Übersicht (Auswahl) Theater / Film / Hörspiel
Käthe Reichel wurde am 3. März 1926 als Waltraut Reichelt in Berlin in einfachste Verhältnisse bzw. in eine Arbeiterfamilie hineingeboren und wuchs im Ortsteil Berlin-Mitte im Hinterhof-Milieu auf. Nach Beendigung der Schulzeit machte die (illegitime) Tochter eines jüdischen Vaters eine Lehre zur Textilkauffrau, entschied sich dann für eine künstlerische Laufbahn. Ohne jegliche entsprechende Ausbildung bewarb sie sich beim Theater, erhielt erste Engagements in Greiz und in Gotha, wo sie Bühnenerfahrungen sammelte. Ende der 1940er Jahre kam sie an das "Volkstheater Rostock"1), wo Helene Weigel, Ehefrau von Bertolt Brecht1), im Februar 1950 auf das junge Talent aufmerksam wurde – Egon Monk1) hatte Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti"1) inszeniert (Premiere: 12.11.1949) und Reichel mit dem Part der Telefonistin Sandra betraut. Wenig später wurde sie von Brecht an das kurz zuvor gegründete "Berliner Ensemble"1) (BE) geholt, der die schauspielerische Entwicklung der Autodidaktin maßgeblich förderte. Zudem entstand eine Liebesbeziehung zwischen Brecht und der 28 Jahre jüngeren Reichel, sie war in dieser Zeit die (vermutlich) letzte Geliebte des berühmten Dramatikers.

Käthe Reichel signiert ihr Buch
"Windbriefe an den Herrn b.b." am 17. August 2006
Urheber: SpreeTom; Lizenz: CC BY-SA 3.0
Quelle: Wikimedia Commons

Käthe Reichel signiert ihr Buch "Windbriefe an den Herrn b.b." am 17. August 2006; Urheber: SpreeTom; Lizenz: CC BY-SA 3.0; Quelle: Wikimedia Commons
Käthe Reichel (rechts) als Kupferablieferin und Helene Weigel als Pelagea Wlassowa in "Die Mutter" von Bertolt Brecht, aufgeführt in einem Gastspiel des "Berliner Ensembles" am Berliner "Deutschen Theater", Regie: Bertolt Brecht; Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_pkm_0000922_003); Copyright SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek; Urheber: Abraham Pisarek (1901–1983); Datierung: 1951; Quelle: www.deutschefotothek.de Die erste Rolle für Käthe Reichel, wie sie sich nun nannte, war am "Berliner Ensemble" das Gustchen in der Brecht'schen Fassung bzw. Brechts Inszenierung von "Der Hofmeister"1) von Jakob Michael Reinhold Lenz (Premiere: 15.04.1950), im darauffolgenden Jahr besetzte Brecht sie als Kupferablieferin in "Die Mutter"1) an der Seite von Helene Weigel in der Titelrolle (Premiere: 13.01.1951). Zu einer ersten Zusammenarbeit mit Benno Besson1), dessen wichtigste Protagonistin sie werden sollte, kam es bei "Der Prozess der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431", ein Stück, das Brecht nach dem Hörspiel von Anna Seghers1) geschrieben hatte. Hier glänzte Reichel seit der Premiere am 23. November 1952 als die "Heilige Johanna"1), eine Figur, mit der sie sich zeitlebens auseinander setzte, sei es als Titelheldin in "Die heilige Johanna"1)  von George Bernard Shaw (1956 "Städtische Bühnen Wuppertal"1), 1965 "Nationaltheater Mannheim"1)) oder als "Johanna Dark" in Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe"1), wie erstmals 1961 am "Schauspielhaus Stuttgart"1) bzw. am "Volkstheater Rostock". Seit 2000/2001 präsentierte sie das Stück als eigene Lesefassung bzw. Ein-Personen-Stück.
