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Nach einem weiteren Studium bei der Professorin Luise Götz (geb. Devrient) an der Münchener Musikhochschule
wurde Lotte Lehmann im Herbst 1910 als festes Ensemblemitglied an die Hamburger
Oper engagiert, debütierte als zweiter Knabe in Mozarts
"Zauberflöte"1) und sang dort zunächst weiterhin kleinere Knaben-
und Pagen-Rollen. Nach ihrer ersten "Freia" in "Rheingold"1)
hatte ihr die Hamburger Presse noch "rührende Unbeholfenheit"
attestiert, doch dann etablierte sie sich unter anderem als "Gutrune"
im Wagnerschen "Der Ring der Nibelungen"1), als "Sophie"
im "Der
Rosenkavalier"1) von Richard Strauss, als "Margiana"
in "Der Barbier von Bagdad"1) von Peter Cornelius oder als
Bauernmädchen "Micaëla"
in Bizets "Carmen"1) als ernstzunehmende Interpretin. An einem Abend,
an dem neben Glucks Oper "Orfeo ed Euridice"1) auch Leoncavallos
"Bajazzo" mit dem legendären Enrico Caruso gegeben wurde, hörte dieser ihre
"Euridice". Als Lotte Lehmann von der Bühne ging, fasste Caruso
ihre Hand und sagte: "Ah, brava, brava! Che bella voce! Che magnifica
voce! Una voce italiana". 1914 später ging Lotte Lehmann
nach Wien und sang zwei Jahre später erstmals an der Wiener Hofoper als Ensemblemitglied
die "Agathe" in Carl Maria von Webers "Der
Freischütz"1).
Lotte Lehmann als "Agathe" 1911/12 in Wien
Foto:
Mit freundlicher Genehmigung von www.cantabile-subito.de
Urheber: Unbekannt*)
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In ihren beiden ersten Wiener Jahren hatte sie es nicht leicht. Sie war
ehrgeizig, und sie war eine Preußin Eigenschaften, die nicht zu innigen
Freundschaften führen. Überdies traf sie auf formidable Konkurrenz: Die
für ihre phantastischen Triller berühmte Selma Kurz, die vielseitige Marie Gutheil-Schoder
und die schöne, glamouröse Maria Jeritza, die das gleiche
Repertoire sang. Den Durchbruchserfolg hatte sie 1916 als "Komponist"
in der Uraufführung von "Ariadne auf Naxos". Sie sang den "Komponisten",
Maria Jeritza die Titelpartie. Wenn die beiden erbitterten Rivalinnen in der
"Walküre" oder der "Frau ohne Schatten" auftraten, so
war das, nach einem Wort Walter Legges, "Manna für die Abendkasse"
und Anlass für Straßenkämpfe zwischen den Mitgliedern der Jeritza- und der
Lehmann-Clique.3)
Bis 1938 stand Lotte Lehmann in Wien auf der Bühne, feierte mit ihrem lyrischen,
später lyrisch-dramatischen Sopran Triumphe, vor allem als Interpretin in
Werken von Richard Wagner und Richard Strauss; so unter anderem als
Wagnersche "Elsa" in "Lohengrin"1) oder in der
Strauss-Oper "Frau ohne Schatten"1) hier wurde sie 1919 in Wien auf
ausdrücklichen Wunsch des Komponisten Richard Strauss als "Färbersfrau"
ausgewählt und seither besetzte sie Strauss bei allen seinen Aufführungen;
als "Christine" in "Intermezzo"1), als "Octavian"
und "Sophie", später als "Marschallin" in
"Der Rosenkavalier"1); mit den Titelpartien in "Ariadne auf
Naxos"1) und "Arabella"1) beeindruckte sie, neben dem Komponisten
selbst, Publikum und Fachwelt. Vor allem die "Feldmarschallin Fürstin Werdenberg" im
"Rosenkavalier" bleibt für alle Zeit mit dem Namen Lotte Lehmanns verbunden:
Sie spielte nicht, sie war die "Marschallin".
