Käthe Reichel wurde am 3. März 1926 als Waltraut Reichelt in Berlin in
einfachste Verhältnisse bzw. in eine Arbeiterfamilie hineingeboren und wuchs
im Ortsteil Berlin-Mitte im Hinterhof-Milieu auf. Nach Beendigung der
Schulzeit machte die (illegitime) Tochter eines jüdischen Vaters eine Lehre zur Textilkauffrau, entschied sich dann
für eine künstlerische Laufbahn. Ohne jegliche entsprechende Ausbildung
bewarb sie sich beim Theater, erhielt erste Engagements in Greiz und in
Gotha, wo sie Bühnenerfahrungen sammelte. Ende der 1940er Jahre kam sie an
das "Volkstheater
Rostock"1), wo Helene Weigel,
Ehefrau von Bertolt Brecht1),
im Februar 1950 auf das junge
Talent aufmerksam wurde Egon Monk1)
hatte Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti"1)
inszeniert (Premiere: 12.11.1949) und Reichel mit dem Part der Telefonistin
Sandra betraut. Wenig später wurde sie von Brecht an das kurz zuvor
gegründete "Berliner
Ensemble"1) (BE) geholt, der die schauspielerische
Entwicklung der Autodidaktin maßgeblich förderte. Zudem entstand eine Liebesbeziehung zwischen Brecht und
der 28 Jahre jüngeren Reichel, sie war in dieser Zeit die (vermutlich) letzte Geliebte des berühmten Dramatikers.
Käthe Reichel signiert ihr Buch
"Windbriefe an den Herrn b.b." am 17. August 2006
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Die erste Rolle für Käthe Reichel, wie sie sich nun nannte, war am
"Berliner Ensemble" das Gustchen in der Brecht'schen Fassung
bzw. Brechts Inszenierung von "Der Hofmeister"1)
von Jakob Michael Reinhold Lenz (Premiere: 15.04.1950), im
darauffolgenden Jahr besetzte Brecht sie als Kupferablieferin in "Die
Mutter"1) an der Seite
von Helene Weigel in der Titelrolle (Premiere: 13.01.1951). Zu einer
ersten Zusammenarbeit mit Benno Besson1),
dessen wichtigste Protagonistin sie werden sollte, kam es bei "Der Prozess der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431", ein
Stück, das Brecht nach dem Hörspiel
von Anna Seghers1) geschrieben hatte. Hier glänzte Reichel seit der
Premiere am 23. November 1952 als die "Heilige
Johanna"1), eine Figur, mit der sie
sich zeitlebens auseinander setzte, sei es als Titelheldin in "Die
heilige Johanna"1) von George Bernard Shaw
(1956 "Städtische
Bühnen Wuppertal"1), 1965 "Nationaltheater
Mannheim"1)) oder als "Johanna Dark" in Brechts "Die
heilige Johanna der Schlachthöfe"1),
wie erstmals 1961 am "Schauspielhaus
Stuttgart"1) bzw. am "Volkstheater Rostock".
Seit 2000/2001 präsentierte sie das Stück als eigene Lesefassung bzw. Ein-Personen-Stück.
Käthe Reichel (rechts) als Kupferablieferin und Helene Weigel
als Pelagea Wlassowa 1951 in "Die Mutter" von Bertolt Brecht,
aufgeführt mit einem Gastspiel des "Berliner Ensembles" am
Berliner "Deutschen Theater", Regie: Bertolt Brecht
Quelle: Deutsche
Fotothek, (file:df_pkm_0000922_003)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek
Urheber: Abraham
Pisarek1) (19011983); Datierung: 1951;
Quelle: www.deutschefotothek.de;
Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017 |
Weitere bemerkenswerte Interpretationen waren unter anderem das Gretchen in Goethe"Urfaust"1) (1953), das
Fischermädchen Mathurine in "Don Juan"1) von Molière (1953/54) und die Gouverneursfrau
Natella Abaschwili in Brechts "Der kaukasische Kreidekreis"1) (1954). Nur ein Jahr später brillierte
sie unter der Regie von Harry Buckwitz1)
an den "Städtischen Bühnen Frankfurt"1)
in der westdeutschen Erstaufführung (28.04.1955) des "kaukasischen
Kreidekreis" als Magd Grusche, verschiedene Gastspiele, unter anderem bei den "Ruhrfestspielen Recklinghausen"
schlossen sich an und auch die Fernsehzuschauer konnten sie 1958 in dieser
Rolle in einer Produktion des "Süddeutschen Rundfunks" (Regie: Franz Peter Wirth1))
bewundern.