 

Käthe Reichel (rechts) als Kupferablieferin und Helene Weigel
als Pelagea Wlassowa 1951 in "Die Mutter" von Bertolt Brecht,
aufgeführt mit einem Gastspiel des "Berliner Ensembles" am
Berliner "Deutschen Theater", Regie: Bertolt Brecht
Quelle: Deutsche Fotothek, (file:df_pkm_0000922_003)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek
Urheber: Abraham Pisarek1) (1901–1983); Datierung: 1951;
Quelle: www.deutschefotothek.de; Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017

Weitere bemerkenswerte Interpretationen waren unter anderem das Gretchen in Goethe"Urfaust"1) (1953), das Fischermädchen Mathurine in "Don Juan"1) von Molière (1953/54) und die Gouverneursfrau Natella Abaschwili in Brechts "Der kaukasische Kreidekreis"1) (1954). Nur ein Jahr später brillierte sie unter der Regie von Harry Buckwitz1) an den "Städtischen Bühnen Frankfurt"1) in der westdeutschen Erstaufführung (28.04.1955) des "kaukasischen Kreidekreis" als Magd Grusche, verschiedene Gastspiele, unter anderem bei den "Ruhrfestspielen Recklinghausen" schlossen sich an und auch die Fernsehzuschauer konnten sie 1958 in dieser Rolle in einer Produktion des "Süddeutschen Rundfunks" (Regie: Franz Peter Wirth1)) bewundern.
Mit Besson erarbeitete sie zur Spielzeit 1956/57 am "Volkstheater Rostock" die prägnant-legendäre Doppelrolle der Shen Te1) bzw. des Shui Ta1) in Brechts "Der gute Mensch von Sezuan"1), die DDR-Erstaufführung feierte am 05.01.1956 Premiere, nach diversen Gastspielen folgte am 05.10.1957 die Premiere am "Berliner Ensemble". "Käthe Reichels Spiel als Shen Te ist von bestrickender Herzlichkeit, Natürlichkeit und Wärme und zugleich von einer hinreißenden schauspielerischen Intensität, gar nicht verfremdet im Sinne Brechts, sondern zutiefst durchlebt. Käthe Reichel ist eine überragende Sprecherin Brechtscher Verse, sie führte die Aufführung zum Sieg, und neben ihr zu bestehen, war für ihre Mitspieler nicht leicht." notierte die "Wochenpost"1), 28.01.1956 → berliner-schauspielschule.de).
Ebenfalls in Rostock brachte Besson "Die Dreigroschenoper"1) von Bertolt Brecht und der Musik von Kurt Weill1) auf die Bühne – neben Erwin Geschonnek als Mackie Messer spielte Reichel die Polly Peachum.
Seit der Spielzeit 1960/1961 gehörte Käthe Reichel zum Ensemble des "Deutschen Theaters"1) (DT), war dort bis 2001 festes Mitglied und arbeitete dort neben Benno Besson mit so legendären Theatermachern wie Wolfgang Langhoff1), Adolf Dresen1) oder Thomas Langhoff1) zusammen. Ihren Einstand am "Deutschen Theater" bzw. den "Kammerspielen" hatte sie mit der Titelrolle in Lessings ""Minna von Barnhelm"1) an der Seite von Hans-Peter Minetti als Major von Tellheim gegeben, die viel beachtete Inszenierung von Wolfgang Langhoff feierte am 30. März 1960 Premiere. Bei verschiedenen Gastspielen, unter anderem am Mailänder "Piccolo-Teatro", konnte sich ein breites Publikum von Reichels Schauspielkunst aber auch der von Langhoff übernommenen Brecht'schen Spielweise überzeugen. Es folgten Aufgaben unter anderem als die ausgegrenzte "Holländerbraut" Hanna Tainz in der Uraufführung von Erwin Strittmatters1) Stück "Holländerbraut" (Regie: Benno Besson, Premiere: 06.10.1960), so schrieb der "Sonntag"1) (16.10.1960, → berliner-schauspielschule.de) unter anderem "Käthe Reichel gibt die Hanna Tainz still und verhalten, ohne Hysterie, sicher in der Diktion, manchmal vielleicht etwas zu darlegend."