Lotte Lehmann 1924 in London als "Marschallin"
Foto: Mit
freundlicher Genehmigung von
www.cantabile-subito.de
Urheber: Unbekannt*)
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Ihre vielen Rollen lassen sich kaum alle aufzählen: Als Wagner-Interpretin
gehörten, neben der erwähnten "Elsa" in "Lohengrin",
auch das "Evchen" in "Die Meistersinger
von Nürnberg"1),
vor allem aber die "Sieglinde" in "Die Walküre"1)
zu ihrem herausragenden Repertoire. Sie glänzte beispielsweise als "Charlotte"
in Massenets "Werther"1), als "Lisa" in
Tschaikowskis
"Pique Dame"1), als "Tatiana" in dessen "Eugen Onegin"1),
beeindruckte als "Desdemona" in Verdis "Otello"1) oder als
"Maddalena" in Giordanos "Andrea Chénier"1). In
Puccini-Opern riss sie das Publikum als "Mimi" in "La Bohème"1),
als "Cho-Cho-San" in "Madame Butterfly"1) oder mit den
Titelpartien in "Turandot"1) und "Manon Lescaut"1) zu
Begeisterungstürmen hin; die "Suor Angelica"1)
(Schwester Angelika) sang sie bei der
ersten Aufführung in Wien vor dem zutiefst gerührten Puccini.
Lotte Lehmann 1924 (Foto links) bzw. 1917 in "Manon Lescaut"
(Foto: Mit freundlicher Genehmigung
von
www.cantabile-subito.de)
Urheber: Unbekannt*)
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Daneben
gab sie zahlreiche Gastspiele beispielsweise in Salzburg, Paris,
London, Buenos Aires, Chicago, San Francisco und New York. Die internationale
Karriere hatte bereits 1924 in London am "Covent Garden"
mit der Rolle der "Marschallin" in der "Der
Rosenkavalier" unter dem berühmten Dirigenten Bruno Walter1)
(1876 1962), dem sie
lebenslang künstlerisch und auch privat verbunden blieb, begonnen, hier sang
sie bis 1938 die großen Partien ihres Fachs. Vor allem als "Leonore"
in Beethovens "Fidelio"1), einer Rolle die sie erstmals 1927
anlässlich der "Beethoven-Zentenarfeier" gestaltet hatte, erlangte
sie ungeheures internationales Renommee; bei den jährlichen Salzburger
Festspielen war es bis 1937 so gut wie ausschließlich "ihre Rolle"
unter so berühmten Dirigenten wie Clemens Krauss1)
(1893 1954), Franz Schalk1)
(1863 1931) oder Arturo Toscanini1)
(1867 1957).
Lotte Lehmann 1918
Foto
mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber: Atelier Madame
d'Ora1) (18811963); Datierung: 26.11.1918
© ÖNB/Wien, Bildarchiv (Inventarnummer 204142-D)
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Als die Nazis 1933 in Deutschland die Macht ergriffen, durfte Lotte Lehmann
aufgrund von Differenzen mit Hermann Göring, vor allem aber weil sie
sich der Forderung widersetzte, sich von ihrem jüdischen Ehemann zu trennen,
in Deutschland nicht mehr auftreten; als Österreich in das "Großdeutsche
Reich heimgeholt" wurde, emigrierte sie wie viele andere NS-Opfer und
fand eine neue Heimat in den USA, zunächst in New York, später im
kalifornischen Santa Barbara. Von 1938 bis 1951 wurde die "Metropolitan
Opera" in New York der Mittelpunkt ihres Künstlerlebens, von dem aus
sie die Amerikaner mit ihrer Sangeskunst und anrührenden Rollenverkörperung
begeisterte und zur 1. Sopranistin der wichtigsten Bühne der Vereinigten
Staaten avancierte; ihr Debüt an der "Met" hatte sie 1934 mit
bereits 46 Jahren als "Sieglinde" in der "Walküre"
neben Lauritz Melchior als "Siegmund" gegeben, eine Figur,
die von vielen Kritikern als eine ihrer herausragendsten Darstellungen angesehen
wird.
In Amerika brillierte sie in den folgenden Jahren als Wagner-Interpretin,
verzauberte die Zuhörer als "Feldmarschallin" in Richard Strauss'
"Der Rosenkavalier" ebenso wie mit der Titelpartie in Verdis
"Tosca" sowie ihren vielen, mehr als 90 eindrucksvollen, subtilen
Rolleninterpretationen. Um den Plan, Wagners weibliche Titelpartie in
"Tristan und Isolde" zu singen, ranken sich verschiedenste Geschichten:
Lotte Lehmann sagt in ihren Erinnerungen "Es war immer ein
Lieblingswunsch Franz Schalks gewesen, mich die "Isolde" singen zu
lassen. Zu "Isolde" hatte ich eine ganz merkwürdige Beziehung; ich
liebte diese Partie mit der zähen Hartnäckigkeit der unglücklich
Verliebten (
) Ich träumte von ihr im wahrsten Sinne des Wortes (
) Ich
studierte sie für mich und weinte vor Entzücken über ewig Unerreichbares,
denn meiner Stimme fehlte die hochdramatische Kraft, die siegreich dem
großen Orchester trotzen muss, nicht verletzt werden darf, wenn sich das
Drama elementar entlädt."