Mit Besson erarbeitete sie zur Spielzeit 1956/57 am "Volkstheater Rostock" die prägnant-legendäre
Doppelrolle der Shen Te1)
bzw. des Shui Ta1) in
Brechts "Der gute Mensch von Sezuan"1),
die DDR-Erstaufführung feierte am 05.01.1956 Premiere, nach diversen Gastspielen
folgte am 05.10.1957 die Premiere am "Berliner Ensemble". "Käthe Reichels Spiel als
Shen Te ist von bestrickender Herzlichkeit, Natürlichkeit und Wärme und zugleich von einer hinreißenden schauspielerischen Intensität,
gar nicht verfremdet im Sinne Brechts, sondern zutiefst durchlebt. Käthe Reichel ist eine überragende Sprecherin Brechtscher Verse,
sie führte die Aufführung zum Sieg, und neben ihr zu bestehen, war für ihre Mitspieler nicht leicht."
notierte die "Wochenpost"1), 28.01.1956 → berliner-schauspielschule.de).
Ebenfalls in Rostock brachte Besson "Die Dreigroschenoper"1)
von Bertolt Brecht und der Musik von Kurt Weill1) auf die Bühne neben Erwin Geschonnek
als Mackie Messer spielte Reichel die Polly Peachum.
Seit der Spielzeit 1960/1961 gehörte Käthe Reichel zum Ensemble des "Deutschen Theaters"1) (DT), war dort
bis 2001 festes Mitglied und arbeitete dort neben Benno Besson
mit so legendären Theatermachern wie Wolfgang Langhoff1),
Adolf Dresen1)
oder Thomas Langhoff1) zusammen.
Ihren Einstand am "Deutschen Theater" bzw. den
"Kammerspielen" hatte sie mit der Titelrolle in Lessings
""Minna
von Barnhelm"1) an der Seite von Hans-Peter Minetti als Major von Tellheim
gegeben, die viel beachtete Inszenierung von Wolfgang Langhoff feierte
am 30. März 1960 Premiere. Bei verschiedenen Gastspielen, unter anderem
am Mailänder "Piccolo-Teatro", konnte sich ein breites
Publikum von Reichels Schauspielkunst aber auch der von Langhoff
übernommenen Brecht'schen Spielweise überzeugen. Es folgten Aufgaben
unter anderem als die ausgegrenzte "Holländerbraut" Hanna Tainz in der
Uraufführung von Erwin Strittmatters1)
Stück "Holländerbraut" (Regie: Benno Besson, Premiere: 06.10.1960),
so schrieb der "Sonntag"1) (16.10.1960, → berliner-schauspielschule.de)
unter anderem "Käthe Reichel gibt die Hanna Tainz still und verhalten, ohne Hysterie, sicher
in der Diktion, manchmal vielleicht etwas zu darlegend."
Käthe Reichel als Minna in "Minna von Barnhelm"
mit Hans-Peter Minetti als Major von Tellheim;
im Hintergrund: Herwart Grosse
als der Wirt mit Gudrun Ritter als ?