 

Käthe Reichel als Minna in "Minna von Barnhelm"
mit Hans-Peter Minetti als Major von Tellheim;
im Hintergrund: Herwart Grosse als der Wirt mit Gudrun Ritter als ?
Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_pk_0000007)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek
Urheber: Abraham Pisarek1) (1901–1983); Datierung: 1960?;
Quelle: www.deutschefotothek.de; Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017

Käthe Reichel als Minna in "Minna von Barnhelm" mit Hans-Peter Minetti als Major von Tellheim; im Hintergrund: Herwart Grosse als der Wirt mit Gudrun Ritter als ?; Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_pk_0000007); Copyright SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek; Urheber: Abraham Pisarek (1901–1983); Datierung: 1960?; Quelle: www.deutschefotothek.de
Sie war beispielsweise die Julia in der Shakespeare-Komödie "Zwei Herren aus Verona"1) (Regie: Benno Besson; Premiere: 27.03.1963), die Sofie Maske (Gräfin Sofie von Beeskow) in Carl Sternheims drittem Teil der "Maske"-Trilogie "1913"1) (1964, Regie: Fritz Bornemann1)), die Frau Maisie Madigen in dem Drama "Juno und der Pfau"1) von Sean O'Casey (1972, Regie: Adolf Dresen1)) oder in späteren Jahren die Frau Brigitte in dem Lustspiel "Der zerbrochne Krug"1) von Heinrich von Kleist mit Jörg Gudzuhn als Dorfrichter Adam (Regie: Thomas Langhoff; Premiere: 30.11.1990). Für Anselm Weber1) gab sie die Mme Pernelle, Mutter von Orgon, in "Tartuffe"1) von Molière (Premiere: 10.04.1992), für Sewan Latchinian1) die Sozialarbeiterin Mertel in der Uraufführung von Anna Langhoffs1), sich mit der Ausländerpolitik auseinandersetzenden Stück "Transit Heimat, Gedeckte Tische" (Premiere: 27.02.1994) oder spielte einmal mehr in "Der kaukasische Kreidekreis", diesmal als alte Bäuerin in der Inszenierung von Thomas Langhoff (Premiere: 29.03.1998), unter anderem mit Klaus Löwitsch als Richter Azdak, Petra Hartung1) als Küchenmagd Grusche und Dagmar Manzel1) als dünkelhafte Gouverneurin Abaschwili → berliner-schauspielschule.de. "Wie keine andere verfügt sie über den sparsamen Gestus der einfachen Menschen, der gepaart mit sozialer Genauigkeit die Zuschauer erreicht. Es ist ihre direkte, unverbildete und etwas kindliche Sicht auf die Welt, die überzeugt. Die kleine und robuste Käthe Reichel wirkt resolut, klug und zugleich naiv."3) → mehr zum Theater-Wirken siehe hier.

