Der heute fast vollkommen vergessene Schauspieler Hermann Picha hat eine beeindruckende Filmografie aufzuweisen, in rund zwei Jahrzehnten wirkte er in knapp 330, zu Stummfilmzeiten oft mehrteiligen Produktionen mit. Dennoch lassen sich kaum detaillierte Informationen zu ihm finden.
Geboren wurde Picha am 20. März 1865 als Hermann August Karl Picher in Charlottenburg1) (heute Ortsteil von Berlin), mit seinem unkonventionellen, humorigen Auftreten soll er das "schwarze Schaf" einer sehr konservativen Familie gewesen sein.*) Seine Karriere begann am Theater, 20-jährig gab er 1885 sein Debüt im niederschlesischen Jauer1) (heute: Jawor, Polen), weitere Engagements führten ihn nach Detmold1), Heilbronn1) und Hamburg1). 1890 wechselte er nach Stettin1) an das "Bellevue-Theater", welches für die nächsten 15 Jahre seine künstlerische Heimat bleiben sollte. 1906 zog es Picha wieder in seine Geburtsstadt Berlin, hier spielte er vor allem am "Berliner Theater"1) in der Charlottenstraße und avancierte zu einem beliebten Komiker. Daneben trat er später an anderen Berliner Bühnen wie dem "Großen Schauspielhaus"1), das für seine Revuen und Possen bekannt war, und dem "Lustspielhaus"1) in der Friedrichstraße1) auf.
 
Noch vor Beginn des 1. Weltkrieges kam Picha zum Film und erhielt von Regisseur Danny Kaden1) eine erste Rolle in der kurzen, heiteren Geschichte "Fräulein Puppe – Meine Frau" (1914) neben der heute ebenfalls vergessenen Gudrun Hildebrandt sowie Kurt Gerron und Fritz Schulz. Wenig später tauchte er unter der Regie von Joe May1) in "Das Panzergewölbe" (1914) aus der "Stuart Webbs"1)-Detektivreihe an der Seite von Protagonist Ernst Reicher auf. Nach dem von Max Mack1) in Szene gesetzten Lustspiel "Pension Lampel"1) (1915) startete Picha dann eine intensive Laufbahn beim Film, stand für zahllose Abenteuer, Krimis, Melodramen und Lustspiele vor der Kamera und gehörte bald zu den gefragtesten Nebendarstellern jener Ära.
Er wurde von legendären Filmemachern wie Joe May, Franz Hofer1), Friedrich Zelnik, Erik Lund1), Paul Leni1), Fritz Lang1), Ernst Lubitsch1) oder Friedrich Wilhelm Murnau1) verpflichtet, die den Mann mit den markanten, auffälligen Gesichtszügen vornehmlich als "verschrobenen Typen am Rande des Geschehens" in ihren heute als Klassiker geltenden Stummfilmen einsetzten. So mimte er beispielsweise in Paul Lenis Märchenverfilmung "Dornröschen"1) (1917) die "alte Hexe", in Joe Mays monumentalem Dreiteiler "Veritas vincit"1) die Zauberin in der Sugura bzw. den Zeremonienmeister und auch in Joe Mays, mit dessen Ehefrau Mia May gedrehtem, achtteiligem Abenteuer "Die Herrin der Welt"1) war er im sechsten Teil "Die Frau mit den Millionarden"2) (1920) als geschäftstüchtiger amerikanischer Zeitungsverleger Jonathan Fletcher zu sehen. Für Lubitsch gab er den Schreiber in der Groteske "Romeo und Julia im Schnee"1) (1920), für Fritz Lang den Schneider in dessen Meisterwerk "Der müde Tod"1) (1921). Joe May gab ihm als Orientalist Professor Leyden einmal mehr eine Aufgabe in seinem Zweiteiler "Das indische Grabmal"1) (1921), in Murnaus hochgelobten Adaption "Tartüff"1) 1925), einer modernisierten Version der Komödie "Tartuffe oder Der Betrüger"1) von Molière1) mit Emil Jannings als Herr Tartüff, überzeugte er als der greise, wohlhabende Mann, der seinen Neffen (André Mattoni) enterbt und verstoßen hat. Auch in einer weiteren Produktion, die zu den cineastischen Highlights der ausgehenden Stummfilm-Epoche zählt, gehörte Hermann Picha zur exzellenten Schauspieler-Riege: In dem von Friedrich Zelnik gedrehten Werk "Die Weber"1) (1927), werkgetreu und bildgewaltig umgesetzt nach dem sozialkritisch-naturalistischen, gleichnamigen Drama1) von Gerhart Hauptmann1), präsentierte er sich als der alte Weber Baumert, Vater von Bertha (Camilla von Hollay) und Emma (Hertha von Walther), an der Seite von Stars wie Paul Wegener (Fabrikaten Dreißiger), Wilhelm Dieterle (Dreißigers Kontrahent bzw. Rädelführer Moritz Jäger), Arthur Kraussneck (alte Weber Hilse), Dagny Servaes (dessen militante Frau) oder Theodor Loos (Weber Becker).