Quelle: Deutsche
Fotothek, (file: df_pk_0000007)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek
Urheber: Abraham
Pisarek1) (19011983); Datierung: 1960?;
Quelle: www.deutschefotothek.de;
Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017
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Sie war beispielsweise die Julia in der Shakespeare-Komödie "Zwei
Herren aus Verona"1) (Regie: Benno Besson; Premiere: 27.03.1963),
die Sofie Maske (Gräfin Sofie von Beeskow) in
Carl Sternheims drittem Teil der "Maske"-Trilogie "1913"1)
(1964, Regie: Fritz Bornemann1)),
die Frau Maisie Madigen in dem Drama "Juno und der Pfau"1)
von Sean O'Casey (1972, Regie: Adolf Dresen1))
oder in späteren Jahren die Frau Brigitte in dem Lustspiel "Der zerbrochne Krug"1) von Heinrich von Kleist
mit Jörg Gudzuhn
als Dorfrichter Adam (Regie: Thomas Langhoff; Premiere: 30.11.1990). Für Anselm Weber1)
gab sie die Mme Pernelle, Mutter von Orgon, in "Tartuffe"1) von Molière
(Premiere: 10.04.1992), für Sewan Latchinian1)
die Sozialarbeiterin Mertel in der Uraufführung von Anna Langhoffs1),
sich mit der Ausländerpolitik auseinandersetzenden Stück "Transit Heimat, Gedeckte Tische"
(Premiere: 27.02.1994) oder spielte einmal mehr in "Der kaukasische Kreidekreis",
diesmal als alte Bäuerin in der Inszenierung von Thomas Langhoff (Premiere: 29.03.1998), unter anderem
mit Klaus Löwitsch
als Richter Azdak, Petra Hartung1)
als Küchenmagd Grusche und Dagmar Manzel1) als dünkelhafte Gouverneurin Abaschwili → berliner-schauspielschule.de.
"Wie keine andere verfügt sie über den sparsamen Gestus der einfachen Menschen, der gepaart mit sozialer Genauigkeit die Zuschauer erreicht.
Es ist ihre direkte, unverbildete und etwas kindliche Sicht auf die Welt, die überzeugt. Die kleine und robuste Käthe Reichel wirkt resolut, klug
und zugleich naiv."3) → mehr zum Theater-Wirken siehe hier.
Seit Anfang der 1950er Jahre betätigte sich Käthe Reichel vor der
Kamera, ihr Leinwanddebüt hatte sie mit dem kleineren Part einer
Druckereiarbeiterin in dem DEFA-Streifen "Corinna Schmidt"2) (1951) gegeben, doch erst rund zwei
Jahrzehnte später übernahm sie
regelmäßiger Aufgaben für den Film. "Speziell skurrile Gestalten, Volksfiguren, die sie nicht pur realistisch,
sondern mit einem Nachhall der Verfremdung, des Denkanstoßes spielt, kommen ihrer an Brecht geschulten Spielweise entgegen.
Dabei arbeitet sie außerordentlich präzise. Regisseur
Rainer Simon1) berichtet von der
Arbeit am ersten gemeinsamen Film "Wie
heiratet man einen König?"1) (1969):
Die Reichel schüttete ein Füllhorn von Vorschlägen wie einen Goldregen über mich. Es entstanden neue Szenen,
Dialoge, sie konzipierte sich selbst ihr Kostüm, und entsprechende Requisiten mußten
beschafft werden. Ihre Argumente waren fast immer besser als meine, dienten nicht nur der Rolle,
sondern dem Film, ihre Genauigkeit eröffnete Räume für die Phantasie des Märchens. (1995)"
wird im "Lexikon der DDR-Stars"*)
ausgeführt. In verschiedene DEFA-Produktionen zeigte sie mit Nebenrollen ihre
darstellerische Dominanz, etwa als schrille Frau des Schießbudenbesitzers (Hans Hardt-Hardtloff1))
in Heiner Carows Kultfilm "Die
Legende von Paul und Paula"1) (1973) oder als Josepha,, Frau des Predigers Feller (Fred Düren), in Horst Seemanns
Drama "Levins
Mühle"1) (1980); die Szene,
in der Reichel an der Seite des Landstreiches Weiszmantel (Andrzej Szalawski) das Lied "Hei hei hei hei japadei macht das Judchen ein
Geschrei" singt, bleibt unvergessen. Für die
Rolle der Zuchthausleiterin Olser in der DEFA/DFF-Produktion "Die
Verlobte"1) (1980) wurde sie auf dem "2. Nationalen Spielfilmfestival der DDR"1)
in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) 1982 als "Beste Nebendarstellerin" ausgezeichnet: Sie
überzeugt als Frau, "die sich von der Kommunistin Hella Lindau (Jutta Wachowiak) überrascht zeigt.