Ihre Konzerte mit Liedern von beispielsweise Robert Schumann, Schubert,
Brahms, Hugo Wolf oder Mendelssohn waren stets ausverkauft und auch mit der
"leichten Muse", wie Operettenliedern von Léhar oder Offenbach,
begeisterte sie das Publikum. Sie trat in Rundfunksendungen auf, machte 1948 mit
dem Hollywood-Film "Big City" auch einen
Ausflug auf die Leinwand und spielte neben dem damaligen Kinderstar Margaret O'Brien.
Schon 1945 hatte Lotte Lehmann in Los Angeles als "Marschallin"
Abschied von der Opernbühne genommen, 1951 verkündete sie während eines
Konzerts in der New Yorker "Town Hall" mit bewegten Worten das Ende
ihrer Gesangskarriere: Einige Hörer riefen "Nein, Nein",
andere weinten. Lotte Lehmann aber sagte: "Ich nehme an, Sie wissen,
dass die Marschallin im "Rosenkavalier" eine meiner liebsten Rollen
gewesen ist. Diese Marschallin ist eine sehr kluge Frau. Sie schaut in den
Spiegel, und sie sagt: Es ist Zeit. Ebenso habe ich, als Sängerin, in den
Spiegel geschaut, und nun sage ich: Es ist Zeit". Danach trat sie noch
vereinzelt auf, arbeitete in den folgenden Jahren jedoch vornehmlich als
Gesangspädagogin, zuerst in New York und später an der "Music Academy of the West"
im kalifornischen Santa Barbara; zu ihren Schülerinnen zählte beispielsweise
auch Grace Bumbry1). Darüber hinaus machte sie sich auch als
Schriftstellerin, Dichterin und Malerin einen Namen, schrieb neun Bücher unter
anderem 1936 die Autobiografie "Anfang und Aufstieg", welche
in Großbritannien unter dem Titel "On Wings of Song",
in den USA als "Midway in My Song" auf den Markt kam. In den USA
verfasste sie "My Many Lives", eine Porträtgalerie ihrer größten
Rollen vermischt mit Erinnerungen an künstlerische Weggefährten, sowie
"More Than Singing", in dem sie ihre Erfahrungen mit dem Liedgesang
dokumentierte. Daneben veröffentlichte sie zahllose Artikel zu
musikalischen Themen, ihre Ölbilder mit Opernszenen sowie Illustrationen
ließen sie zur anerkannten bildenden Künstlerin werden und auch die
zahlreichen Gedichte
zeugen von Lotte Lehmanns Empfindsamkeit und Sensibilität.
Am 26. August 1976 starb Lotte Lehmann, die seit 1945 amerikanische Staatsbürgerin
war, mit 88 Jahren in Santa Barbara, wo sie schon seit vielen Jahren bei
ihrer Freundin Frances Holden lebte. Ihre Urne wurde am 24. Februar 1977 auf
dem Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt (Gruppe 32 C Nr. 49); auf ihrem Grabstein
stehen die Worte Arturo Toscaninis "Sie sang, daß es die Sterne rührte."
Damit ging ihr Wunsch in Erfüllung in Wien ihre letzte Ruhestätte zu
finden, wo sie die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte → Foto
der Grabstelle bei Wikimedia
Commons.
Lotte Lehmann
war seit 1926 mit dem Kavallerieoffizier der K.u.K Armee und Bankier Otto Krause-Jakobowitz
verheiratet, der bereits 1939 im Alter von nur 56 Jahren in
New York an einer Lungenentzündung verstorben war. Mehrere Jahre
lang hatte sie vor der Eheschließung mit ihm ohne Trauschein zusammengelebt,
da sich Krauses Frau nicht scheiden lassen wollte.