Herman Picha als Weber Baumert in dem Stummfilm "Die Weber" (1927)
Quelle: cyranos.ch; Angaben zur Lizenz (gemeinfrei) siehe hier

Herman Picha als Weber Baumert in dem Stummfilm "Die Weber" (1927); Quelle: cyranos.ch; Lizenz: gemeinfrei
Hermann Picha deckte nicht zuletzt aufgrund seiner Physiognomie in den zahllosen Produktion die ganze Palette der oftmals skurrilen und absonderlich anmutenden Typen ab, mimte Diener, Kammerherren, Gastwirte, Stadträte oder Pfarrer, aber auch schon mal komische Grafen und Hofräte, der Musiker in dem Asta Nielsen-Drama "Dirnentragödie"1) (1927) mit dem Namen "Kauzke" schien Programm. Nur wenige Male wurde der Mime mit einer Hauptrolle betraut, die Titelfigur in "Schneider Wibbel" (1920), von Manfred Noa1) inszeniert nach dem gleichnamigen Theaterstück1) von Hans Müller-Schlösser1), schien dem hageren Mann auf den Leib geschrieben. Als Titelheld wurde er in "Der Hauptmann von Köpenick"1) (1926) von Regisseur Siegfried Dessauer1) besetzt, der die berühmt gewordene Episode um den Schumacher und falschen Hauptmann Wilhelm Voigt1) nach 1906 (= Stummfilm von Heinrich Bolten-Baeckers1) mit Ernst Baumann als Wilhelm Voigt) nach eigenem Drehbuch zum zweiten Mal auf die Leinwand bannte. Zu Hochform lief Picha in dem Schwank "Die fidele Herrenpartie" (1929) auf, machte als Peter Fistelhahn, Inhaber eines Schönheitssalons Furore. Der "Hamburger Anzeiger"1) (Nr. 27, 01.02.1930) notierte unter anderem: "… ein keifender Despot am Stammtisch, beim derben Männerwitz, auf Herrentour. Ein Häuflein Unglück und ein Pantoffelheld daheim. (…) Prachtvoll diese knickebeinige Karikatur des Pantoffelhelden. Prachtvoll dieser rabiate Umschwung des Geizlings am häuslichen Herd zum bellenden Korporal der Tafelrunde. (…) Wuchtiges Gegenstück zu dem einmal in einer Altweiberpelerine fast verschwindenden, trocknen Picha sein voluminöser Hausdrache Lydia Potechina." In weiteren Hauptrollen sah man Maria Paudler als Tochter Wally Fisterhahn und Walter Rilla als Medizinstudent Heinz Rüdiger, die für den romantischen Teil der witzigen Geschichte sorgten. Pichas letzte Arbeit für den Stummfilm war der nachträglich vertonte Streifen "O Mädchen, mein Mädchen, wie lieb' ich Dich!" (1930) mit Fritz Kampers und Maria Paudler, wo er sich als Beerdigungsunternehmer mit dem amüsanten Namen Fürchtegott Milde zeigte → Übersicht Stummfilme.
 