Sie leitet das Frauen-Zuchthaus schon zu Zeiten der Weimarer Republik und arrangiert sich mit dem System der Nationalsozialisten.
Dabei macht Käthe Reichel die inneren Widersprüche der Person deutlich."3).
Dazwischen lagen Rollen unter anderem in den von Helmut Nitzschke in Szene
gesetzten Krimis "Nebelnacht"1) (1969)
und "Leichensache
Zernik"1) (1972), der sie
als Sachbearbeiterin bzw. Lucie Matewsky, genannt "Goldlucie"
besetzte, oder die Wirtin der Studentin Karin in Roland Gräfs Jugendfilm
"Mein
lieber Robinson"1) (1970).
In "Pugowitza"1) (1981), gedreht nach dem
Roman von Alfred Wellm1),
tauchte sie als Mutter Kriepsch auf, in "Ärztinnen"1) (1984) nach
dem Bühnenstück
von Rolf Hochhuth1) als
Gutachterin Dr. Planner
und in "Besuch bei
van Gogh"2) (1985) als Johanna van Gogh1),
Schwägerin des Malers Vincent van Gogh1). An gesamtdeutschen
Produktionen sind unter anderem Ulrich Weiß' Satire "Miraculi"1) (1992) mit der Rolle der Großmutter von Sebastian (Volker Ranisch) und Roland Gräfs kriminalistisches
Abenteuer "Die
Spur des Bernsteinzimmers"1) (1992) zu nennen, wo sie als Frau Ladenthin bzw. Lisa Mohrbrinks (Corinna Harfouch) Nachbarin in Erscheinung trat,
die von dem zwielichtigen Costello (Michael Gwisdek) erschossen wird.
Eine ihrer wenigen Hauptrollen spielte Käthe Reichel im Fernsehen: Für Thomas Langhoff
war sie die Protagonistin in "Muhme Mehle"1) (1980), gedreht
frei nach der gleichnamigen Erzählung der Kommunistin und GRU1)-Agentin
Ruth Werner1), angelehnt an deren Lebensgeschichte.
Für die Darstellung der naiven, unpolitischen Kinderfrau Wilhelmine Kegelang, genannt "Muhme Mehle", wurde Reichel von der Kritik
hoch gelobt, vor allem ihre sparsamen Gesten bzw. die Genauigkeit der
Figurengestaltung beeindruckten in der Geschichte, die im schweizerischen Hochgebirge bei einer
Antifaschistin und Kundschafterin (Jutta Wachowiak) bzw. deren Familie spielt,
die durch die Redseligkeit von "Muhme Mehle" in große Gefahr
gebracht wird. In dem Fünfteiler "Daniel Druskat"4) (1976) spielte sie
das einfache, schlichte Dienstmädchen Ida, dem sie tragikomische Züge
verlieh und das die Hauptdarsteller zeitweise in den Hintergrund treten
ließ, wie Thomas Knauf1)
in dem Nachruf bei www.freitag.de
schrieb. In Erinnerung geblieben ist Käthe Reichel sicherlich auch mit dem
Part der Oma Kroll in Folge "Omas Wunderkuchen" aus der Kinderserie
"Spuk
im Hochhaus"1) (1982)
oder als alte Hebamme Trin in der Theodor Storm-Adaption "Der
Schimmelreiter"1) (1984).
Ganz auf Reichel abgestellt war die Sendung "Die
Souffleuse"4) (1986) aus der Reihe "Schauspielereien",
in der Märchenverfilmung "Die
Weihnachtsgans Auguste"1) (1988) mimte sie die Mutter Gertrud Löwenhaupt,
in der Alltagsgeschichte "Wie ein Vogel im Schwarm"4) (1990) nach
dem Roman von Helmut Sakowski1) die den
"Durchblick verlierende" Putzfrau Käthe Lindner.