Seit Anfang der 1950er Jahre betätigte sich Käthe Reichel vor der Kamera, ihr Leinwanddebüt hatte sie mit dem kleineren Part einer Druckereiarbeiterin in dem DEFA-Streifen "Corinna Schmidt"2) (1951) gegeben, doch erst rund zwei Jahrzehnte später übernahm sie regelmäßiger Aufgaben für den Film. "Speziell skurrile Gestalten, Volksfiguren, die sie nicht pur realistisch, sondern mit einem Nachhall der Verfremdung, des Denkanstoßes spielt, kommen ihrer an Brecht geschulten Spielweise entgegen. Dabei arbeitet sie außerordentlich präzise. Regisseur Rainer Simon1) berichtet von der Arbeit am ersten gemeinsamen Film "Wie heiratet man einen König?"1) (1969): Die Reichel schüttete ein Füllhorn von Vorschlägen wie einen Goldregen über mich. Es entstanden neue Szenen, Dialoge, sie konzipierte sich selbst ihr Kostüm, und entsprechende Requisiten mußten beschafft werden. Ihre Argumente waren fast immer besser als meine, dienten nicht nur der Rolle, sondern dem Film, ihre Genauigkeit eröffnete Räume für die Phantasie des Märchens. (1995)" wird im "Lexikon der DDR-Stars"*) ausgeführt. In verschiedene DEFA-Produktionen zeigte sie mit Nebenrollen ihre darstellerische Dominanz, etwa als schrille Frau des Schießbudenbesitzers (Hans Hardt-Hardtloff1)) in Heiner Carows Kultfilm "Die Legende von Paul und Paula"1) (1973) oder als Josepha,, Frau des Predigers Feller (Fred Düren), in Horst Seemanns Drama "Levins Mühle"1)  (1980); die Szene, in der Reichel an der Seite des Landstreiches Weiszmantel (Andrzej Szalawski) das Lied "Hei hei hei hei japadei macht das Judchen ein Geschrei" singt, bleibt unvergessen. Für die Rolle der Zuchthausleiterin Olser in der DEFA/DFF-Produktion "Die Verlobte"1) (1980) wurde sie auf dem "2. Nationalen Spielfilmfestival der DDR"1) in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) 1982 als "Beste Nebendarstellerin" ausgezeichnet: Sie überzeugt als Frau, "die sich von der Kommunistin Hella Lindau (Jutta Wachowiak) überrascht zeigt. Sie leitet das Frauen-Zuchthaus schon zu Zeiten der Weimarer Republik und arrangiert sich mit dem System der Nationalsozialisten. Dabei macht Käthe Reichel die inneren Widersprüche der Person deutlich."3)
Dazwischen lagen Rollen unter anderem in den von Helmut Nitzschke in Szene gesetzten Krimis "Nebelnacht"1) (1969) und "Leichensache Zernik"1) (1972), der sie als Sachbearbeiterin bzw. Lucie Matewsky, genannt "Goldlucie" besetzte, oder die Wirtin der Studentin Karin in Roland Gräfs Jugendfilm "Mein lieber Robinson"1) (1970). In "Pugowitza"1) (1981), gedreht nach dem Roman von Alfred Wellm1), tauchte sie als Mutter Kriepsch auf, in "Ärztinnen"1) (1984) nach dem Bühnenstück von Rolf Hochhuth1) als Gutachterin Dr. Planner und in "Besuch bei van Gogh"2) (1985) als Johanna van Gogh1), Schwägerin des Malers Vincent van Gogh1). An gesamtdeutschen Produktionen sind unter anderem Ulrich Weiß' Satire "Miraculi"1) (1992) mit der Rolle der Großmutter von Sebastian (Volker Ranisch) und Roland Gräfs kriminalistisches Abenteuer "Die Spur des Bernsteinzimmers"1) (1992) zu nennen, wo sie als Frau Ladenthin bzw. Lisa Mohrbrinks (Corinna Harfouch) Nachbarin in Erscheinung trat, die von dem zwielichtigen Costello (Michael Gwisdek) erschossen wird.
