Joseph Schmidt wurde am 4. März 1904 als jüngstes von vier Kindern
(einige Quellen sprechen von zwei Geschwistern) in Davideny nahe Czernowitz,
einer Stadt der damaligen Österreich-Ungarischen Provinz Bukovina, unweit der Grenze zu Rumänien, geboren. Der Vater Wolf Schmidt,
welcher früh verstarb, war strenggläubiger Jude und verkaufte über Land Schnürbänder, Bindfäden,
Knöpfe u. Ä.; Mutter Sara kümmerte sich um die Familie. Schon als kleiner Junge fiel
Joseph Schmidt durch seine wunderschöne Stimme auf, erst "glänzte" er bei kleineren Familienfeiern,
später mit Auftritten und dem klassischen "Synagogengesang" in der Synagoge von
Cernowitz.
Ab 1920 untermauerte er sein Naturtalent mit einem Gesangs- und Pianostudium
in Wien sowie in Berlin an der königlichen Musikschule bei Professor Weißenborn,
avancierte schnell zu einem der herausragendsten Sänger seiner Zeit und wurde bald vom
Publikum als der "deutsche Caruso" gefeiert.
Schmidt war in Berlin bei einer Revue aufgefallen, sang dann dem Leiter
der Opernabteilung des Berliner Rundfunks, dem gefeierten holländischen Bariton
Cornelis Bronsgeest vor und machte eine rasche Karriere vor allem in den
Opernproduktionen für den Rundfunk. Nur ein einziges Mal stand er
auf einer Opernbühne wohl wegen seiner kleinen Statur blieb ihm eine große Bühnenkarriere verwehrt:
mit nur 1,60 m Körpergröße (andere Quellen sprechen von 1,52 m)
entsprach er nicht den Vorstellungen eines klassischen Heldentenors.
Foto: Joseph Schmidt in der SWR-Dokumentation "Die schöne Stimme" (1958)
Autor: Helmut
Pigge1), Regie: Theo Mezger1)
In der 35-minütigen Dokumentation erzählt der Schauspieler Max Strassberg
(? 1968) von seinen Begegnungen mit
dem Sänger Joseph Schmidt kurz vor dessen Tod im Schweizer
Internierungslager Girenbad, einem Aufenthalt Schmidts im Züricher Kantonsspital und seinem Tod am 16.11.1942 in
Girenbad.
Foto und Textquelle mit freundlicher Genehmigung von SWR
Media Services; © SWR
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Der
scharfzüngige Dirigent Leo Blech soll 1928 einmal Schmidts
"Problem" mit den Worten "Schade, dass Sie nicht klein
sind" ausgedrückt haben; auf Schmidts verwunderte Antwort
"Ich bin doch klein", konterte Blech schonungslos "Sie sind nicht
klein, Sie sind zu klein". Im Januar 1939 kam es zu Schmidts
einzigem Bühnenauftritt im "Théâtre de la Monnaie" in
Brüssel, wo er den "Rodolfo" in Puccinis "La Bohème"
gab, die "feinfühligen" Kritiker waren allerdings
bemüßigt, auf die mangelnde Körpergröße des Tenors ausdrücklich
hinzuweisen.
Zwischen 1929 und 1933 war Joseph Schmidt der populärste Rundfunktenor,
seine Platten verkauften sich millionenfach, Schmidt selbst erhielt
Spitzengagen und gehörte zur Berliner "High Society". Seine
Beliebtheit war nicht auf Deutschland begrenzt, in ganz Europa und selbst in
Amerika feierte er mit seiner leicht geführten, lyrischen Stimme
Triumphe, verzauberte mit Stücken wie "Wenn du jung bist, gehört dir die
Welt", "Launisches Glück", "Tiritomba" oder "Immer nur lächeln"
auf Gastspielreisen beispielsweise in London, Wien und Budapest die Zuhörer aller Altersklassen.