Nach der so genannten "Wende" blieb Käthe Reichels Fernseh-Arbeit
überschaubar, man sah sie als geistig verwirrte Kuni in der Mini-Serie "Florian"5) (1990), Jo Baier besetzte sie als Mutter
der Hausmeisterin Mina Baltin (Carola Regnier) in dem preisgekrönten Dreiteiler "Der
Laden"1) (1998),
basierend auf der Romantrilogie
von Erwin Strittmatter1), und zuletzt präsentierte sie sich als Frau Matthias in der Folge
"Morgengrauen"5) (2002) aus der
Polizeiserie "Abschnitt 40"1) → mehr Filmografie siehe
hier.
Neben der umfangreichen Arbeit für Theater, Film und Fernsehen fand die 1978 mit dem "Kunstpreis
der DDR"1) geehrte Käthe Reichel stets Zeit, als Sprecherin in Hörspielen und Audio-Produktionen
mitzuwirken. Für das Plattenlabel "Litera"1)
sprach sie beispielsweise die "alte Ziege" Frau Bokowitsch in
"Das Katzenhaus" (1977) von Samuil Marschak1), die Blumenfrau
in "Die
Schneekönigin"1) (1983) von
Hans Christian Andersen, die Großmutter des Teufels in dem Grimm'schen
Märchen "Der
Teufel mit den drei goldenen Haaren"1) (1984) oder die alte Munkin, Peter Munks Mutter,
in "Das
kalte Herz"1) (1985)
von Wilhelm Hauff. Eine Auswahl der in der ARD-Hörspieldatenbank
aufgeführten Produktionen mit Käthe Reichel findet man hier
am Ende des Artikels. Immer wieder faszinierte sie das Publikum mit Literaturabenden, neben der erwähnten eigenen Lesefassung als Ein-Personen-Stück
von Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" gehörten Rezitationen der Georg Büchner-Novelle
"Lenz"1)
über den Schriftsteller Jakob
Michael Reinhold Lenz1) und
die Erzählung "Kassandra" ihrer Freundin Christa Wolf1) zum Repertoire bzw. zu den großen Erfolgen.
Sie machte sich aber auch zum Sprachrohr weniger bekannter Autoren, brachte
beispielsweise "Sisyphus und die Wächter" der litauischen Schriftstellerin Vytauté Zilinskaité
dem Publikum nahe.
Die temperamentvolle Brecht-Schülerin galt in der DDR aufgrund ihrer non-konformistischen Haltung als kritische
Künstlerin, wurde vom "Ministerium für Staatssicherheit"1) (MfS) als "konterrevolutionäres
Zentrum des Deutschen Theaters"
geführt, so der Filmregisseur Rainer Simon, weil sie ihre eigene Meinung etwa zum Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in Prag
("Prager Frühling"1)) nicht verschwiegen
bzw. sich kritisch in der Öffentlichkeit geäußert hatte.6)
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Ihre für die Obrigkeit in der DDR unbequeme Position verdeutlichte sie 1976, als sie gegen die Ausbürgerung von
Wolf Biermann1) aus der DDR
protestierte. Als es am 4. November 1989 mit der "Alexanderplatz-Demonstration"1)
zur größten, nicht staatlich gelenkte Demonstration in der Geschichte der DDR kam, gehörte sie zu den
Mitorganisatoren der geschichtsträchtigen Kundgebung, welche den Sturz des SED-Regimes bzw. das Ende der DDR einläutete Reichels Rede für Freiheit und Demokratie wurde bejubelt.
Zehntausende Bürger beteiligten sich an einer
Demonstration, zu der Berliner Kunst- und Kulturschaffende am 4. November 1989 ins Zentrum der Hauptstadt eingeladen hatten. Unter den
Teilnehmern war auch die Schauspielerin Käthe Reichel (Mitte).