 
Eine ihrer wenigen Hauptrollen spielte Käthe Reichel im Fernsehen: Für Thomas Langhoff war sie die Protagonistin in "Muhme Mehle"1) (1980), gedreht frei nach der gleichnamigen Erzählung der Kommunistin und GRU1)-Agentin Ruth Werner1), angelehnt an deren Lebensgeschichte. Für die Darstellung der naiven, unpolitischen Kinderfrau Wilhelmine Kegelang, genannt "Muhme Mehle", wurde Reichel von der Kritik hoch gelobt, vor allem ihre sparsamen Gesten bzw. die Genauigkeit der Figurengestaltung beeindruckten in der Geschichte, die im schweizerischen Hochgebirge bei einer Antifaschistin und Kundschafterin (Jutta Wachowiak) bzw. deren Familie spielt, die durch die Redseligkeit von "Muhme Mehle" in große Gefahr gebracht wird. In dem Fünfteiler "Daniel Druskat"4) (1976) spielte sie das einfache, schlichte Dienstmädchen Ida, dem sie tragikomische Züge verlieh und das die Hauptdarsteller zeitweise in den Hintergrund treten ließ, wie Thomas Knauf1) in dem Nachruf bei www.freitag.de schrieb. In Erinnerung geblieben ist Käthe Reichel sicherlich auch mit dem Part der Oma Kroll in Folge "Omas Wunderkuchen" aus der Kinderserie "Spuk im Hochhaus"1) (1982) oder als alte Hebamme Trin in der Theodor Storm-Adaption "Der Schimmelreiter"1) (1984). Ganz auf Reichel abgestellt war die Sendung "Die Souffleuse"4) (1986) aus der Reihe "Schauspielereien", in der Märchenverfilmung "Die Weihnachtsgans Auguste"1) (1988) mimte sie die Mutter Gertrud Löwenhaupt, in der Alltagsgeschichte "Wie ein Vogel im Schwarm"4) (1990) nach dem Roman von Helmut Sakowski1) die den "Durchblick verlierende" Putzfrau Käthe Lindner.
Nach der so genannten "Wende" blieb Käthe Reichels Fernseh-Arbeit überschaubar, man sah sie als geistig verwirrte Kuni in der Mini-Serie "Florian"5) (1990), Jo Baier besetzte sie als Mutter der Hausmeisterin Mina Baltin (Carola Regnier) in dem preisgekrönten Dreiteiler "Der Laden"1) (1998), basierend auf der Romantrilogie von Erwin Strittmatter1), und zuletzt präsentierte sie sich als Frau Matthias in der Folge "Morgengrauen"5) (2002) aus der Polizeiserie "Abschnitt 40"1) → mehr Filmografie siehe hier.
Neben der umfangreichen Arbeit für Theater, Film und Fernsehen fand die 1978 mit dem "Kunstpreis der DDR"1) geehrte Käthe Reichel stets Zeit, als Sprecherin in Hörspielen und Audio-Produktionen mitzuwirken. Für das Plattenlabel "Litera"1) sprach sie beispielsweise die "alte Ziege" Frau Bokowitsch in "Das Katzenhaus" (1977) von Samuil Marschak1), die Blumenfrau in "Die Schneekönigin"1) (1983) von Hans Christian Andersen, die Großmutter des Teufels in dem Grimm'schen Märchen "Der Teufel mit den drei goldenen Haaren"1) (1984) oder die alte Munkin, Peter Munks Mutter, in "Das kalte Herz"1) (1985) von Wilhelm Hauff. Eine Auswahl der in der ARD-Hörspieldatenbank aufgeführten Produktionen mit Käthe Reichel findet man hier am Ende des Artikels. Immer wieder faszinierte sie das Publikum mit Literaturabenden, neben der erwähnten eigenen Lesefassung als Ein-Personen-Stück von Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" gehörten Rezitationen der Georg Büchner-Novelle "Lenz"1) über den Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz1) und die Erzählung "Kassandra" ihrer Freundin Christa Wolf1) zum Repertoire bzw. zu den großen Erfolgen. Sie machte sich aber auch zum Sprachrohr weniger bekannter Autoren, brachte beispielsweise "Sisyphus und die Wächter" der litauischen Schriftstellerin Vytauté Zilinskaité dem Publikum nahe.