Er sang Opernarien zumeist des französischen und italienischen
Fachs, Operettenlieder, neapolitanische Canzone oder
auch nur "einfache" deutsche Schlager, denen er mit seinem
stimmlichen Volumen "Größe" und Zauber verlieh.
Porträt des Kammersängers Joseph Schmidt,
fotografiert von Hildegard Jäckel (1903 1974)
Quelle: Deutsche
Fotothek, (file: df_j_0002307_02)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Hildegard Jäckel
Quelle: www.deutschefotothek.de
Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017
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Mit dem Ufa-Musikfilm "Ein Lied geht um die Welt"1)
und dem gleichnamigen Titellied (Text: Ernst Neubach, Musik: Hans May) wurde
Schmidt dann 1933 zum Medienstar; ein Jahr später wurde in London das
englischsprachige Remake
"My Song goes around the World" gedreht. Unter der Regie von Richard Oswald
spielte Schmidt an der Seite von Viktor de Kowa und Charlotte Ander
den Tenor Riccardo, das Drehbuch thematisierte in Grundzügen Schmidts
eigene Lebensgeschichte: Ricardo ist ein Tenor, der sich beim Rundfunk in kurzer Zeit einen großen Namen gemacht hat, aber
mit starken Minderwertigkeitskomplexen behaftet und todunglücklich ist, weil er eine
kleine unscheinbare Figur hat und daher von den Frauen nicht für voll angesehen wird.
Endlich glaubt er die Frau seiner Träume gefunden zu haben, aber auch sie ist nur aus Mitleid freundlich zu ihm, ihr Herz gehört einem
anderen
Der Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland hatte
für den Juden Joseph Schmidt
weitreichende Folgen. Zur ungestörten Premiere des ungemein
erfolgreichen Films "Ein Lied geht um die Welt" am 9. Mai 1933 hatte sich noch
Reichspropagandaminister Goebbels angesagt, der den Sänger verehrte und
ihm den Status eines "Ehrenariers" verschaffen wollte, was
Schmidt jedoch ablehnte. Seine Heirat mit der Generalstochter Brigitte von Hilden wurde aus
"rassischen" Gründen verboten, als dann im Nazi-Presseorgan "Völkischer
Beobachter" zu lesen war, dass Lieder, "die heute in Deutschland erklingen, einen anderen Rhythmus
haben", war Schmidt klar, dass ein weiteres Leben in Deutschland
gefährlich wurde. Aus unbekannten Gründen lehnte
Schmidt dennoch 1933 ein Angebot der amerikanischen Firma NBC ab, auch eine Gastspielreise,
die ihn im Frühjahr und Herbst 1937 durch die USA mit unter anderem vier Konzerten in der
New Yorker Carnegie-Hall führte, nutzte Schmidt nicht, um Nazi-Deutschland den Rücken
zu kehren.
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Postwertzeichen "100. Geburtstag Joseph Schmidt"
(Erstausgabe: 11.03.2004)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung
des
Bundesministeriums der Finanzen
sowie der Grafikerin Jennifer Rothkopf (www.rothkopf-design.de)
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Stattdessen war er nach Österreich emigriert, stand 1934 für den Film "Wenn du jung bist, gehört dir die Welt"
(→ film.at) mit Liliane Dietz als Partnerin vor der Kamera, im gleichen Jahr erlebte man
ihn in der turbulenten Verwechslungskomödie "Ein Stern fällt vom
Himmel", mit dem er in den USA und der amerikanischen Version "A Star Fell From Heaven"
ebenfalls Furore machte: Hier agierte Schmidt unter der Regie von Max Neufeld
als schüchterner Musikstudent Josef Reiner, der von der jungen Klavierlehrerin Annerl Bachinger
alias Evi Panzner wegen seiner schönen Gesangsstimme verehrt wird und
die ihm zu einer Gesangskarriere verhilft. Die beste Gelegenheit bietet sich im Filmatelier, wo gerade der berühmte
amerikanische Tenor Lincoln alias Egon von Jordan wegen Verätzung der Stimmbänder
seine Filmrolle aufgeben muss; für die verbleibenden Filmaufnahmen leiht
Josef dem Tenor seine Stimme und nach einer Reihe von Verwechslungen steht
schließlich auch dem Happy End mit Annerl nichts mehr im Wege. Auch in
diesem Film bewies Schmidt mit Liedern wie "Ich singe ein Liebeslied" oder
"Ein Stern fällt vom Himmel" erneut seine fulminante sängerische
Dominanz aber auch sein Talent als Schauspieler → film.at.