Quelle: Deutsches Bundesarchiv, Digitale Bilddatenbank, Bild 183-1989-1104-012;
Fotograf: Lehmann, Thomas / Datierung: 04.11.1989 / Lizenz CC-BY-SA 3.0
Genehmigung des Bundesarchivs zur Veröffentlichung innerhalb dieser Webpräsenz
wurde am 11.10.2010 erteilt. Originalfoto und Beschreibung:
Deutsches Bundesarchiv Bild 183-1989-1104-012
bzw. Wikimedia
Commons
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Die überzeugte Sozialistin Käthe Reichel blieb auch nach der "Wende"
kämpferisch-kritisch und politisch engagiert, sorgte mit zahlreichen Solidaritäts-Aktionen für Aufsehen.
So notiert Wikipedia: "Am 5. April 1990 sprach sie im
Berliner "Lustgarten"1) zu rund 100 000 Teilnehmern
einer Demonstration gegen den Umtauschkurs 2:1 für die Mark der DDR im Rahmen der geplanten
Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion1). Am 4. November 1990 polemisierte sie gegen
"Krause1) und
Maiziere1)", die das Land
"verkauft, verschachert, verraten" hätten, und warnte, dass sich das Volk des Satzes wieder erinnern werde, mit dem es vor einem Jahr einen Staat gestürzt habe:
"Wir sind das Volk". Im Januar 1991 demonstrierte sie mit einem Plakat "Mütter, versteckt Eure Söhne"
gegen den Golfkrieg1),
1993 unterstützte sie den Hungerstreik von Bergleuten der vor der Schließung stehenden Kaligrube Bischofferode unter anderem mit einem offenen Brief an die Präsidentin der
"Treuhandanstalt" Birgit Breuel1).
1995/96 kritisierte sie die Kriegführung Russlands in Tschetschenien und schlug das
"Komitee der Soldatenmütter Russlands"1) für den Friedensnobelpreis vor.
2006 engagierte sie sich für einen Berliner
"Heinrich-Heine-Preis" für Peter Handke1) nachdem diesem der
"Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf"1), für den ihn die Jury nominiert hatte, wegen
seiner Haltung zu
Slobodan Miloševic1) verweigert worden
war; das internationale Komitee (für die Verteidigung von) Slobodan Miloševic zählte Käthe Reichel zu seinen
"Unterstützern"." 2000 wurde Käthe Reichel mit dem "Menschenrechtspreis" der
"Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde"1)
ausgezeichnet, bereits 1992 hatte man ihr den "Verdienstorden
des Landes Berlin"1) verliehen.
Die international gerühmte Brecht-Interpretin, Autorin und Friedensaktivistin Käthe Reichel starb am 19. Oktober 2012
im Alter von 86 Jahren in ihrem Anwesen im brandenburgischen Buckow1) an den Folgen eines Unfalls.
Bertolt Brecht hatte das Haus am Buckowsee
1952 für Käthe Reichel gekauft, nicht weit davon entfernt liegt das Haus, das Brecht ab 1952 gemeinsam mit Helene Weigel bewohnte.