 
Die temperamentvolle Brecht-Schülerin galt in der DDR aufgrund ihrer non-konformistischen Haltung als kritische Künstlerin, wurde vom "Ministerium für Staatssicherheit"1) (MfS) als "konterrevolutionäres Zentrum des Deutschen Theaters" geführt, so der Filmregisseur Rainer Simon, weil sie ihre eigene Meinung etwa zum Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in Prag ("Prager Frühling"1)) nicht verschwiegen bzw. sich kritisch in der Öffentlichkeit geäußert hatte.6)  
Käthe Reichel am 4. November 1989 bei der "Alexanderplatz-Demonstration";  Quelle: Deutsches Bundesarchiv, Digitale Bilddatenbank, Bild 183-1989-1104-012; Fotograf: Lehmann, Thomas / Datierung: 04.11.1989 / Lizenz CC-BY-SA 3.0; Originalfoto und Beschreibung: Deutsches Bundesarchiv Bild 183-1989-1104-012 bzw. Wikimedia Commons Ihre für die Obrigkeit in der DDR unbequeme Position verdeutlichte sie 1976, als sie gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann1) aus der DDR protestierte. Als es am 4. November 1989 mit der "Alexanderplatz-Demonstration"1) zur größten, nicht staatlich gelenkte Demonstration in der Geschichte der DDR kam, gehörte sie zu den Mitorganisatoren der geschichtsträchtigen Kundgebung, welche den Sturz des SED-Regimes bzw. das Ende der DDR einläutete – Reichels Rede für Freiheit und Demokratie wurde bejubelt.
 
Zehntausende Bürger beteiligten sich an einer Demonstration, zu der Berliner Kunst- und Kulturschaffende am 4. November 1989 ins Zentrum der Hauptstadt eingeladen hatten. Unter den Teilnehmern war auch die Schauspielerin Käthe Reichel (Mitte).
Quelle: Deutsches Bundesarchiv, Digitale Bilddatenbank, Bild 183-1989-1104-012;
Fotograf: Lehmann, Thomas / Datierung: 04.11.1989 / Lizenz CC-BY-SA 3.0
Genehmigung des Bundesarchivs zur Veröffentlichung innerhalb dieser Webpräsenz
wurde am 11.10.2010 erteilt. Originalfoto und Beschreibung:
Deutsches Bundesarchiv Bild 183-1989-1104-012 bzw. Wikimedia Commons
Die überzeugte Sozialistin Käthe Reichel blieb auch nach der "Wende" kämpferisch-kritisch und politisch engagiert, sorgte mit zahlreichen Solidaritäts-Aktionen für Aufsehen. So notiert Wikipedia: "Am 5. April 1990 sprach sie im Berliner "Lustgarten"1) zu rund 100 000 Teilnehmern einer Demonstration gegen den Umtauschkurs 2:1 für die Mark der DDR im Rahmen der geplanten Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion1). Am 4. November 1990 polemisierte sie gegen "Krause1) und Maiziere1)", die das Land "verkauft, verschachert, verraten" hätten, und warnte, dass sich das Volk des Satzes wieder erinnern werde, mit dem es vor einem Jahr einen Staat gestürzt habe: "Wir sind das Volk". Im Januar 1991 demonstrierte sie mit einem Plakat "Mütter, versteckt Eure Söhne" gegen den Golfkrieg1), 1993 unterstützte sie den Hungerstreik von Bergleuten der vor der Schließung stehenden Kaligrube Bischofferode unter anderem mit einem offenen Brief an die Präsidentin der "Treuhandanstalt" Birgit Breuel1). 1995/96 kritisierte sie die Kriegführung Russlands in Tschetschenien und schlug das "Komitee der Soldatenmütter Russlands"1) für den Friedensnobelpreis vor. 2006 engagierte sie sich für einen Berliner "Heinrich-Heine-Preis" für Peter Handke1) nachdem diesem der "Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf"1), für den ihn die Jury nominiert hatte, wegen seiner Haltung zu Slobodan Miloševic1) verweigert worden war; das internationale Komitee (für die Verteidigung von) Slobodan Miloševic zählte Käthe Reichel zu seinen "Unterstützern"." 2000 wurde Käthe Reichel mit dem "Menschenrechtspreis" der "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde"1) ausgezeichnet, bereits 1992 hatte man ihr den "Verdienstorden des Landes Berlin"1) verliehen.