Die Sängerin gehörte neben Erna
Berger2) (1900 1990), Elisabeth Grümmer2)
(1911 1986), Hilde Güden1)
(1917 1988),
Martha Mödl1) (1912 2001), Gundula Janowitz1)
und Elisabeth Schwarzkopf2)
(1915 2006) zu den
herausragenden deutschen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, wurde von
vielen als "weiblicher Caruso" angesehen.
Noch heute zeugen zahllose Tonträger von ihrer enormen sängerischen
Dominanz, sowohl als Solistin wie auch im Duett mit so legendären Künstlern
wie beispielsweise Jan Kiepura, Richard Tauber oder Leo Slezak.
Erste Schallplattenaufnahmen hatte Lotte Lehmann bereits 1914 gemacht, im
Verlaufe ihrer Weltkarriere spielte sie rund 500 Aufnahmen ein.
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Sie wurde Lehmann weltweit für ihre
herausragenden Leistungen ausgezeichnet: Bereits seit 1929 war Lotte Lehmann
Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper, erhielt später den Ehrentitel "Kammersängerin",
1937 wurde sie in Paris zum "Offizier der
Ehrenlegion" ernannt. 1962 erhielt sie den
"Ehrenring" der Stadt Wien, 1964 wurde sie in Deutschland mit dem
"Großen Verdienstkreuz" geehrt, 1969 würdigte die Stadt Salzburg
sie mit der "Großen Silbermedaille" und Lotte Lehmann gehört zu
den wenigen Persönlichkeiten, der von der "University of California"
die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Am 27. Februar 1968 wurde anlässlich
ihres 80. Geburtstag in Santa Barbara der "Lotte Lehmann Day"
gefeiert, an der "University of California" in Santa Barbara
erinnert ein "Lotte Lehmann Archiv" an die legendäre Künstlerin
mit der einzigartigen Stimme.
Sonderbriefmarke Lotte Lehmann
aus der Reihe "Frauen der deutschen Geschichte"
Ausgabetag 13. Juli 1989
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des
Bundesministeriums der Finanzen
sowie Prof. Gerd Aretz und Oliver Aretz (Gestaltung)
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Ein Kritiker schrieb einmal über sie: "Ihre Stimme jauchzte lerchenhaft
auf, um nachtigallensüß zu verschweben. Sie besaß die so seltene Begabung,
dem Wort denselben Stellenwert zu verleihen wie der Musik. Wenn sie vom
Frühling sang, dann glaubte man ihr förmlich den frischen Hauch des
Frühlings, wenn sie die Rose besang, den Duft der Rose zu spüren. Darüber
aber stand der Glanz ihrer einzigartigen Persönlichkeit, der in seiner
Unnachahmlichkeit fast jeden berühre, der diese außergewöhnliche
Künstlerin noch persönlich erleben durfte."
Der legendäre Tenor Leo Slezak drückte Lotte Lehmanns sängerische
Anziehungskraft einmal so aus: "Sie besaß das Geheimnis, das einzige
Geheimnis, das wir haben: Herz. Ein Ton, der aus dem Herzen Kommt, geht dem
Hörer zu Herzen, vielleicht weiß er nicht einmal, was eigentlich ihm solche
Freude bereitet, was ihn so zufrieden und glücklich macht." Slezak
paraphrasiert hier, sicher bewusst, die berühmten Beethoven-Worte zur
"Missa solemnis": "Von Herzen möge es zu Herzen
gehen!" und es ist wohl kein Zufall, dass wir Beethovens
"Leonore" seit der Lehmann nicht mehr vergleichbar gehört haben.4)
Lotte Lehmann 1924 als "Tosca"
Foto: Mit
freundlicher Genehmigung von www.cantabile-subito.de
Urheber: Unbekannt*)
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Viele Autoren haben sich mit dem Leben und der künstlerischen Laufbahn Lotte Lehmanns beschäftigt.
So erschien unter anderem 1969 von Berndt Wilhelm Wessling "Lotte Lehmann
mehr als eine Sängerin",
Alan Jefferson veröffentlichte das 1991 ins Deutsche übersetzte Buch
"Lotte Lehmann: Eine Biographie" (Lotte Lehmann: 1888-1976 A Centenary Biography)
und 1995 kam, erneut von Berndt Wilhelm Wessling,
die Biografie "Lotte Lehmann: "Sie sang, dass es
Sterne rührte" auf den Markt.
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