der "Deutschen Akademie der Darstellenden Künste"1) jeweils im März verliehen. Erste Preisträgerin war Doris Schade (1924 2012) für ihre Darstellung der Hekabe1) in dem Schauspiel "Der Untergang (Die Troerinnen)"9) von Walter Jens1) nach "Die Troerinnen"1) des Euripides1) in der Inszenierung von George Tabori1) an den "Münchner Kammerspielen"1) → weitere Preisträger-/innen bei Wikipedia, siehe auch stadtkultur-bensheim.de. Von dem Theaterwissenschaftler Dr. Carsten Niemann, der über Gertrud Eysoldt promovierte, stammt die bebilderte, 1995 veröffentlichte Biografie "Das Herz meiner Künstlerschaft ist Mut. Die Max-Reinhardt-Schauspielerin Gertrud Eysoldt", welche in der Schriftenreihe "Prinzenstraße. Hannoversche Hefte zur Theatergeschichte" zeitgleich mit einer Ausstellung in dem im "Schauspielhaus Hannover"1) beheimateten "Theatermuseum" erschien, mit dessen Leitung Niemann seit 1995 betraut ist; für die Stadt Bensheim richtete er ein "Gertrud-Eysoldt-Archiv" ein. Bereits 1988 zeichnete er als Herausgeber verantwortlich: Anlässlich einer Ausstellung der Stadt Bensheim im "Parktheater" (26.11.198809.01.1989) wurde die 51-seitige Begleitbroschüre "Gertrud Eysoldt Bilder aus einem Schauspielerleben" publiziert. In der ersten Etage des Bensheimer "Parktheaters" befindet sich zudem das "Gertrud-Eysoldt-Foyer", in dem die "Stadtkultur/Galerie" jährlich drei bis vier Ausstellungen veranstaltet. |
||||||||||
Quelle (unter anderem*)):
Wikipedia,
Neue Deutsche Biographie (NDB),
cyranos.ch Fotos bei virtual-history.com, Wikimedia Commons |
||||||||||
Fremde Links: 1) Wikipedia, 2)
deutsche-biographie.de, 8) ARD Hörspieldatenbank, 9) theatertexte.de *) Weitere Quellen:
Digitalisiert: Gertrud Eysoldt: S. 246 (Internet Archive) Zitate/Quellen: 3) "Henschel Theaterlexikon" , Hrsg. Curt Bernd Sucher (Henschel Verlag, 2010, S. 199) 4) Weickert, Christian; "Eysoldt, Gertrud" in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 712713; Onlinefassung: www.deutsche-biographie.de 5) Felix Hollaender: Die Eysoldt, in: "Das Theater" (19.01.1905, Heft 7, S. 75) → www.berliner-schauspielschule.de 6) Dora Schmidt in: "Sport im Bild" ( (1905, Jahrgang 11, Nr. 31, S. 742ff) 7): Wikipedia (abgerufen 21.01.2014) Lizenz Foto Gertrud Eysoldt: Die Rechte für die Abbildungen des Objektes sind für die nicht-kommerzielle Nutzung bei Angabe der Quelle frei verfügbar (CC By-NC-Sa 3.0 DE). Lizenz Foto Gertrud Eysoldt (Urheber "Fotoatelier Zander & Labisch", Berlin): Das Atelier von Albert Zander und Siegmund Labisch († 1942) war 1895 gegründet worden; die inaktive Firma wurde 1939 aus dem Handelsregister gelöscht. Externe Recherche ergab: Labisch wird ab 1938 nicht mehr in den amtlichen Einwohnerverzeichnissen aufgeführt, so dass sein Tod angenommen werden muss; Zander wiederum war laut Aktenlage ab 1899 nicht mehr aktiv am Atelier beteiligt und kommt somit nicht als Urheber dieses Fotos in Frage. Die Schutzdauer (von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers) für das von dieser Datei gezeigte Werk ist nach den Maßstäben des deutschen, des österreichischen und des schweizerischen Urheberrechts abgelaufen. Es ist daher gemeinfrei. (Quelle: Wikipedia) Lizenz Abbildung Gertrud Eysoldt als Salome auf einem Gemälde von Lovis Corinth (18581925): Der Urheber dieses Werks ist 1925 gestorben; es ist daher gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für das Herkunftsland des Werks und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 95 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers. |
||||||||||
|
Um zur Seite der Publikumslieblinge zurückzukehren, bitte dieses Fenster schließen.
Home: www.steffi-line.de |