Den Übergang zum Tonfilm schaffte der inzwischen kahlköpfige Picha aufgrund seiner Bühnenerfahrungen problemlos, bediente auch hier die unverzichtbaren Chargenrollen, trat überwiegend in Komödien, mitunter Militärklamotten und sonstigen harmlosen Unterhaltungsproduktione in Erscheinung. In Victor Jansons Verfilmung "Der Bettelstudent" (1931) nach der gleichnamigen Operette1) von Carl Millöcker1) mit dem Tenor Hans Heinz Bollmann1) als Symon, der Bettelstudent, tauchte er als Gefängnisaufseher Enterich auf – die Figur des Enterich hatte er bereits in dem von Jakob Fleck1) und Luise Fleck1) mit Harry Liedtke gedrehten Stummfilm "Der Bettelstudent"1) (1927) gemimt. In Heinz Pauls1), nach einer Vorlage von Paula Busch1) realisierten Zirkus-Krimi "Schatten der Manege" (1931) kam er neben Hauptdarstellerin Liane Haid als Clown Edorado daher, als Naturforscher Kasimir Mackeldey in der ganz auf Siegfried Arno zugeschnittenen Geschichte "Ein ausgekochter Junge"2) (1931) oder als Gesangslehrer Schubert in dem Militärschwank "Annemarie, die Braut der Kompanie"2) (1932) mit Lucie Englisch als Pensionatsangestellte Annemarie. Zu seinen letzten Auftritten zählte ein kleinerer Part in Arzén von Cserépys1) antisemitischem Unterhaltungsstreifen "Nur nicht weich werden, Susanne"1) (1935) mit dem Untertitel "Eine Groteske aus vergangener Zeit" und Jessie Vihrog1) als Titelheldin. Eine letzte Rolle spielte er als Großvater der eine Putzkolonne leitenden, reizenden Bessie (Anny Ondra), die in Karel Lamačs1) Verwechslungslustspiel "Großreinemachen"2) (1935) mit dem Frauenhelden Robert (Wolf Albach-Retty) schließlich ihr Glück findet → Übersicht Tonfilme.
 
Der Schauspieler und Komiker Hermann Picha, über dessen privates Umfeld derzeit nichts bekannt ist, starb am 7. Juni 1936 im Alter von 71 Jahren im Berliner Ortsteil Tempelhof1). Die letzte Ruhe fand er auf dem "II. Städtischen Friedhof Eythstraße"1) in Berlin-Schöneberg1); die Grabstätte ist schon seit längerer Zeit nicht mehr existent.
Quellen: Wikipedia, cyranos.ch
Fotos bei virtual-history.com, filmstarpostcards.blogspot.com
*) Quelle: berlin.friedparks.de (Artikel nicht mehr online)
Fremde Links: 1) Wikipedia, 2) filmportal.de
Lizenz Standfoto/Szenenfoto aus "Die Weber" (1927): Dieses Bild ist gemeinfrei, da das Urheberrecht abgelaufen und der Autor anonym ist. Das gilt in der EU und solchen Ländern, in denen das Urheberrecht 70 Jahre nach anonymer Veröffentlichung erlischt.
Filme
Stummfilme / Tonfilme
Filmografie bei der Internet Movie Database, filmportal.de (Seite 1Seite 2) sowie
frühe Stummfilme bei "The German Early Cinema Database"
(Fremde Links: Wikipedia, filmportal.de, cyranos.ch, Murnau Stiftung; R = Regie)
Stummfilme (Auszug) Tonfilme
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