Die international gerühmte Brecht-Interpretin, Autorin und Friedensaktivistin Käthe Reichel starb am 19. Oktober 2012 im Alter von 86 Jahren in ihrem Anwesen im brandenburgischen Buckow1) an den Folgen eines Unfalls. Bertolt Brecht hatte das Haus am Buckowsee 1952 für Käthe Reichel gekauft, nicht weit davon entfernt liegt das Haus, das Brecht ab 1952 gemeinsam mit Helene Weigel bewohnte. Die letzte Ruhe fand sie auf dem "I. Französischen Friedhof"1) in Berlin-Mitte, die Beisetzung am 9. November 2012 fand unter großer Anteilnahme statt, zahlreiche Freunde, Kollegen und Weggefährten wie DT-Intendant Ulrich Khuon1), die Schauspieler Hermann Beyer, Jörg Gudzuhn, Rolf Becker und Dieter Mann oder die "Linke"-Politikerinnen Katja Kipping1) und Petra Pau1) gaben der Ausnahme-Schauspielerin das letzte Geleit → Foto der Grabstelle bei Wikimedia Commons bzw. knerger.de.7)

Käthe Reichel 1998 mit Carmen-Maja Antoni und Eberhard Esche,
fotografiert von Klaus Morgenstern
Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_mo_0000062_001)
© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Klaus Morgenstern;
Urheber: Klaus Morgenstern; Datierung: 27.09.1998
Quelle: www.deutschefotothek.de; Genehmigung zur Veröffentlichung: 30.03.2017

Käthe Reichel 1998 mit Carmen-Maja Antoni und Eberhard Esche, fotografiert von Klaus Morgenstern; Quelle: Deutsche Fotothek, (file: df_mo_0000062_001); Copyright SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Klaus Morgenstern; Urheber: Klaus Morgenstern; Datierung: 27.09.1998; Quelle: www.deutschefotothek.de
Anlässlich einer am 2. Dezember 2012 im "Deutschen Theater" veranstalteten Trauer- bzw. Gedenkfeier für Käthe Reichel sagte DT-Intendant Ulrich Khuon auf der bis auf den letzten Platz gefüllten Matinée unter anderem "Sie war und ist so etwas wie ein Jahrhundert-Mensch, der die Berliner Bühnen bestimmt, beeinflusst, geprägt hat." "Linke"-Politiker Gregor Gysi1) bezeichnete Reichel als eine tapfere, mutige, engagierte Künstlerin, "Sie war eine Frau mit viel Leidenschaft, mit viel Kraft, und beides war anstrengend." Redner wie die Künstler Dieter Mann, Volker Braun1), Michael Schweighöfer1), Reiner Simon1) und Claus Peymann1) oder der Gewerkschafter Horst Schmidthenner erinnerten an eine "unbeugsame Frau", die von Helene Weigel einmal als "eine kluge Schauspielerin, die alles besser wusste" charakterisiert worden war. Auf dem Programmheft befand sich ein Zitat aus Reichels letzten Buch "Dämmerstunde": "Die Auferstehung der Toten findet nicht im Himmel statt. Das ist gewiss. Sie kommen als Lebende aus ihren Gräbern, wenn ihre Nachgeborenen über etwas Liebe und ein Gewissen verfügen, dass ihnen sagt: Du musst sie ausgraben aus der Erde jener Zeit, in der sie ihr Leben hatten, dann bleiben sie jung, wenn du schon alt bist."  → "Frankfurter Rundschau", Artikel bei www.jungewelt.de.