Porträt des Kammersängers Joseph Schmidt um 1935 → Info-Karte
Quelle: Deutsche
Fotothek, (file: df_hauptkatalog_0270555)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek
Quelle: www.deutschefotothek.de
Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017
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Das Titellied aus seinem 1936 gedrehten letzten Film "Heut ist der schönste Tag in meinem
Leben"1) sowie "Es wird im Leben dir mehr genommen, als
gegeben" letzteres wohl ein Lied mit Symbolcharakter für Schmidts
weiteren Lebenslauf bleiben er bis heute unvergessen. Erneut
unter der Regie von Richard Oswald trat der Tenor hier in der Doppelrolle der
Zwillingsbrüder Beppo und Tonio auf, die sich mit ihrer schönen
Stimme unterschiedlich entwickeln. Tonio feiert als Varietésänger internationale
Erfolge, Beppo fristet als Betreiber einer Schaubude im Wiener Prater ein armseliges
Dasein In diesem Film gab übrigens der junge Schauspielers Karl Hödl
sein Leinwanddebüt, der später als "Hans Holt"2) Karriere machte
und zu einem der beliebtesten Darsteller des bundesdeutschen Nachkriegskinos
avancierte.
Als Hitler 1938 Österreich annektierte begann eine Odyssee für den
gefeierten Sänger: Zunächst floh er nach Brüssel, später nach
Südfrankreich; fast mittellos ließ er sich in Lyon nieder, versuchte dann
am 20. Dezember 1941 von Nizza aus nach Kuba zu emigrieren. Wegen des Kriegseintritts
der USA war jedoch der zivile Schiffsverkehr eingestellt worden und so
scheiterte Schmidts Vorhaben. In der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1942
übertrat er dann illegal die Grenze zur Schweiz, nachdem ihm die Behörden ebenfalls die Einreise verweigert
hatten. Eine Woche konnte er in Zürich in einer armseligen Pension untertauchen, wurde dann
in das Internierungslager Girenbad eingewiesen,
wo er zusammen mit anderen Juden unter erbärmlichsten Bedingungen auf den
Bescheid seines Asylantrags warten musste. Dort wurde er trotz Intervention
einflussreicher Freunde zum schweren Arbeitsdienst eingesetzt, sein bereits
durch die Flucht angegriffener Gesundheitszustand verschlechterte sich.
Schließlich wies ihn der behandelnde Lagerarzt in das Züricher
Kantonsspital ein, wo Schmidts starke Beschwerden in der Brust jedoch
als "Simulantentum" abgetan wurden eine erneute Einweisung in das
Lager war somit vorprogrammiert. Am 15. November 1942 wurde er in die
ungeheizten Baracken von Girenbad zurückgebracht, auf Einsehen des
Lagerkommandanten in die nahe gelegene Pension Waldegg verlegt, wo der
einst gefeierte Tenor am 16. November 1942 mit nur 38 Jahren an einer als Erkältung diagnostizierten Herzschwäche
respektive frühzeitig unterlassener ärztlicher Hilfeleistung verstarb; sein Grabstein
auf dem israelitischen Friedhof in Friesenberg (Zürich) trägt neben
hebräischen Lettern die symbolträchtigen Worte "Ein Stern fällt
" → Foto der Grabstelle bei
Wikimedia
Commons.
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