Die letzte Ruhe fand sie auf dem "I. Französischen Friedhof"1) in Berlin-Mitte,
die Beisetzung am 9. November 2012
fand unter großer Anteilnahme statt, zahlreiche Freunde, Kollegen und
Weggefährten wie DT-Intendant Ulrich Khuon1),
die Schauspieler Hermann Beyer,
Jörg Gudzuhn,
Rolf Becker und
Dieter Mann
oder die "Linke"-Politikerinnen Katja Kipping1)
und Petra Pau1)
gaben der Ausnahme-Schauspielerin das letzte Geleit → Foto der Grabstelle bei Wikimedia
Commons bzw. knerger.de.7)
Käthe Reichel 1998 mit Carmen-Maja
Antoni und Eberhard Esche,
fotografiert von Klaus Morgenstern
Quelle: Deutsche
Fotothek, (file: df_mo_0000062_001)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Klaus Morgenstern;
Urheber: Klaus Morgenstern; Datierung: 27.09.1998
Quelle:
www.deutschefotothek.de; Genehmigung zur Veröffentlichung:
30.03.2017
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Anlässlich einer am 2. Dezember 2012 im "Deutschen Theater"
veranstalteten Trauer- bzw. Gedenkfeier für Käthe Reichel sagte DT-Intendant Ulrich Khuon
auf der bis auf den letzten Platz gefüllten Matinée unter anderem "Sie war und ist so etwas wie ein Jahrhundert-Mensch,
der die Berliner Bühnen bestimmt, beeinflusst, geprägt
hat." "Linke"-Politiker Gregor Gysi1)
bezeichnete Reichel als eine tapfere, mutige, engagierte Künstlerin,
"Sie war eine Frau mit viel Leidenschaft, mit viel Kraft, und beides war
anstrengend." Redner wie die Künstler Dieter Mann, Volker Braun1),
Michael Schweighöfer1),
Reiner Simon1)
und Claus Peymann1)
oder der Gewerkschafter Horst Schmidthenner
erinnerten an eine "unbeugsame Frau", die von Helene Weigel einmal als
"eine kluge Schauspielerin, die alles besser wusste" charakterisiert
worden war. Auf dem Programmheft befand sich ein Zitat aus Reichels letzten
Buch "Dämmerstunde": "Die Auferstehung der Toten findet nicht im Himmel statt. Das ist gewiss.
Sie kommen als Lebende aus ihren Gräbern, wenn ihre Nachgeborenen über etwas Liebe und ein Gewissen verfügen,
dass ihnen sagt: Du musst sie ausgraben aus der Erde jener Zeit, in der sie ihr Leben hatten, dann bleiben sie jung, wenn du schon alt
bist." → "Frankfurter Rundschau",
Artikel bei www.jungewelt.de.
Käthe Reichel war nie verheiratet, nach dem Suizid ihres
einzigen Sohnes, dem Musiker Sebastian Reichel aus einer Beziehung mit dem italienischen Maler,
Grafiker und Architekten Gabriele Mucchi1)
(1899 2002), lebte sie lange Jahre alleine in
ihrer Wohnung in Berlin, unweit des "Deutschen Theaters". Die letzten
Jahre zog sie sich in ihr Haus in Buckow zurück, dort entstanden auch ihre zwei Bücher: 2006 veröffentlichte sie "Windbriefe an den Herrn b.b." mit 45 "Windbriefen" an Bertolt Brecht, in
denen sie auch Marotten und Arbeitsweisen ihres Geliebten beschreibt.
Unter dem Titel "Dämmerstunde" publizierte sie 2011 Erinnerungen an
ihre Kindheit. Das "Käthe Reichel Haus", welches im ursprünglichen Zustand
belassen wurde, ist, ebenso wie das nahe gelegene "Brecht-Weigel-Haus"1),
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Von Richard Engel und dessen Ehefrau Petra Kelling
entstand das filmische Porträt "Aus
den Träumen eines Küchenmädchens"1)
mit dem Untertitel "Annäherung an Käthe Reichel". Die
Dokumentation wurde über einen Zeitraum von 13 Jahren in Farbe gedreht und
feierte am 26. Oktober 2014 im Berliner "Kino Babylon" Premiere.
In der am 14. Mai 2000 im Rahmen der "53. Internationalen
Filmfestspiele von Cannes"1)
uraufgeführten Filmbiografie "Abschied. Brechts letzter Sommer"1)
von Regisseur Jan Schütte mit Josef Bierbichler als Bertolt Brecht
wurde Käthe Reichel von Jeanette Hain1)
verkörpert. In diesem Biopic wird auch die Liebesbeziehung der jungen Reichel zu dem gereiften Dichter thematisiert, der sie
als "eine der begabtesten Schauspielerinnen des Berliner Ensembles" bezeichnet hatte.
Der künstlerische Nachlass von Käthe Reichel wird von der Berliner
"Akademie der Künste"1) verwaltet → "Käthe-Reichel-Archiv".
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