 
Käthe Reichel war nie verheiratet, nach dem Suizid ihres einzigen Sohnes, dem Musiker Sebastian Reichel aus einer Beziehung mit dem italienischen Maler, Grafiker und Architekten Gabriele Mucchi1) (1899 – 2002), lebte sie lange Jahre alleine in ihrer Wohnung in Berlin, unweit des "Deutschen Theaters". Die letzten Jahre zog sie sich in ihr Haus in Buckow zurück, dort entstanden auch ihre zwei Bücher: 2006 veröffentlichte sie "Windbriefe an den Herrn b.b." mit 45 "Windbriefen" an Bertolt Brecht, in denen sie auch Marotten und Arbeitsweisen ihres Geliebten beschreibt. Unter dem Titel "Dämmerstunde" publizierte sie 2011 Erinnerungen an ihre Kindheit. Das "Käthe Reichel Haus", welches im ursprünglichen Zustand belassen wurde, ist, ebenso wie das nahe gelegene "Brecht-Weigel-Haus"1), der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Von Richard Engel und dessen Ehefrau Petra Kelling entstand das filmische Porträt "Aus den Träumen eines Küchenmädchens"1) mit dem Untertitel "Annäherung an Käthe Reichel". Die Dokumentation wurde über einen Zeitraum von 13 Jahren in Farbe gedreht und feierte am 26. Oktober 2014 im Berliner "Kino Babylon" Premiere.
In der am 14. Mai 2000 im Rahmen der "53. Internationalen Filmfestspiele von Cannes"1) uraufgeführten Filmbiografie "Abschied. Brechts letzter Sommer"1) von Regisseur Jan Schütte mit Josef Bierbichler als Bertolt Brecht wurde Käthe Reichel von Jeanette Hain1) verkörpert. In diesem Biopic wird auch die Liebesbeziehung der jungen Reichel zu dem gereiften Dichter thematisiert, der sie als "eine der begabtesten Schauspielerinnen des Berliner Ensembles" bezeichnet hatte.
Der künstlerische Nachlass von Käthe Reichel wird von der Berliner "Akademie der Künste"1) verwaltet → "Käthe-Reichel-Archiv".

Quellen: Wikipedia, "Lexikon der DDR-Stars"*), defa-stiftung.de, filmportal.de
Siehe auch die Nachrufe unter anderem bei www.welt.de, www.zeit.de, www.tagesspiegel.de
*) "Lexikon der DDR-Stars" von F.-B. Habel und Volker Wachter (Ausgabe 1999, S. 273)
Fremde Links: 1) Wikipedia, 2) filmportal.de, 4) fernsehenderddr.de, 5) fernsehserien.de
3) Quelle: defa-stiftung.de
6) Quelle: Nachruf von Irene Bazinger in der "Frankfurter Rundschau" (www.fr.de)
7) Anmerkung: In den Presseberichten zur Beisetzung ist durchgängig irrtümlich vom "Dorotheenstädtischen Friedhof" die Rede, wohl weil der (größere und bekanntere) "Dorotheenstädtische" direkt an den "Französischen Friedhof" grenzt, möglicherweise auch, um die Nähe zu Brecht zu betonen, der auf dem "Dorotheenstädtischen Friedhof " begraben wurde.
Theater-Wirken (Auszug)
Quellen: Wikipedia, "Käthe-Reichel-Archiv"
(Fremde Links: Wikipedia; R = Regie, P = Premiere, EA = Erstaufführung, UA = Uraufführung)
"Volkstheater Rostock" "Berliner Ensemble" (BE) "Deutsches Theater", Berlin / "Kammerspiele" Weitere wichtige Rollen
Filme
Kinofilme / Fernsehen
Filmografie bei der Internet Movie Database sowie filmportal.de
(Fremde Links: filmportal.de, defa-stiftung.de, Wikipedia, fernsehenderddr.de, fernsehserien.de)
Kinofilme Fernsehen
Hörspielproduktionen (Auszug)
(Link: ARD-Hörspieldatenbank (mit Datum der Erstausstrahlung) bzw. Wikipedia)   
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